zum Hauptinhalt
Die Läden sind zu, also kommt keiner - dabei ist es doch trotzdem schön hier: Leipzigs Innenstadt in Pandemiezeiten.

© Peter Endig/dpa-Zentralbild/dpa

Corona-Folgen für die Innenstädte: Sind Citys jenseits von Konsum überhaupt vorstellbar?

Läden zu, nix los: Innenstädte erliegen dem Corona-Lockdown wie Fichten-Monokulturen dem Dürresommer. Was nicht die einzige Parallele ist. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ariane Bemmer

In die Innenstadt gehen, wenn alle Läden geschlossen sind? Wozu denn das? Und so sieht es da in diesen Tagen aus. Kein nachweihnachtliches Gedränge und Geschiebe, weil massenweise Geschenke umgetauscht, Gutscheine eingelöst oder die den meisten Menschen sowieso allerliebsten Geldgeschenke auf den Kopf gehauen werden sollen. Stattdessen: Entschleunigung und Ruhe, leise weht Verpackungsmüll vorbei.

Dabei sind die Schaufenster trotzdem erleuchtet. Man kann in den Straßen herumspazieren wie in einem Park oder Wald und staunen, was sich einem alles zeigt. Man kann den Blick nach oben lenken, über die Schaufenster hinaus, da gehen die Häuser ja weiter, da sind Fassaden, manchmal nicht die schlechtesten. Man kann da einfach so sein, an der frischen Luft, und nichts umtauschen, nichts einlösen, nichts kaufen wollen. Als spazierfreudige Bürgerin, als Bürger und Mensch, nicht als Konsument. Auch wenn sich das befremdlich anfühlt und die Tritte und Blicke, ihrer üblichen Routinen beraubt, unsicher werden.

Die Menschen haben in einer derart überwiegenden Mehrheit ihre Rolle als Konsument und Konsumentin angenommen, dass sie damit bereits ein eigenes Konsumklima erzeugen, das beständig gemessen wird. Die Konsumentenrolle ist nicht nur von elementarer Bedeutung für die Wirtschaft, sie ist für die Einzelnen auch dankbar. Mit wenig Text und null Subtext (man kauft oder nicht, Zwischentöne fallen weg) liefert sie einfache Antworten für zentrale Warums. Warum lernen, warum arbeiten, warum rausgehen, warum hier sein, da sein? Eine akzeptable und sogar erwünschte Antwort lautet immer: um konsumieren zu können.

Geld gegen Ware, je mehr, je besser, das ist der Motor der Gesellschaft, ihr kapitalistischer Geist. In einer Innenstadt herumzulaufen, in der man nichts kaufen kann, lohnt sich unter diesen Gesichtspunkten nicht. Schauen, was man theoretisch kaufen könnte, also gewissermaßen beim bloßen Schaufensterbummel den internen Einkaufszettel füllen, kann man auch im Internet – dafür muss man wirklich nicht rausgehen.

Was werden die Corona-Lockdowns und die damit einhergehende Verschlechterung des Konsumklimas für die Innenstädte bringen? Schon ist von ihrem Sterben die Rede, wie einst vom Waldsterben. Dabei wäre ihnen ironischerweise ja erst mal eine Art Waldwerdung zu wünschen, weil man sie dann um ihrer selbst willen besuchen würde. Dazu müssten die Innenstädte natürlich anders sein.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sie müssten vielmehr auch konsumfreien Raum bieten, an dem man sich aufhalten möchte: geschützte Plätze mit Aussicht und etwas Grün, Bänke, Treffpunkte vor allem, eine Speakers Corner vielleicht und kostenlose, barrierefreie Toiletten. Das wären Orte, an denen sich direkt nichts verdienen ließe. Das muss man sich erst mal trauen.

Ziel war bisher: maximale Flächenausbeutung

Bisher ging der Trend in die andere Richtung. Ziel war maximale Flächenausbeutung. Innenstädte gleichen den Fichten-Monokulturen in deutschen Wäldern, und die sind bekanntlich anfällig für Klimaänderungen. In der Natur ist ein riesiges Umforstungsprogramm angelaufen, weil man den Fehler erkannt hat. Für eine den neuen Zeiten angepasste Innenstadtumplanung könnte die Coronaabstinenz der Kundschaft die augenöffnende Dürreperiode werden. Die Menschen bräuchten dann eine Rolle jenseits der des bloßen Konsumenten. Sollte man auch das Klimaschutz nennen?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false