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Gräben überwinden. Navasana, das Boot, stärkt die Mitte und fördert das Selbstbewusstsein.

© imago/Aurora Photos

Die Yogakolumne: Wer keinen Tofuburger isst, kann als Yogi in Deutschland einpacken

Warum manche Weltverbesserer unserer Kolumnistin auf den Wecker gehen und welche Übung sie fürs neue Jahr empfiehlt.

Vor Kurzem echauffierte sich eine andere Yogalehrerin darüber, dass ich einen Daunenmantel mit Fellkragen trage. Solche Weltverbesserer-Ideologien anderer Yogis gehen mir ziemlich auf den Wecker, deshalb färbte ich mir aus Protest erst mal die Haare noch platinblonder – mit einer echten Chemiekeule – und fuhr mit meinem SUV davon, um am Ku’damm zu shoppen.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

Ich rief nämlich auch meine Nerzmantel tragende, 85-jährige Ex-Schwiegermutter an und schluchzte erbärmlich. „Ich bin doch kein Monster“, heulte ich ins Telefon, und dass ich an manchen Tagen den Druck, ständig yogakonform auftreten zu müssen, nicht ertrage.

In ihrem Bestreben, Minoritäten zu verteidigen – was ja an sich richtig und gut ist – machen diese Weltverbesserer mit ihrem ideologisch aufgeladenen Lifestyle-Anspruch jegliche Individualität oder Diversität platt. Sie glauben sich derart moralisch überlegen, dass sie das Recht haben, ständig andere zu beschämen. Wer sich nicht einreiht in den Kreis Fahrrad fahrender Veganer mit Jutesack, ist automatisch ein ignorantes Arschloch.

Ich drohe in einem Einheitsbrei zu versinken

Als ich in den 90ern in Kalifornien meine Ausbildung zur Yogalehrerin machte, hatte ich keine Ahnung, dass ich durch meine Entscheidung, in Deutschland eine Yogaschule zu eröffnen, einer solch besserwisserischen Front begegnen würde. Aus solchen Dauerverurteilungen eröffnen sich keine neuen Perspektiven. Ich jedenfalls drohe durch den anhaltenden Druck in einem spinatartigen Einheitsbrei zu versinken.

„Was glaubst du denn, warum unsere Mitte der Gesellschaft wegbricht“, tröstete mich meine Ex-Schwiegermutter. Wir sprachen über die zunehmende Kluft zwischen Hypermoral und blanker Gewalt. Über den Graben zwischen Arm und Reich, die immer weiter auseinanderdriftenden Meinungen darüber, was Fakt ist und was Fake. Und dass ich das, was sich in Deutschland gesellschaftlich und politisch tut, natürlich auch in meinem Yoga-Umfeld spüre.

Yoga hatte seinen großen Durchbruch im Westen in der Hippiezeit, aber heute erklären diese mittlerweile ziemlich bürgerlich gewordenen Ex-Osho-Anhänger gemeinsam mit den meinungsgeladenen Generation-Y-lern es zu ihrem Eigentum. Sie führen sich auf wie Mitglieder einer üblen Sekte. Wer keinen Tofuburger isst, kann als Yogi in Deutschland einpacken.

Durch die Mitte mit dem Boot

Meistens gelingt es mir gut, diese wachsenden Radikalen auszublenden. In meinen Yogaschulen treffe ich jede Woche viele reflektierte Menschen, die gerade nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden wollen. Kann man meinen Ansatz, ein zeitgemäßes, undogmatisches Yoga zu unterrichten, nicht bereits als Beitrag zur Stärkung ihrer Mitte begreifen? Ich möchte ihnen dabei helfen, Yoga für sich zu nutzen, um gerade in diesen Zeiten der zunehmenden Orientierungslosigkeit mutig einen eigenen Weg zu bestreiten.

„Wisch endlich die Tränen weg und unterrichte Yoga, so wie du es für richtig hältst“, schubste mich meine Ex-Schwiegermutter übers Telefon zurück in die Kraft.

Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, eine Übung besonders oft zu lehren: das Boot. Dabei streckt man sitzend die Beine nach vorn und nach oben und balanciert sich mit parallel zum Körper ausgebreiteten Armen. Navasana stärkt Bauchmuskeln, Selbstbewusstsein und das Zentrum.

Und wer weiß, vielleicht lässt sich mit diesem Boot ja auch der ein oder andere Graben überwinden.

Patricia Thielemann

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