zum Hauptinhalt
Ohren gespitzt! Es gibt interessante Zahlen zu Schweinen.

© Ukrinform/dpa

Das Schwein fliegt vom Teller: Die Gesellschaft wird sich die „Fleischfresserei“ selbst abgewöhnen

Weniger Schwein, mehr Huhn: Die Gesellschaft hat ihre Essgewohnheiten im Coronajahr geändert. Kann die Politik sich ihre Erziehungsmühen sparen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wer sich auf Märkten oder in Discountern vorm Fleischangebot wiederfindet, um etwas zu Brutzelndes, Bratendes, Schmorendes für die Ostertage zu kaufen, darf sich mindestens einer Missbilligung sicher sein: der des Klimas. Je nach individueller Konstitution nörgelt auch die Gesundheit. Und irgendwo im Hintergrund protestiert wahrscheinlich noch das Nutztier als solches.

Die drei Missbilligungsgründe sind immer wieder Thema in aktuellen, mitunter hoch emotionalen Debatten, gleichwohl entfalten sie Auswirkungen aufs praktische Leben mit schneckenartiger Langsamkeit. 2020, das Coronajahr, brachte nun allerdings eine Art Rekord hervor: Der Fleischverzehr ist mit 57,3 Kilogramm pro Person so niedrig wie noch nie, seit das Bundesinformationszentraum Landwirtschaft diese Zahlen erhebt, und das sind fast 30 Jahre.

Besonders Schwein landete im vergangenen Jahr deutlich seltener auf den Tellern der Republik. Der Pro-Kopf-Konsum ging um fast ein Kilogramm zurück. Zu den Gründen dafür gibt es keine belastbaren Daten, nur Mutmaßungen. Vielleicht haben die vielen Berichte und Bilder aus und von den  den Schlacht- und Zerlegebetrieben zum Verzicht getrieben, die im Sommer als Corona-Hotspots Schlagzeilen machten und dann wegen nicht hinnehmbarer Arbeitsbedingungen gleich noch Politikum wurden.

Vielleicht lag es an den Kantinen und Mensen, die lockdown- und homeofficebedingt weniger gut besucht waren als im Vorjahr. Sollte das ein Grund sein, wäre er fundamental. Denn ganz offenbar haben die Menschen, die am Arbeits- oder Lernort kein Schweinefleisch bekamen, es nicht genug vermisst, um es sich zu Hause zuzubereiten. Essen sie es also nur, wenn es ihnen ungebeten aufgetischt wird?

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Fleischkonsum müsse mit Blick auf die Umwelt halbiert werden, forderte gerade erst der Chef des Umweltbundesamts. Eine Botschaft, die an Deutlichkeit und Alltagsrelevanz wenig missen lässt. Allein: Wer soll dafür sorgen?

Die Politik zeigt bei dieser Frage gern mit dem spitzen Finger auf die Endabnehmer, sprich: die Bevölkerung. Deren Konsumverhalten zu verändern nimmt man am liebsten vor. Aber glaubt man wirklich daran, Essgewohnheiten durch Appelle, gar Nationale Aktionspläne beeinflussen zu können? Durch Plakatkampagnen und Imageoffensiven?

"Für'n Appel und'n Ei"? Die neue Klöckner-Kampagne macht wenig Sinn

Gerade hat Agrarministerin Julia Klöckner die nächste gestartet, einer der Slogans: „Mehr Tierwohl gibt’s nicht für’n Appel und’n Ei". Das macht natürlich wenig Sinn, da Appel und Ei hier  für „billig“ stehen, aber ein Ei, sofern es das Wohl des Huhns einpreist, eben nicht mehr billig sein soll. Und das ist keine übertriebene Spitzfindigkeit. Solche Aktionen ärgern jene, die aufmerksam hinschauen und sich für das Thema interessieren, und verpuffen, wo das nicht der Fall ist. 

Wenn das Coronajahr der Politik eine hilfreiche Lektion erteilt hat, dann doch die: Die Bevölkerung ist nicht an Appellen interessiert. Die Bevölkerung interessiert sich für Regularien. Die zu auszuhandeln und zu erlassen gehört zur Arbeitsplatzbeschreibung der Politik.

Die Gesellschaft erzieht sich besser selbst

Die Erziehungsaufgabe übernimmt die Gesellschaft selbst. Sie hat sich einigermaßen das Rauchen abgewöhnt oder auch das Komasaufen, sie wird sich auch die Fleischfresserei abgewöhnen.

Und vielleicht liegt der Rückgang beim Fleischverzehr auch daran, dass Familien im Coronajahr häufiger gemeinsam gegessen haben – und der Nachwuchs sich in die Essenspläne eingemischt hat. Die junge sogenannte „Generation Greta“ ist weiblich geprägt und sehr an Nachhaltigkeit interessiert, und dass Fleisch eine eher männliche Essvorliebe ist, ist ebenso belegt, wie der Umstand, dass es eine negative Klimabilanz hat. Letzteres weiß heute jedes Kind.

Dieses Wissen ist der Anfang. Am Ende ist auch die Frage, was auf den Tisch kommt, eine Frage der Bildung. Und die gibt es tatsächlich nicht „für’n Appel und’n Ei“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false