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Harry Domela 1931 bei der Lektüre seines Buches

© picture alliance / IMAGNO/Austri

Der Hochstapler des Jahrhunderts: Die Prinzen- Rolle

Harry Domela täuschte in den 1920er Jahren als Prinz von Preußen die bessere Gesellschaft. Das machte ihn berühmt – bis er verschwand.

Von Andreas Austilat

Victor Zsajka saß in seiner Wohnung in Maracaibo, Venezuela, genoss den traumhaften Blick auf das karibische Meer und hatte ein Problem: Es gab ihn nicht. Den Namen Zsajka hatte er sich ausgedacht. Doch das noch viel größere Problem war, selbst wenn offenbaren würde, dass er in Wahrheit Harry Domela hieß. Wie hätte er das beweisen sollen? Er besaß keinen Pass. Und es gab auch kein Land, das ihm einen ausstellen würde, denn Domela war staatenlos.

„Dieses Missgeschick ist einer der entscheidenden Faktoren, dass sich mein Leben so verhängnisvoll gestaltete“, schrieb er einem Freund und bat ihn, mit diesem Geheimnis „sehr vorsichtig umzugehen“. Denn als illegaler Ausländer hätte Domela auch in Venezuela keine Zukunft mehr gehabt.

Ein Lob von Thomas Mann

Als er jenen Brief verfasste, es war das Jahr 1965, hätte er in Deutschland wieder einmal gutes Geld verdienen können. Im ZDF war gerade „Der Fall Harry Domela“ gelaufen, eine Nacherzählung jener Geschichte, die Domela selbst 1927 über sein eigenes Leben geschrieben hatte. Und über die Thomas Mann befand: „Die Figur dieses trügerischen Harry überragt an Geist und Witz, an bewusst satirischer Kraft diejenige des Hauptmanns von Köpenick bei weitem, und seine literarische Ausdrucksfähigkeit sichert ihm einige Unsterblichkeit.“ Für Thomas Mann war es eine weitere Anregung zu seinem Buch „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

Was die Unsterblichkeit anging, lag Mann leider falsch. Die Geschichte aber, die war 1927 noch nicht zu Ende. Sie wurde tatsächlich groß, größer als die des Hauptmanns von Köpenick, als Domelas Buch und auch als die drei Filme, die daraus hervorgingen. Denn in ihr spiegeln sich gleich mehrere Tragödien des 20. Jahrhunderts. Und was die Bedeutung von Visa und Pässen angeht, passt sie leider auch noch ins 21. Jahrhundert.

Kindersoldat im Baltikum

Harry Domela wird 1904 in Kurland geboren, einer damals russischen Provinz, die heute zu Lettland gehört. Die Domelas sind Mitglieder der deutsch-baltischen Minderheit, und mit dem Ersten Weltkrieg zerbricht das Zuhause des Zehnjährigen. Er wird ein Fall für die Fürsorge. Bei Russen wie Letten verhasst, erlebt er brutale Demütigungen und zahlt sie heim: 1919 schließt sich der 15-Jährige als Kindersoldat einem deutsch-baltischen Freikorps an, ein marodierender Haufen, heimat- und perspektivlos, der sich schließlich auflöst, um sich nach Deutschland abzusetzen.

In der von Inflation und bürgerkriegsähnlichen Unruhen erschütterten Weimarer Republik gilt Domela als reichsfremd. Eine dauerhafte Arbeitserlaubnis bekommt er nicht. Schnell landet er auf der Straße, verdingt sich als Landarbeiter oder in einer Fabrik. Statt Lohn gibt es oft nur karge Kost oder schlechte Unterkunft.

Auf Trebe in Berlin

Berlin, in den 20er Jahren eine Vier-Millionen-Stadt, verspricht Chancen, ohne dieses Versprechen halten zu können. Am Anhalter Bahnhof lernt Domela einen nur wenige Jahre älteren Jungen kennen, einst aus gehobenem Haus, jetzt kokainabhängig und auf Trebe. Das Bahnhofsviertel wird das Zuhause der beiden. Domela erlebt, wie in den Obdachlosenasylen die Armen noch die Ärmsten berauben, drei Löffel, nicht einmal silbern, bringen ihn ins Gefängnis. Und auch sein Begleiter verschwindet hinter Gittern, immerhin, von ihm hat er ein anderes Auftreten gelernt.

Ein alternder Gauner, der sich Otto Baron Lüderitz nennt, wird sein zweiter Lehrmeister. Der Mann ist genauso wenig Baron wie Domela. Aber was spielt der echte Name für eine Rolle, wenn jemand sich sowieso nicht ausweisen kann? Domela besitzt immer noch keinerlei Papiere, in Deutschland ist er lediglich geduldet.

Plötzlich öffnen sich ihm alle Türen

Harry Domela 1927 in Berlin
Harry Domela 1927 in Berlin

© ullstein bild

Das Jahr 1926 wird dann jenes, das ihn berühmt macht. Er ist inzwischen in Potsdam glückloser Vertreter für Tabakwaren. Das Blatt wendet sich, als er sich an den Haustüren als Graf von der Recke melden lässt. Dem charmanten jungen Mann öffnen sich plötzlich die Pforten zur Potsdamer Gesellschaft. Drei Wochen lang, dann wird er wieder verhaftet und diesmal für drei Monate eingesperrt. Im Sommer 1926 ist er wieder draußen.

Es gibt Experten, die bewerten Hochstapelei als krankhaft. Als übersteigerten Narzissmus, symptomatisch für Menschen, die Gründe haben, ihre Realität zu verleugnen. Domela jedenfalls wird schnell rückfällig. Und lässt nun die Tabakwaren weg. Er versucht es in Hamburg, hat Glück im Spiel und muss sich absetzen. Warum, darüber schweigt er sich in seiner Biografie aus. Es folgt ein Auftritt in Heidelberg. „Ich entsann mich, dass das Korps Saxo-Borussia in Heidelberg sich vornehmlich aus kurländischem Adel rekrutiert“, sagt er später vor Gericht aus. In Kurland kennt er sich aus.

Alle nennen ihn nun Durchlaucht

Sein Erscheinungsbild beschreibt er wie folgt: abgeschabter blauer Anzug mit blankem Hosenboden. So tritt er auch hier als Prinz von Lieven auf, Leutnant im vierten Reiterregiment in Potsdam. Seltsamerweise wird er sofort als Durchlaucht angeredet und überall großzügig bewirtet. Angefeuert von seinem Erfolg setzt der angebliche Prinz seine Reise fort.

Erfurt, Gotha, Weimar sind seine Stationen, Diners werden für ihn ausgerichtet, er muss sich in goldene Bücher eintragen. Und allen Ernstes hält man ihn schließlich für Wilhelm, Prinz von Preußen, den Enkel des letzten Kaisers, glaubt, Prinz von Lieven sei nichts weiter als ein Pseudonym, damit Königliche Hoheit einmal unerkannt reisen könne. Er wird zur Jagd eingeladen, Domela trifft erst beim dritten Hasen. „Königliche Hoheit schießen ja glänzend“, heißt es aus der Entourage, „Donner noch mal, da sieht man doch die Jagdleidenschaft der Hohenzollern.“

Flucht zur Fremdenlegion

Gefährlich wird es, als die Zeitungen über die Auftritte des vermeintlichen Hohenzollern-Sprosses berichten. Domela sieht nur einen Ausweg: Im französisch besetzten Koblenz will er zur Fremdenlegion. Doch bevor der Zug mit den neuen Rekruten den Bahnhof verlässt, wird er verhaftet.

Der Prozess gerät zum Medienspektakel. Während weiland der Köpenicker Schuster in seiner Hauptmannsuniform nur ein paar zufällig vorbeimarschierende Soldaten täuschen konnte, hat Domela es gleich mit dem Hochadel aufgenommen. Zwischen Verhaftung und Prozess liegt ein halbes Jahr, in dem der Fall immer wieder die Schlagzeilen beherrscht. Egon Erwin Kisch berichtet, Carl von Ossietzky auch. Tucholsky macht sich über die Saxo-Borussen lustig, „wie sie fechten, fressen und saufen, sich niemals ein Kollegheft kaufen“, soll heißen: Diese Studenten studieren nicht, am Ende werden sie trotzdem die besten Posten besetzen. Wen wundert es, dass kaum jemand als Zeuge auftreten will. Es war auch so schon alles peinlich genug für Deutschlands vermeintlich bessere Gesellschaft.

Ein mildes Urteil

Sieben Monate Gefängnis, lautet am Ende das vergleichsweise milde Urteil. Genug Zeit für Domela, um ein Buch zu schreiben, schon kurz nach seiner Verhaftung hatten ihn gleich mehrere Verlage umworben. Den Zuschlag bekommt der den Kommunisten nahestehende Malik Verlag, „Der falsche Prinz“ wird ein Bestseller, der sich binnen Kurzem über 100 000 Mal verkauft. Schnell wird ein Film gedreht, Domela selbst übernimmt die Hauptrolle. Sogar ein Kino kauft er, 1929 eröffnet es in der Rostocker Straße 12 in Berlin-Moabit. Dort läuft jeden Tag „Der falsche Prinz“, allerdings nur drei Monate lang, dann muss Domela das Haus schließen.

Vielleicht hat sein unglückliches Verhältnis zum Geld Domelas Flucht aus Deutschland am Ende beschleunigt. Wann genau er das Land verlässt, weiß nicht einmal Jens Kirsten genau zu sagen. Der Thüringer Literaturwissenschaftler ist der bis heute kompetenteste Domela-Forscher. Bleiben hätte der falsche Prinz schon wegen seiner Nähe zu den Kommunisten nicht können. Und auch der Vorwurf der Homosexualität wäre für ihn bald gefährlich geworden.

Leutnant im Spanischen Bürgerkrieg

In Berlin-Moabit eröffnete Domela (Bildmitte im hellen Anzug) 1929 ein Kino. Drei Monate lang lief dort täglich der Film „Der falsche Prinz“ mit ihm in der Hauptrolle.
In Berlin-Moabit eröffnete Domela (Bildmitte im hellen Anzug) 1929 ein Kino. Drei Monate lang lief dort täglich der Film „Der falsche Prinz“ mit ihm in der Hauptrolle.

© ullstein bild

Er taucht unter – und 1936 im Spanischen Bürgerkrieg wieder auf. Domela kämpft auf Seiten der Republik gegen die von Nazideutschland und Mussolinis Italien unterstützten Putschisten um General Franco. Doch die Staatengemeinschaft unternimmt wenig, um der spanischen Republik im Kampf gegen die Faschisten beizustehen. Einzig die Sowjetunion ist dazu bereit, allerdings um einen hohen Preis: Wer nicht auf Stalins Linie ist, muss um sein Leben fürchten.

In einem niederländischen Archiv liegt der Briefwechsel Domelas mit seinem holländischen Freund, dem Schriftsteller Jef Last. Darin schildert Domela, inzwischen echter Leutnant der spanischen Volksmiliz, die Verhältnisse in Spanien: „Wer am lautesten Stalin, Woroschilow und die anderen verhimmelte, der war der große Mann, bekam die dicksten Streifen und konnte ohne mit der Wimper zu zucken Tausende von Proleten in den Tod schicken.“ Über die Kommunistische Partei urteilt er: „Sie wird uns von Niederlage zu Niederlage führen.“

André Gide befreit ihn

Der Gegner ist besser bewaffnet, besser geführt und hat die Lufthoheit. Domelas Lebensgefährte, den er Manolo nennt, stirbt bei einem Luftangriff vor seinen Augen, „von der Uniform war nur noch der am Halse zusammengehakte Kragen, ein Ärmel und einige Fetzen Tuch unter dem Koppel übrig.“ Der Krieg ist verloren und Domela einmal mehr auf der Flucht. Er wird in Frankreich interniert, André Gide, später französischer Literaturnobelpreis-Träger, befreit ihn aus dem Lager und kann ihm nach jahrelanger Odyssee 1942 sogar eine Passage nach Mexiko besorgen. Das Land ist bereit, ehemalige Spanienkämpfer aufzunehmen.

Doch Domela wird auf Jamaica unter falschen Beschuldigungen von den Briten vom Schiff geholt. Zweieinhalb Jahre bleibt er interniert, bevor ihm die Ausreise nach Kuba gelingt, wo er keine Arbeitsgenehmigung erhält und erleben muss, wie unter den Emigranten Missgunst herrscht. Er versucht, sich das Leben zu nehmen und scheitert.

Wieder ist er ein Illegaler

Mit einem ziemlich windigen, sechs Monate gültigen Papier gelingt ihm die Ausreise nach Venezuela. Dort wird die Aufenthaltsgenehmigung um fünf Jahre verlängert. Und als Lehrer für Kunstgeschichte baut er sich eine bescheidene Existenz auf. Doch nach Ablauf der fünf Jahre ist er wieder ein Illegaler. Selbst für einen Inlandsflug bräuchte er nun Papiere, die er nicht hat.

Und so wird er dann auch nervös, als ihn 1965 gleich zwei Weggefährten von einst in Maracaibo ausfindig machen, seinen Fall veröffentlichen wollen. Verstört registriert er, dass in Europa über Buchrechte seine Person betreffend vor Gericht gestritten, er selbst aber für tot gehalten wird. Die beiden beschwört er zu schweigen, „denn die einzige Behörde, die hier ziemlich gut funktioniert, ist die Fremdenpolizei“.

Irgendetwas muss doch durchgesickert sein. 1966 wird er beschuldigt, ein geflohener Nazi zu sein, und vom Schuldienst suspendiert. Nun bittet er Jef Last, den venezolanischen Behörden gegenüber eine Erklärung abzugeben, dass er im Gegenteil für die spanische Republik gekämpft habe.

Auch in der DDR war er bekannt

Eine Tatsache übrigens, die auch in der DDR bekannt war, aber geflissentlich verschwiegen wurde, wie der Schriftsteller Werner Liersch recherchiert hat. Zwar gab es auch im Fernsehen der DDR einen Film über den Fall Domela, sogar noch vor dem in der Bundesrepublik. Aber auch dort begnügte man sich mit dessen Rolle als falscher Prinz. Mit einem homosexuellen Hochstapler, der in Spanien kein gutes Haar an der Kommunistischen Partei gelassen hatte, wollte man nichts zu tun haben.

Irgendwie schafft es Domela, in Venezuela erneut Fuß zu fassen, sogar noch einmal eine Anstellung als Lehrer zu finden. Seine Probleme begleiten ihn weiter. Im letzten bekannten Brief vom 1. März 1978 heißt es: „Seit ich wieder ein Privatmann bin, haben sich die Komplikationen, die sich aus meinem illegalen Status ergeben, in beängstigender Weise multipliziert.“

Danach gibt es kein Lebenszeichen mehr von Harry Domela alias Victor Zsajka. Acht Jahre später versucht ein holländischer Journalist etwas über seinen Verbleib zu erfahren und richtet eine Anfrage an das Konsulat der Niederlande in Maracaibo. In der Antwort heißt es, Zsajka sei schon vor Jahren mit unbekanntem Ziel verzogen.

Andere Hochstapler

Harry Domela war nicht der Erste und nicht der Letzte, der vorgab, mehr zu sein. Hier einige Fälle, die in der Gegenwart Schlagzeilen machten:

Auf dem Schiff:

Denny H. arbeitete als Arzt auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik, hatte einen Posten bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und betätigte sich zeitweise sogar als Anästhesist. Dafür wurde er gerade in Berlin zu drei Jahren Haft verurteilt, denn der Krankenpfleger hatte in Wahrheit weder promoviert noch studiert oder sein Abitur abgelegt. Bevor er die Dokumente fälschte, die ihn zu Dr. Denny Cato H. machten, arbeitete er zehn Jahre als Krankenpfleger.

Im Bundestag:
Petra Hinz saß ab 2005 für die SPD im Bundestag. Sie gab sich als Juristin aus, hatte aber nie studiert und ihre Schulzeit mit der Fachhochschulreife beendet. Als der Schwindel aufflog, meldete Hinz sich krank. Nach ihrer Entlassung aus der Klinik will sie ihr Mandat niederlegen.

In der Psychiatrie:
Der aus Bremen stammende Gert Postel, gelernter Postzusteller, arbeitete in den 80er Jahren immer wieder als falscher Arzt. Nach der Wiedervereinigung machte er in Sachsen Karriere, stieg zum Professor und Chefarzt eines landeseigenen Fachkrankenhauses für Psychiatrie auf. 1999 wurde Postel zum wiederholten Mal verurteilt. Nach der Haft hatte er Erfolg mit seinem autobiografischen Buch „Doktorspiele“

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