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Das Foto wurde bei Burning Man Festivals aufgenommen und stammen aus dem Bildband „Dust to Dawn“ von Philip Volkers (Kehrer Verlag).

© Kehrer Verlag

Burning Man Festival in Nevada: Vorglühen in der Wüste

Hippies in Plüsch und Banker in Gladiatorenkostümen – beim Burning Man Festival feiern Zehntausende bis zur Ekstase. Wer clever ist, gewöhnt sich langsam an den Wahnsinn. Mit einem Roadtrip durch Nevadas Wüste.

Es kann sein, dass das Burning Man Festival das Verrückteste ist, was Nevada zu bieten hat. Und das muss man erst mal schaffen in einem US-Bundesstaat, in dem Las Vegas liegt und angeblich Aliens gelandet sind.

Es ist ein bisschen so, als würden die Außerirdischen aus der Area 51 eine Party feiern mit den Vergnügungssüchtigen aus Sin City. Bis zu 70 000 sogenannte Burner versammeln sich jedes Jahr Anfang September in der Wüste Black Rock Desert. Das Burning Man, das in einer Woche beginnt, ist kein gewöhnliches Festival mit Bühnen und Bier aus Pappbechern und Bratwurst. Außer Kaffee wird hier nichts verkauft. Was die Burner brauchen, bringen sie selbst mit. Es gibt kein Line-up mit großen Namen und kaum festes Programm, sondern Autos, umgebaut zu Kunstwerken und Tempeln, in denen Menschen nackt, in Häschenkostümen oder als Gladiatoren verkleidet Partys feiern.

Auf jeden Fall ist das alles derart verrückt, dass Besucher sich vorher besser akklimatisieren. Und zwar buchstäblich. Temperaturen von 40 Grad aufwärts sind in Nevada normal. Am ersten Tag nicht zu viel Action einplanen, die kommt noch früh genug.

Es gibt einen Roadtrip, der direkt zum Festivalgelände führt, der sogenannte „Burner Byway“. Ausgangspunkt ist Reno. Quasi als Basiscamp und letzte große Versorgungsstation. Die Stadt ganz im Westen von Nevada ist so etwas wie das Einfallstor in die Wüste. Von Süden kommen die Zocker aus Las Vegas über die Interstate 80 raufgefahren, von Westen die Reichen und Schönen aus Kalifornien. Richtung Osten und Norden bloß Staub und Geröll.

Wer hier scheitert, kommt nicht weg

Reno, die selbst ernannte „kleinste Großstadt der Welt“, ist wie ein Mini-Las-Vegas, nur ohne den Glamour. Früher fuhren die Menschen nach Vegas, um schnell zu heiraten, und nach Reno, um sich scheiden zu lassen. Beide Städte tragen Unterhemd, nur sieht Vegas damit aus wie Marlon Brando und Reno wie ein Kfz-Mechaniker kurz vor der Rente. Circus Circus, Silver Legacy, Eldorado: eher Bimmelbude als Bellagio. Drinnen riecht es nach Duftbaum Vanille, was den kalten Qualm übertünchen soll. An den einarmigen Banditen sitzen vor allem Senioren, die manchmal mehr Zigaretten als Zähne im Mund haben.

Draußen, vor den Türen der Casinos, zwischen Pfandleihern und leer stehenden Ladenzeilen, lehnen Obdachlose an den Wänden im Schatten und schnorren ein paar Dollar. Eine Frau hat ihre Decke auf dem Gehweg ausgebreitet und fordert: „Jason Statham for president!“ Die Messlatte für ein geeignetes Staatsoberhaupt hängt tief, wenn schon Actionschauspieler für geeignet gehalten werden.

Als die Immobilienblase platzte, traf das Reno hart. Wer hier scheitert, kommt nicht weg. „Auf der einen Seite die Wüste, auf der anderen Seite die Berge. Ohne Geld hängst du hier fest“, sagt einer, der jede Woche Essen an die Bedürftigen verteilt. Heute gibt es Pasta mit Chilisauce.

Ameisen mit Laserblick stehen neben dem McDonald’s

Reno will dieses Schmuddelimage loswerden. Das Burning Man Festival soll dabei helfen. Selbst wenn es fast 300 Kilometer weiter nördlich stattfindet: Spuren davon findet man überall in der Stadt. Viele Fassaden sind mit Murals, also professionellen Graffitis verziert, alle paar Meter steht eine Skulptur, die von einem der früheren Jahre übrig geblieben ist. Beachbuggys, die aussehen wie Plüschhasen und beim Festival als „Mutant Cars“ Tradition sind. Mad-Max-mäßige Käfige, die in der Wüste zu Tempeln werden. Übergroße Ameisen aus Eisen mit Laserblick. Jetzt stehen sie neben dem McDonald’s in Downtown.

Um sich etwas mehr in Stimmung zu bringen, lohnt sich eine Übernachtung im Morris Burner Hostel. Um hier zu wohnen, muss man Mitglied sein oder Volunteer, also freiwilliger Helfer. Man zahlt entweder einen jährlichen Beitrag von mindestens 20 Dollar oder packt mit an. Ein Mädchen um die 20 steht in der Küche und brät eine Tiefkühl-Asia-Pfanne, ein junger Mann spielt Ballerspiele im Aufenthaltsraum, im Hinterhof vertrocknet der Kräutergarten.

Es wird geflext, gelötet und geschweißt

Das Foto wurde bei Burning Man Festivals aufgenommen und stammen aus dem Bildband „Dust to Dawn“ von Philip Volkers (Kehrer Verlag).
Das Foto wurde bei Burning Man Festivals aufgenommen und stammen aus dem Bildband „Dust to Dawn“ von Philip Volkers (Kehrer Verlag).

© Kehrer Verlag

Eines der Zimmer heißt Kaninchenbau, ein anderes sieht aus wie ein Raumschiff, das nächste ist mit Wandbemalung verziert. Kunst, aber sicher nicht jugendfrei.

Das Hostel gibt es seit 2011. Besitzer Jim Gibson war ein paar Jahre zuvor in Rente gegangen, fuhr zum Burning Man, fand das „lebensverändernd“ und wollte irgendwann nicht mehr 51 Wochen im Jahr auf die nächste Runde warten.

Wer in die Lobby kommt, trifft auf Drehbuchautoren, Ärzte und Banker, auf Techies und Hippies. Für diejenigen, die kein Ticket fürs Festival mehr bekommen haben, wird während der Woche eine Ersatzparty geschmissen – Livestream vom Original auf Großbildleinwand inklusive.

Nicht bloß zuschauen, sondern selbst Hand anlegen kann man ein wenig außerhalb von Reno, in Sparks. In einer 3200 Quadratmeter großen Lagerhalle, genannt „The Generator“. Begonnen haben sie hier 2010 als Besetzer, mittlerweile ist das Projekt offiziell. Es ist eine Art offener Künstlertreff mit fast 200 Mitgliedern. Jeder kann hier auf teure Werkzeuge wie Fräsen oder 3-D-Drucker zugreifen. Es wird geflext und gelötet, gezimmert und geschweißt. Am einen Ende der Halle riecht es nach Sägespänen, am anderen nach Lötkolben. In der Mitte steht ein riesiger Zug aus Holz. Beim Burning Man soll der mit großem Feuerwerk abgefackelt werden. In einem der Verschläge liegt ein faustgroßer Kopf aus Knetmasse. Daneben ein größerer als Drahtgestell. Vorarbeiten zu einer Statue, die vor einigen Jahren beim Burning Man zu sehen war.

Alles wird in die Wüste gekarrt

Im hinteren Teil der Halle laden zwei Architekten Holzteile auf Rollwägen. In den letzten Tagen vor dem Festival wird alles in die Wüste gekarrt. Daraus soll später der größte Tempel des Festivals entstehen. Helfende Hände hat man nie genug. Das Projekt lebt von Volunteers, manche kommen nur für einen Tag, andere die ganzen Schulferien lang. Ein guter Blick hinter die Kulissen des Burning Man, dessen namensgebender Höhepunkt ja von Anbeginn eine überlebensgroße Menschenfigur war, die am sechsten Tag des Festivals in Brand gesteckt wird.

Das Foto wurde bei Burning Man Festivals aufgenommen und stammen aus dem Bildband „Dust to Dawn“ von Philip Volkers (Kehrer Verlag).
Das Foto wurde bei Burning Man Festivals aufgenommen und stammen aus dem Bildband „Dust to Dawn“ von Philip Volkers (Kehrer Verlag).

© Kehrer Verlag

Mittlerweile ist das ein Spektakel, begonnen hatte es als Bierlaunenvoodoo. Jedenfalls geht der Mythos so: 1986 versammelte der Künstler Larry Harvey 20 Freunde am Strand von San Francisco, um seinen Liebeskummer zu vertreiben. Stellte eine Holzpuppe auf und fackelte sie ab. Damals maß der „Burning Man“ noch 2,40 Meter. Fünf Jahre später zog das Festival raus in die Wüste, weil es zu groß geworden war. Auch die Statue. 2014 war sie 32 Meter hoch. Im April starb Harvey, 2018 wird das erste Burning Man Festival ohne ihn.

Durchatmen und die Stille genießen

Was er hinterlässt, ist choreografierte Anarchie. Chaos mit Regeln. Es existieren zehn Gebote für Burner. Dazu zählt der radikale Selbstausdruck genauso wie das Schenken. Mitten in der Wüste kann man schon mal froh sein, wenn einem jemand einen frischen Apfel hinterlässt oder kühle Margaritas mixt. Gebot Nummer acht lautet: keine Spuren hinterlassen. Man befindet sich schließlich in der Natur. Infrastruktur gibt es da draußen keine, und auch wenn die Tickets fürs Festival auf dem Schwarzmarkt locker auf mehr als 1000 Dollar klettern, zahlt niemand der Teilnehmer für eine Rund-um-die-Uhr-Bedienung.

Wenn die Behörden hinterher mehr Müll finden, als in einen Umzugskarton passt, droht den Veranstaltern der Verlust der Lizenz. Denn die Wüste ist voller Leben, auch wenn sie auf den ersten Blick unwirtlich wirkt. Auf dem Weg von Reno nach Black Rock City kommen Burner am Pyramid Lake vorbei. Der heißt so wegen seiner geometrisch nahezu perfekt im Wasser liegenden Felsformation. Max Ernst hat das Motiv gemalt. Durchatmen und die Stille genießen, die nächsten Tage wird es davon nicht viel geben. Das Wasser ist türkis wie der Pazifik, nur die Strände schroffer und einsam. Einige Kilometer weiter nördlich trifft das auch auf die Menschen zu. Gerlach ist der letzte Ort, eher eine Siedlung. Finale Stärkung in Bruno’s Country Club. Die Bedienung tritt vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Wundert sich, was einen hier rausverschlage. Das Leben sei hart, nur Hillbillys und Trucker.

Aber bald sei das ja wieder anders. Dann kommen für ein paar Tage die Partyverrückten aus aller Welt.

Reisetipps für Nevada

Hinkommen

Mit United Airlines von Berlin nach Las Vegas, Tickets ab etwa 700 Euro. Von dort am besten mit dem Auto die Interstate 80 Richtung Norden nach Reno.

Unterkommen

Zentral: Whitney Peak Hotel. Doppelzimmer ab 140 Euro pro Nacht, whitneypeakhotel.com.

Mit Casino: Peppermill Resort. Ab etwa 200 Euro pro Nacht, peppermillreno.com.

Alternativ: Morris Burner Hostel. Nur Mitglieder, ab 20 Dollar, morrisburnerhostel.com.

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