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Zum Frühstück wird es Austern geben.

© Imago

Champagner in Charlottenburg: „Ich muss dahinziehen! Und einen leicht überteuerten Lieblingsitaliener finden!“

Unser Kolumnist sehnt sich von Neukölln nach Charlottenburg, wo ältere Menschen abends ausgehen statt Flaschen zu sammeln. Ein prickelndes Gedankenspiel.

Dem einen oder anderen Leser wird es vielleicht schon mal aufgefallen sein: Ich wohne in Neukölln. Am Maybachufer. Jetzt nicht direkt am Ufer mit Blick auf den Kanal, so reich wird man mit Tagesspiegel-Kolumnen nun auch nicht, aber doch schon sehr nahe dran.

Mein Kiez um das Maybachufer wurde neulich – ich meine es war so etwas wie die New York Times, auf jeden Fall eine Publikation, die ziemlich gut klang – zu einem der lebenswertesten Stadtbezirke gewählt. Die große Überraschung dabei: Nicht in Neukölln oder ganz Berlin oder deutschlandweit. Nein: Weltweit!

Ich kann mich also nicht beschweren. Allzu viele Menschen wohnen nicht in einem New York Times Top 10 Kiez. Das Problem ist allerdings: Mein Herz fühlt anders. Etwas keimt in mir. Ich würde gerne tief in den Westen ziehen!

In Neukölln gibt es die abgefahrensten Burger. Mit dreifach Käse, mit vierfach Fleisch, einen Meter hoch, mit MDMA, vegetarisch, vegan, vegan und trotzdem mit Patty – aber was mich in letzter Zeit wirklich interessiert: Die Charlottenburger.

Ja, es stimmt. In mir brennt eine große Sehnsucht. Die gute Nachricht: Ich bin quasi bereits Charlottenburger. Ich muss nur 300 Meter gehen, schon bin ich fast dort. Allerdings benötige ich nach diesem kleinen Spaziergang zur Bushaltestelle noch circa 20 Stationen mit dem M29. Aber wenn man dieses Detail beiseitelegt, gehöre ich schon dazu.

Es sah aus, wie ein Picknick auf Fotos der 50er Jahre

Neulich war ich abends mit Freunden in Charlottenburg verabredet. Direkt am Savignyplatz. Auf dem Weg zu dem Lokal, vor dem wir uns treffen wollten, traute ich meinen Augen kaum: Der Savignyplatz war akkurat gemäht, bestens in Schuss. Weit und breit war kein Sperrmüll zu sehen. Stattdessen saßen sieben bis acht kleinere Grüppchen junger Menschen ordentlich und ruhig auf dem kurzen Rasen. Als hätte man sie dort platziert.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Es sah aus, wie ein Picknick auf Fotos der 50er Jahre immer ausschaut. Kurz war ich unsicher, ob hier vielleicht gerade ein Film gedreht wird, der in München spielen soll.

Im Lokal angekommen die nächste Überraschung: In Charlottenburg können anscheinend auch ältere Menschen abends ausgehen. Das gibt es in Neukölln nicht. Die einzigen Älteren, die hier abends noch unterwegs sind, sammeln die Flaschen der Jungen ein.

Zwei Mollen später das nächste positive Ereignis! Der Magen grummelte wie ein BVG-Fahrer und ich wollte eine Kleinigkeit zu Essen bestellen. Ich konnte kaum glauben, was ich auf der Speisekarte entdeckte: EINE ERBSENSUPPE. Versuchen Sie mal, in Neukölln irgendwo eine Erbsensuppe zu bekommen. Nahezu unmöglich. Und hier in Charlottenburg wird die grüne Kohlenhydrat-Köstlichkeit ausgeschenkt als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Es war so schön.

Außerdem trugen die Menschen ganz normale Schuhe. Vielleicht hier und da mal ein paar Sneaker, aber nicht diese Monster, die in Neukölln auf die Füße geschnallt werden. Und der Herr darf zum Abend auch mal ein Sakko tragen. In Neukölln bin ich der Einzige, der noch ein Sakko besitzt!

Dieses kleine Vermögen werden Sybille und ich verprassen

Es steht fest! Ich muss dahinziehen! Dann werde ich einen leicht überteuerten Lieblingsitaliener finden, dessen Besitzer mit persönlicher Anrede so tut, als sähe er mich lieber als die anderen 200 Stammgäste, mit denen er dasselbe macht. Wenn ich nicht gerade bei „Luigi“ bin, sitze ich in der Paris Bar und schaue bei ein, zwei Flaschen Rotem nach, was sich tagsüber am Aktienmarkt getan hat. Wenn das mit dem Aktienmarkt gut läuft, sitze ich natürlich auch schon mittags in der Paris Bar und genieße ein spätes Frühstück mit Austern und einem kleinen Champagnerchen.

Genau dort, beim Austernfrühstück, werde ich dann Sybille von Donnersmark-Wittgenstein kennenlernen. Ihr Mann, Hubert-Joachim-Kasimir von Donnersmark-Wittgenstein, einer der bekanntesten und wohlhabendsten Ärzte Charlottenburgs, hat sie für eine Jüngere verlassen, ihr aber als Wiedergutmachung und auf sanften Druck des exzellenten Scheidungsanwaltes ein kleines Vermögen hinterlassen. Genau dieses kleine Vermögen werden Sybille und ich dann verprassen. Bei „Luigi“, in der Paris Bar oder auch mal ganz rustikal bei einer guten Erbsensuppe. Ab und an schnappen wir uns auch einfach ganz spontan eine Flasche Champagner und setzen uns zu den jungen Leuten auf dem immer noch exzellent gepflegten Savignyplatz.

Dann schaut sie mich an, fühlt sich noch einmal wie damals mit 55 und flüstert mir lächelnd zu: „Ausgezeichnetes Sakko, Peter.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Im Tagesspiegel beleuchtet Peter Wittkamp alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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