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Der Skilehrer macht’s vor: So ein Schneepflug talwärts ist gar nicht schwer. In der nächsten Saison ist dann der Parallelschwung dran.

© picture alliance / dpa

Die besten Geschichten aus der weißen Hölle: Was Teilnehmer von Skikursen erleben

Eine Choreografie am Schlepplift, Winterurlaub unter falschem Namen und das Gefühl der ersten Niederlage. Im Skikurs standen unsere Autoren am Abgrund.

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Beinunfreiheit

Der Schreckenssatz meines ersten Skikurses lautete: „Könnten Sie mich bitte zwischen den Beinen mitnehmen?“ So sollten wir „einfach“ jemanden in der Liftschlange ansprechen, wie uns der Skilehrer eröffnete, nachdem er einen nach dem anderen von uns über die Schranke der Kartenkontrollautomaten gehoben hatte.

Zur Grafenmatt-Piste am Feldberg im Schwarzwald, auf der ich Skifahren lernte, gehörte ein Schlepplift. Damals funktionierte er so: Zwei Skifahrer stellten sich nebeneinander, ein Liftangestellter schob ihnen einen T-förmigen, an einem sich drehenden Drahtseil befestigten Bügel unter den Hintern, und los ging’s. Das Problem: Sind zwei Skifahrer sehr unterschiedlich groß, hat der eine den Bügel im Rücken und der andere in den Kniekehlen hängen. Es wird eine wackelige Fahrt.

Ich war damals sieben. Den ganzen ersten Skikurs über musste ich zwischen den Beinen eines Erwachsenen Lift fahren. Der Skilehrer riet, wir sollten uns an die Starken, Sportlichen halten. Die Wartezeiten in der Schlange verbrachte ich damit, die Umstehenden zu taxieren, nicht danach, ob jemand stark, sondern ob er freundlich aussah, ob er die peinliche Frage halbwegs wohlwollend aufnehmen würde.

Ich war froh, die juckende Skibrille aufzuhaben. So konnte ich unbemerkt weinen, wenn ich fürchtete, ewig in der Liftschlange bleiben zu müssen, weil ich niemanden finden würde, der mich mitnimmt. Vielleicht konnte man doch hinter die Brille sehen. Jedenfalls antwortete mir einmal eine Frau: „Kind, ich hab’s noch nie gemacht. Aber ich mach’ das jetzt für dich.“ Wir sind sogar heil oben angekommen.
Barbara Nolte

Pistenpromille

Eine Jugend in Norddeutschland. Viel Schnee, keine nennenswerten Berge. Klassenreisen machen wir nach Amrum oder Malente in der Holsteinischen Schweiz – eine Paddel- und Wanderregion. Doch mit dem ersten Berliner Volontärsgehalt geht es im Januar 1984 nach Oberösterreich, in den Skiurlaub. Kurze, breite Ski, Idiotenhügel, das Übliche – und für mich das erste Mal.

Mit etwas Glück komme ich mit meinen 22 Jahren nicht in die Kindergruppe der Skischule, sondern zu den Flachland-Jugendlichen. Der Toni, unser Lehrer, erkennt schnell, dass bei mir nur die Basics gehen: seitwärts den halben Hügel rauf, zwei wacklige Kurven, Schneepflug zum Bremsen. Nach vier Tagen mache ich die Hälfte der Abfahrten noch immer auf dem Po.

Meine Freundin Gesa ist auch absolute Anfängerin, stellt sich jedoch geschickter an. Sie überredet mich, endlich mit dem Schlepplift ganz hoch auf den Idiotenhügel zu fahren. Ich rutsche ab, falle aus dem Sitz, fresse Schnee, aber im dritten Anlauf sind wir endlich oben. Jetzt erst einmal einen heißen Tee in der Hütte trinken. „Jagertee“, befiehlt der Wirt.

Mit roten Wangen steigen wir hinterher wieder in die Skier, jetzt traue ich mir meine erste richtige Abfahrt zu. Sie endet nach fünf Metern Schussfahrt im seitlichen Zaun. Wie der Ort hieß, habe ich verdrängt, ich wollte auch nie wieder dort hin und auch nicht in einen anderen Skiort. Wer sucht, findet sicher noch Reste meines roten Overalls in den Fangzäunen neben der Piste.
Amory Burchard

Siegerehrung

An meinen einzigen Sieg in einem Skirennen erinnere ich mich nur schemenhaft. An die erste Niederlage dafür sehr deutlich. Ich war vier Jahre alt und im Skikurs in den Schweizer Bergen. Mein Skilehrer hieß Gaudenz. Ich mochte ihn nicht. Einmal ließ er mich allein am Tellerlift stehen. Er fuhr mit einem anderen Kind hoch. Ein Bügel nach dem anderen baumelte an mir vorbei, und ich kriegte keinen von ihnen zu fassen. Die anderen Kinder wurden kleiner und kleiner. Ich war verzweifelt. Bestimmt musste ich auch aufs Klo.

Jedenfalls fand ich den Skikurs so dermaßen blöd, dass ich mich an einem der nachfolgenden Morgen weigerte, aus dem Auto auszusteigen. Ich verkeilte mich mit meinen Skischuhen unter dem Sitz, sodass es meine Eltern nicht schafften, mich aus dem Auto zu ziehen. Hinter uns bildete sich eine riesige Schlage mit hupenden Autos, denen wir den Weg zur Gondel versperrten. Mein Vater fuhr verärgert weiter, ich musste an jenem Tag nicht in den Kurs.

Die erste Woche in der Skischule endete mit einem kleinen Rennen. Da ich in der kleinsten Gruppe war, musste ich ziemlich genau fünf Meter fahren. Die sauste ich runter und holte den ersten Platz. Ich stieg auf ein Podest, streckte die Hände in den Winterhimmel und bekam eine Medaille. Irgendwelche Menschen klatschten. Ich war ein Star.

Ein Jahr später fuhren wir erneut in die Schweiz: wieder Gaudenz, wieder so blöd, wieder ein Rennen am Ende. Diesmal war ich nicht mehr bei den Kleinen angemeldet. Ich musste acht Meter fahren. Danach bin ich aufs Podest geklettert und hob stolz die Arme. Klar, ich kannte es ja nicht anders. Bloß klatschte niemand. Stattdessen kam Gaudenz und hob mich herunter. Danach lachten alle. Ich hatte gar nicht gewonnen.
Felix Denk

Schleifgerät

Es geschieht im österreichischen Montafon, und ich trage – irgendwann Ende der 80er Jahre – eine schwarz-weiße Skijacke mit neongelben Dreiecken, weißen Lippenstift und den Skipass an einem Gummiband um den Hals. Neben mir im Doppelsessellift: ein Junge aus dem Fortgeschrittenenkurs. Je weiter wir zur Bergstation schweben, desto lauter wird das Schweigen zwischen uns. Wie das so ist, mit 13, wenn man auch bei Minusgraden ohne Mütze fahren will.

Hat er mir nicht vorhin in der Hütte noch über den Teller Kaiserschmarrn hinweg zugenickt? Anderseits war er auch einfach weitergelaufen, als ich den Skistock fallen ließ. Versehentlich natürlich. Und umgefahren hat er nur diese Steffi. Absichtlich natürlich.

Wer wird zuerst Anstalten machen, den Sicherheitsbügel nach oben zu drücken? Wir schieben, rutschen und hangeln, jeder für sich. Wir setzen die Skier auf und stoßen uns ab. Doch was ist das? Ich fahre nicht, wohin ich möchte – auf die Piste nämlich.

Eine mysteriöse Kraft zerrt mich Richtung Pfeiler, dorthin, wo die Sessel die Richtung wechseln. Der Schriftzug „Doppelmayr“ wird größer und größer. Meine Skier verlieren den Kontakt zur Piste, als eine Tröte dröhnt und der Lift mit einem Ruck stillsteht. Der Lift-Mann stürmt aus seinem Häuschen und erkennt das Problem: Ein Kordelstopper meiner Neon-Jacke hatte sich zwischen den Sesselbrettern quergestellt und mich wie eine Comicfigur mitgeschleift. Der Schweigsame steht daneben und lacht.
Esther Kogelboom

Liftballerinas

Liebe Eltern, dies ist ein Geständnis. Jahrelang habt Ihr Euren Töchtern teure Skikurse bezahlt, auf dass sie irgendwann so elegant würden wedeln können wie Ihr. Jahrelang habt Ihr Euch gewundert, warum diese Mädels kaum Fortschritte machten. Gewiss habt Ihr auf die Skilehrer geschimpft. Nun, wir hatten Besseres zu tun.

Unsere Talente lagen links der Piste. Jenseits dessen, was Ihr Piste nennt. Unsere Leidenschaft galt: dem Schlepplift. Mit Unschuldsmienen unter den Zipfelmützen fädelten wir uns in seine Bügel. Kaum war das Aufpasserhäuschen hinter dem ersten Hügel verschwunden, stiegen wir aus, blieben aber in der Spur stehen. Hinter uns kamen die Freundinnen herangeliftet, die Beine so breit geöffnet, wie es nur ging. Wir ließen uns in ihre Schöße fallen, rumms! machte es, der Lift ächzte, fuhr aber weiter. Jetzt galt es, sich bloß nicht zu verhaken mit den Skiern, sonst würde man die anderen mit in den Abgrund reißen.

Einen Hügel höher schluckten wir auf diese Weise zwei weitere Skiakrobatinnen, manchmal schafften wir es zu sechst bis ganz nach oben, zwölf lange Bretter sorgsam nebeneinander aufgereiht. Kameras gab es keine, aber irgendein Störsignal, wenn ein Bügel zu schwer wurde. Denn manchmal blieb der Lift stehen, die anderen Skifahrer murrten, und wir sausten davon, als sei nichts gewesen. Oben warteten die Lehrer endlos in der Kälte. Was da alles hätte passieren können! Ist es aber nicht. Und Bügellifte gibt es sowieso immer seltener.
Julia Prosinger

Tarnidentität

„Patriciaaaa...!“, rief der Lehrer mir hinterher. Ich reagierte natürlich nicht. Ich heiße ja auch nicht Patricia. Deshalb jagte ich, quasi schwerelos, auf meinem gemieteten Snowboard den Abhang hinunter und fühlte mich frei. Bis ich stürzte, durch die verschneite Skibrille zurückblickte und bemerkte, dass der Rest der Gruppe, Anfängerkurs Snowboarden, irgendwo auf einem Berg in Tirol, sehr viel weiter oben stehen geblieben war.

Das passierte noch einige Male, die Leute im Kurs mussten mich für bekloppt halten, ich reagierte einfach nie, wenn mich jemand „Patricia“ rief. Nicht, als wir uns in Grüppchen am Schlepplift anstellen sollten, und auch nicht, als ich im Schlepplift die Balance verlor und den Hang wieder hinunterkullerte und fast ein paar Skifahrer mitriss.

Unter diesem Namen war ich allerdings beim Kurs offiziell angemeldet und allen vorgestellt worden. Ich war vielleicht 14 Jahre alt, die Eltern eines Freundes hatten mich mit in den Winterurlaub genommen, seine Schwester war nicht mitgekommen, aber um den Familienrabatt in der Skischule zu bekommen, wurde ich kurzerhand in die Familie aufgenommen. Und war ab dem Moment Patricia, die kleine Schwester meines Kumpels. Nach drei Tagen war der Kurs vorbei. Zwei Mädchen fragten, ob wir noch gemeinsam ein paar Abhänge fahren wollten. Nein, danke. „Patriciaaaa...!“ hatte genug.
Ronja Ringelstein

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