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Der Flughafen Tegel war ausgelegt für zwölf Millionen Passagiere ausgelegt, 2018 flogen fast 22 Millionen.

© Monika Skolimowska/dpa

Chaos am Flughafen Tegel: „Das hat nix mehr mit Flugbetrieb zu tun“

Verspätungen, verlorene Koffer, Schlangen. André Fernitz gehört zum Bodenpersonal am TXL. Hier erzählt er, was für ihn die Ursachen des Chaos sind.

Ich arbeite seit 30 Jahren in Tegel, fahre Enteiser, schiebe Flieger aus der Parkposition auf den Rollweg, verlade Gepäck. Natürlich war auch früher nicht alles rosa hier, die Sommer waren immer heftig. Aber was die letzten Jahre abgelaufen ist, stimmt absolut traurig. Das hat nix mehr mit Flugbetrieb zu tun. Alles wird ständig weiter in Richtung Flixbus gedrückt. Ran, raus, weg … Und es kommen immer mehr Flieger. Tegel war für zwölf Millionen Passagiere ausgelegt, jetzt haben wir 22 Millionen. Wahnsinn! Wo früher Parkplätze, Büros und Freiflächen waren, stehen nun Terminals.

Trotzdem wollen heute alle für 20 Euro fliegen, die Airlines immer weniger bezahlen und jeder pünktlich das Gepäck bekommen. Wie soll das klappen? Das Personal ist ja nicht mehr geworden. Seit April 2018 hatten wir einen Abgang von mehr als 100 ausgebildeten Kräften. Pro Monat verlassen uns bis zu sieben Mitarbeiter, viele waren 20, 30 Jahre lang dabei. Deren Erfahrung ersetzt man nicht mit Leiharbeitern. Bei einem Treffen der Bundestarifkommission berichteten die Leute von den Flughäfen Berlin, Frankfurt, München, Düsseldorf, Köln und Stuttgart, dass im Durchschnitt 20 Prozent Personal fehlt.

Funktionieren kann eine reibungslose Abfertigung nur noch in der Theorie. Die sieht so aus: Eine Ladegruppe, die meist aus drei Leuten besteht, bekommt einen Auftrag, nimmt sich ihre Gerätschaften, fährt zu der Position, wo die Maschine erwartet wird, und trifft sich dort mit dem sogenannten Ramp Agent. Der guckt, wo was beladen wird, hält die Kommunikation mit dem Cockpit. Braucht das Flugzeug Betankung? Catering? Und natürlich schaut man auch, dass das Flugfeld frei ist, damit da zum Beispiel keine Schrauben liegen, die ins Triebwerk eingesaugt werden können.

"Wir kriegen die Aufträge, da steht die Maschine schon"

Die Realität aber ist: Wir kriegen einen Auftrag rein, wenn die Maschine schon gelandet ist oder sogar schon steht. Normalerweise dürfte die Maschine gar nicht ranrollen, wenn keiner da ist. Aber weil die Ramp Agents oft um mehr als die Hälfte unterbesetzt sind, ist man immer häufiger dazu übergegangen, auch die Bus- oder Treppenfahrer zum Maschineneinwinken auszubilden. Ob dann auch immer der Check gemacht wird, dass das Vorfeld frei ist? Ich nehme jetzt mal an … Hauptsache, die Leute sind möglichst schnell raus. Es gab wohl mal den Fall, dass Passagiere den Flughafen wegen Freiheitsberaubung angezeigt haben, nachdem sie Stunden im Flieger festsaßen, weil keine Treppenwagen da waren.

Ich habe es am Samstag gerade erst wieder erlebt. Wir bekamen einen Auftrag für Turkish Airlines, da war der Flieger schon 40 Minuten an der Position, und dann mussten wir uns erst mal die Gerätschaften zusammensuchen. Wir haben in Tegel ja kaum noch Stellplätze, um unsere Fahrzeuge zu parken, da steht ein Förderband dann mal zwei Kilometer weg. Von anderen Fahrzeugen wie Schleppern oder Highloadern gibt es schlicht zu wenige. Also selbst wenn wir gut besetzt sind, müssen wir manchmal warten, bis ein anderes Team reinkommt und den Schlüssel abgibt. Und dann stehen die Leute eben länger am Gepäckband, als ihr Flug gedauert hat.

Dass wir zu wenige Leute sind, dass die Lufthansa die Koffer für ihre Flüge ausschließlich an Gate 20 abfertigt, dass die Passagiere zum Teil weit zum Flieger laufen sollen, weil kein Bus da ist: Im Grunde geht es dabei immer ums Geld. Ende der 90er Jahre fing die Diskussion über die Liberalisierung und Privatisierung an. Weil man eine höhere Auslastung wollte, hat man Billigheimer wie Ryanair mit Dumpingpreisen nach Berlin gelockt, um mehr Maschinen von Schönefeld aus fliegen zu lassen. Die Verträge waren aber so, dass auch von der Geschäftsführung gesagt wurde: Geht nicht. Wir können nicht mehr kostendeckend arbeiten. Das wissen wir aus den jährlichen Berichten auf den Betriebsversammlungen.

"2012 wurden wir zerschlagen"

Es ging dann viel hin und her, zwischenzeitlich gehörte die Bodenabfertigung mal einem französischen Unternehmen, dann wurden wir zurückerworben. 2008 sind wir verkauft worden an das Dienstleistungsunternehmen Wisag. Dabei hatten wir, um genau das zu verhindern, schon jede Menge abgegeben: 2006 das Urlaubsgeld und ein halbes 13. Monatsgehalt. Das ist bis heute weg. Als der Kündigungsschutz 2012 auslief, hat die Wisag, die heute 80 Prozent der Abfertigung in Tegel macht, uns zerschlagen. Die Werkstatt wurde separiert, der Vorfeldbereich, die Passage, der Kellerbereich. Alles, was mal vernetzt war, wurde zerrissen. Plötzlich waren alles eigenständige Firmen. Und wenn mal ein Problem auftauchte, hat jeder dem anderen die Schuld zugeschoben.

Ich habe gehört, es gibt inzwischen auch eine Menge Ärger zwischen der Flughafengesellschaft FBB und den Abfertigungsfirmen: Wenn sie wollten, hätte die FBB denen wohl längst die Lizenz entziehen können, weil so viel gegen Vorgaben verstoßen wurde.

Weil der Flughafen nicht mehr die Hand drauf hat, leidet auch die Qualität. Hielten wir uns strikt an alles, würde hier alles zusammenbrechen. Wenn wir kein Fahrzeug mehr bewegen würden, wo der Blinker nicht geht, dann gute Nacht. Oder die Geschwindigkeitsbeschränkung. Die wurde von 20 auf 10 km/h gesenkt. Hält sich keiner dran. Mal abgesehen davon, dass viele unserer Fahrzeuge eh keine Tachos haben, würde dann ja alles noch länger dauern. Das ist wie beim Malefiz, man soll so schnell wie möglich ans Ziel kommen, und die anderen stellen einem Steine in den Weg.

"Das wird nicht eingehalten. Wer soll es denn machen?"

Früher war es in Tegel auch so, dass, wenn ein Flugzeug betankt wurde, in dem schon Passagiere saßen, immer eine Feuerwehr dabei war, ein Löschwagen, der direkt auf den Tankwagen und den Flügel gezielt hat. Wenn was ist: Rohr frei. Haben wir heute nicht mehr. Wurde mit dem Einzug von Easyjet und den anderen Billigairlines gestrichen. Zu teuer, hieß es, und natürlich gibt es auch gar nicht so viele Feuerwehrautos. Der Flughafen hat dann einfach die Vorgaben geändert. Klar steht da jetzt drin, es muss jemand am Headset sein und Sichtkontakt zum Tankwagen haben und ausgebildetes Personal und so. Aber wenn was passiert, ist es vorbei. Und dass da jemand die ganze Zeit Sichtkontakt hat, das wird nicht eingehalten. Wer soll es denn machen? Vor allem wenn die Wisag jetzt plant, den Ramp Agent zu streichen. Größtenteils wird heute getankt, während wir andere Sachen zu tun haben.

Auch die Airlines, die uns bezahlen, kommen ständig mit Dingen, wo wir denken: Quatsch. Wenn die Maschinen stehen, sichern wir die, damit sie nicht wegrollen, mit Shocks, so Klötzen, die vor die Räder kommen. Und manche wollen dann nur vorne rechts, die andern vorne links außen und dann bitte jene Hütchen, aber nicht diese. Früher hat man es so sicher gemacht, wie es ging, und gut. Die Lufthansa fängt jetzt auch an mit so einem Mist. Man legt vorne einen ran, dann hinten am Hauptfahrwerk, und dann soll man den Shock vorne wieder wegnehmen. Warum? Wozu? Stören die, nehmen wir die da schon weg. Die Airlines verteilen dann zwar ihre aktuellen Anleitungskärtchen, aber bis die alle haben, sind die auch schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. Wenn man mich fragt, sind das Spielereien von einem, der seinen Posten sichern will.

Für den Körper ist der Job ebenfalls hart. Ich war kürzlich bei einer Untersuchung in der Uniklinik Göttingen, da hat man festgestellt, dass ich im Blut und im Urin Rückstände von Triebwerksöl habe. Ich habe mit Piloten gesprochen, die schalten zum Start die Lüftung aus. Das können wir natürlich nicht. Wenn die Bremsen noch nachrauchen, gehen wir manchmal etwas später an die Maschinen. Rollt dann aber gleichzeitig nebenan der nächste Flieger ran, zieht wieder eine Wolke rüber: Augenreizung und Kotzgefühl. In Triebwerksöl befinden sich an die 130 Giftstoffe.

"Kürzlich haben wir gemessen. Fast 60 Grad!"

Im Winter herrschen draußen auf dem Feld manchmal minus 20 Grad, wenn der Wind bläst. Der Sommer ist das andere Extrem. Unsere Förderbänder haben einen ganz kleinen Fahrerraum, Sitz und Lenkrad, ringsum Glas. Da wurde kürzlich mal gemessen. Fast 60 Grad! Klimaanlage? Haha. Dass die eine Heizung bekommen, dafür haben wir schon kämpfen müssen. Dazu die gelben Plastikwesten. Wir wollten die austauschen gegen welche mit kleinen Luftlöchern. Geht nicht. EU-Vorschrift.

Der Arbeitgeber hat einen Wasserspender eingebaut im Aufenthaltsraum, aber was bringt der mir, wenn ich im Flugzeugbauch schwitze. Am Wochenende war ich in einem Flieger nach Heraklion, da lief ich aus, als hätte ich ein Leck. In 15 Minuten knapp 200 Koffer raus. Dann 200 wieder rein. Das dauert etwas länger, weil man die ja immer schön zu Dreierstapeln auftürmt, 20 Kilo schwer, stehen kann man da nicht. Toll für den Rücken und die Knie.

Wir hatten Fälle, da haben wir Cargopaletten bewegt, die wiegen drei Tonnen. Klemmt bei denen eine Rolle, musste drücken, dabei ist dem Kollegen eine Sehne gerissen. Und die Berufsgenossenschaft sagt: kein Arbeitsunfall, das sei ja aus eigener Anstrengung passiert. Der Fall ist bei der Gewerkschaft registriert. Also, wenn ich nicht aus eigener Anstrengung was mache, passiert hier gar nix.

Und weil das mit der Privatisierung alles so toll geklappt hat, wird nun überlegt, ob man den Markt nicht einfach total öffnet und jeden auf den Flugplatz lässt, der sich einen Schlepper kaufen kann. Ich denke, das ist ein Hochsicherheitsbereich, in dem wir arbeiten!? Wir werden alle fünf Jahre überprüft, wir dürfen sozusagen nicht mal gegen den Baum pinkeln, sonst ist unsere Lizenz weg.

"Viele haben noch einen Job nebenher"

Eine Lösung wäre mehr Personal. Aber das kriegt man mit den Löhnen nicht. 2012 haben wir es immerhin geschafft, einen Flächentarifvertrag in Berlin-Brandenburg zu verhandeln, der ein unteres Limit für Gehälter feststellt. Ab 1. Juli liegt das bei 11,80 Euro. Das ist immer noch 30 Prozent unter dem öffentlichen Dienst. Wenn man guckt, was davon übrig bleibt, ist es viel zu wenig. Nicht nur wegen der steigenden Mieten in Berlin, sondern auch weil die Kollegen, die schon anfangen müssen, wenn noch keine Busse fahren, für ihre Autoparkplätze zahlen sollen. Viele hier haben deshalb noch einen Job nebenher.

Macht irgendwann mal der BER auf, werden alle mit dem Problem konfrontiert sein, dass sie zwar einen Flughafen haben, aber immer noch zu wenig Personal. Am besten wäre, Berlin sagt, wir machen eine eigene Abfertigung. Wir ziehen uns die Leute wieder ran, geben denen eine Perspektive. Dazu haben aber momentan weder der Flughafen und leider auch die Politik nicht den Arsch in der Hose.

Was der Flughafen sagt

80 Prozent der Bodenabfertigung in Tegel übernimmt heute das Dienstleistungsunternehmen Wisag.
80 Prozent der Bodenabfertigung in Tegel übernimmt heute das Dienstleistungsunternehmen Wisag.

© Christoph Soeder/dpa

Wir haben die Berliner Flughafengesellschaft FBB und die Wisag mit André Fernitz' Aussagen konfrontiert.

Die FBB erklärt:

„Grundsätzlich gibt es mit der Anzahl verfügbarer Treppen in Tegel kein Problem. Für Situationen, in denen es zu größeren Verzögerungen kommt, hält die Flughafengesellschaft zusätzliche eigene Kapazitäten vor ... Der Flughafen verfügt über genug Stellplätze für alle Fahrzeuge, auch wenn es an hochfrequentierten Positionen und zu Stoßzeiten durchaus eng werden kann. Wenn es aus Sicht eines Bodenverkehrsdienstleisters zu wenig Stellplätze gibt, kann das mit der Anzahl der angemieteten Flächen zu tun haben ...

Die Prozesse am Flughafen Tegel sind wegen der sehr hohen Auslastung eine ständige Herausforderung für alle Beteiligten. Dabei kommt es mitunter durchaus zu Meinungsverschiedenheiten, aber nicht zu Zerwürfnissen ... Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Straße um den A-Ring wurde auf 10 km/h abgesenkt, um die Unfallgefahr zu minimieren. Das funktioniert.

Dazu werden regelmäßig stichprobenartige Kontrollen durchgeführt ... Für die Betankung von Flugzeugen gibt es von der EASA klare Vorgaben. Innerhalb der gültigen Regelungen ist das Verfahren ,Betanken mit Passagieren an Bord‘ im letzten Jahr angepasst worden. Die Flughafenfeuerwehr ist nur noch bei Flügen an den Positionen A01 bis A014 und der 51 dabei.“

Die Wisag erklärt:

„Am Flughafen Tegel flogen 2018 rund 22 Millionen Passagiere. Die Infrastruktur ist deshalb extrem belastet. Die Mitarbeiter der Wisag geben ihr Möglichstes, um hier Störungen auszugleichen. Das ist leider nicht immer möglich ... Jahrelang hatte die Wisag am Flughafen so gut wie keine Fluktuation, inzwischen gehen auch langjährige Mitarbeiter. Einer der Gründe ist der Arbeitsmarkt. Überall werden Arbeitskräfte gesucht ... Um Unregelmäßigkeiten auszugleichen, bildet die Wisag Mitarbeiter in weiteren Tätigkeitsbereichen aus. Die Mitarbeiter profitieren auch finanziell davon.

Alle in der Flugzeugannahme eingesetzten Mitarbeiter sind für diese Aufgabe vollumfänglich ausgebildet ... Die Wisag entlohnt ihre Mitarbeiter am Standort Tegel auf der Basis des allgemeingültigen Flächentarifvertrags Berlin-Brandenburg mit Verdi ... Die Zusammenarbeit mit dem Flughafen ist konstruktiv und vertrauensvoll ... Die Wisag achtet strengstens darauf, dass alle Vorschriften eingehalten werden. Der Flughafen hat die Regeln zur Betankung innerhalb der geltenden Vorschriften der EASA und der Fluggesellschaften geändert. Die Mitarbeiter der Wisag setzen die Regelungen um, soweit sie in der Abfertigung der Flugzeuge davon betroffen sind.“

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