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Deniz Yücel hat ein Buch über seine Zeit in türkischer Haft geschrieben: "Agentterrorist"

© imago images / Sven Simon

Buchvorstellung "Agentterrorist": Deniz Yücel berichtet Berliner Häftlingen von seiner Zeit im türkischen Knast

Anderthalb Jahre nach seiner Freilassung aus türkischer Haft, betritt Deniz Yücel wieder ein Gefängnis. Diesmal zum Erfahrungsaustausch.

Von Andreas Austilat

Die Häftlinge kommen gleich zur wichtigsten Frage: "Was gab es zu essen?" Deniz Yücel, weißes T-Shirt, Jeans, Seehundschnauzer und graue Wuschelhaare, antwortet knapp: Zweimal täglich warm. Er wäre schon froh, sagt darauf der Gefangene unter Gelächter, wenn sein Essen einmal warm wäre.

Deniz Yücel sitzt in der schummrigen Kapelle der Justizvollzugsanstalt Moabit hinter einem mit weißem Tuch verhängten Tisch vor etwa 30 Häftlingen und insgesamt 60 Zuschauern. Drogendelikte, Gewalt, organisierte Kriminalität, sagt einer der Aufseher, alles dabei. Es war, das stellt Yücel zu Beginn fest, nicht seine Idee, hier seine Lesereise zu beginnen.

Yücel, von Februar 2017 an 367 Tage in türkischer Haft, hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Vor gut einem Jahr, kurz nach seiner Freilassung, hatte er den Wunsch geäußert, mal ein deutsches Gefängnis von innen zu sehen. Der Sprecher der Justizverwaltung lud ihn daraufhin ein. Nun ist er hier - zu einem ungewöhnlichen Erfahrungsaustausch.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan konnte sich nicht entscheiden, ob Yücel nun ein deutscher Agent oder ein PKK-Terrorist sein solle. Daher der Titel des Buches: "Agentterrorist".
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan konnte sich nicht entscheiden, ob Yücel nun ein deutscher Agent oder ein PKK-Terrorist sein solle. Daher der Titel des Buches: "Agentterrorist".

© dpa

Warum er denn eigentlich eingefahren sei, will einer der Häftlinge wissen. Es waren wohl, sagt Yücel, Recherchen zum türkischen Energieminister und seine Verwicklungen in einen Korruptionsskandal. Der Energieminister nämlich ist der Schwiegersohn des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Vorwurf aber, der ihm dann gemacht wurde, war ein anderer: Agententätigkeit und Terrorpropaganda.

Der Titel des Buches „Agentterrorist“, das er am Montag vorstellt, erst in Moabit und anschließend im Festsaal Kreuzberg, ist ein ironischer Kommentar auf Erdogan, der sich im März 2017 in einer seiner öffentlichen Tiraden nicht entschließen konnte, ob Yücel Agent der Bundesrepublik oder doch ein der kurdischen PKK nahestehender Terrorist ist.

Er schreibt über die Verletzungen, die seine Haft hinterlassen hat

In seinem Buch verarbeitet Yücel sowohl die Zeit seiner Haft, als auch die politischen Verhältnisse, die dazu geführt haben. Es ist keine Abrechnung mit der Türkei und auch kein „Midnight Express“ Teil zwei - in Anlehnung an jenen Hollywoodthriller, der in der Türkei wohlbekannt aber auch verhasst ist wegen der darin kolportierten Zustände in türkischen Gefängnissen. Es ist der wohlüberlegte Bericht eines Mannes, der sich nie aufgegeben hat, nicht zuletzt auch dank der überwältigenden Solidarität, die er quer durch die meisten Parteien und alle Gesellschaftsschichten erfuhr. Darüber aber nicht die Verletzungen verschweigt, die so eine Erfahrung mit sich bringt.

Der Unterschied zwischen dem Knast in Berlin und in der Türkei

Silivri Nummer Neun, das Gefängnis bei Istanbul, in dem Yücel die längste Zeit festgehalten wurde, ist ein moderner Knast, mit geregeltem Arztbesuch und Kameras an jeder Ecke. Er darf einen Kühlschrank kaufen und einen Fernseher. Doch er bleibt neun Monate in Isolationshaft. Und durch Willkür bedroht, die jederzeit Zutritt hat. „Gefängnis“, schreibt er, „ist weniger ein Ort, aus dem ich nicht raus kann, wann ich will, als ein Ort, an dem die Macht zu mir rein kann, wann sie will.“ Und Willkür, das macht er in Moabit deutlich, ist der wichtigste Unterschied zwischen hier und dort.

Überlastete Staatsanwaltschaften, die nicht rechtzeitig Anklage erheben, gibt es auch in der Bundesrepublik. Doch die Frist beträgt hier sechs Monate. Yücel bleibt ein Jahr im Ungewissen, schlimmer, er ist kein Einzelfall. 319 Journalisten wurden seit dem Putschversuch gegen Erdogan 2015 verhaftet. Am 30. Juni 2019 sollen noch 133 in Haft gewesen sein. Neuere Zahlen sind nicht bekannt.

Früher manipulierten sie Beweise, jetzt verzichten sie ganz drauf

Yücel übt in seinem Buch Kritik. Am Regime Erdogan sowieso, den er mehrfach einen Opportunisten nennt, dem es vor allem um die Macht um jeden Preis gehe, weil er fürchten muss, ansonsten selbst vor Gericht zu landen. In früheren Zeiten, etwa in jenen der Militärdiktatur, seien Aussagen, durch Folter erpresst worden, später habe man sich damit begnügt, Beweise zu manipulieren, heute würde auf Beweise ganz verzichtet.

Es sei nicht seine Idee gewesen, sagt Yücel, ausgerechnet im Gefängnis in Moabit zuerst aus seinem Buch zu lesen.
Es sei nicht seine Idee gewesen, sagt Yücel, ausgerechnet im Gefängnis in Moabit zuerst aus seinem Buch zu lesen.

© dpa

Die heutige Türkei, sagt Yücel, langjähriger Istanbul-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, strebe nicht die in Diktaturen übliche Friedhofsruhe an, dieses autoritäre Regime stellt sich Wahlen, so unfair die Bedingungen auch seien mögen. Es sei auch zweitrangig, wer gerade verhaftet werde oder freigelassen, eine gewisse Zirkulation nutze dem Anschein von Rechtsstaatlichkeit. Hauptsache, man erzeugt ständig neue Feindbilder, hinter denen sich die eigenen Anhänger versammeln.

"Eine Frau an deiner Seite macht dich unbesiegbar!"

Yücels Fazit lautet denn auch, dass die deutsche Politik über Erdogan hinausdenken müsse, immerhin zeigt dessen Regime nach den Kommunalwahlen in diesem Jahr Risse.

Aber sei er nicht am Ende eine Geisel gewesen, will ein Häftling wissen, die schließlich ausgetauscht wurde, im Gegenzug für die Panzer, die die Türkei so dringend wünschte. Yücel weist das zurück, er selbst habe immer wieder betont, für keinen Deal zur Verfügung zu stehen und dies auch öffentlich gemacht. So oft und so lange, dass es schließlich Stimmen gab, die ihm bescheinigten, womöglich wäre er früher entlassen worden, wäre er nicht so widerborstig gewesen. Doch dann, sagt er, hätte er auch nicht die Solidarität erfahren, die ihm geholfen habe, diese Zeit zu überstehen.

In seinem Buch erzählt Yücel auch, dass er es war, der den Petersilienstrauß im Knastladen kaufte und seiner Frau bei seiner Freilassung mitbrachte.
In seinem Buch erzählt Yücel auch, dass er es war, der den Petersilienstrauß im Knastladen kaufte und seiner Frau bei seiner Freilassung mitbrachte.

© imago/Gokhan Danac

Den größten Beifall erhält er, als er die Rolle seiner Frau Dilek Mayatürk hervorhebt, die ihn erst in der Haft geheiratet hat, andernfalls hätte sie ihn unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes gar nicht besuchen dürfen., „Eine Frau an deiner Seite macht dich unbesiegbar“ ruft ein Häftling dazwischen. „Vielleicht nicht gerade unbesiegbar“, antwortet Yücel, der Rest geht im immer noch anhaltenden Beifall unter. Die schweren Jungs, sie geben sich plötzlich zart.

Die Schläge waren nicht das Problem

Den schwersten Vorwurf, den er in seinem Buch erhebt, spart er in Moabit aus. Es ist der der Folter. Gleich zu Beginn und auf dem Höhepunkt einer öffentlichen Hetzkampagne in türkischen Medien, hätten ihm sechs Aufseher drei Tage lang Gewalt angetan. Er habe schon schlimmeres erlebt, als die paar Schläge. Es war die Erniedrigung und das Gefühl des Ausgeliefertseins, die ihn traumatisiert habe.

Dieses Trauma spürt man in seinem Buch zwischen den Zeilen. Denn, dass er zweimal den Kopf beugte als das von ihm verlangt wurde, erst am dritten Tag widersprach, das hat ihn zutiefst beschämt. Und am Ende jene Hartnäckigkeit befeuert, die ihn hinderte, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.

"Jeder von uns würde rennen", sagt ein Häftling

Diese Sturheit gefährdete am Ende sogar seine Freilassung, als er sich weigerte eine deutsche Regierungsmaschine zu besteigen, bereit ihn auszufliegen. Das hätte ihn doch in türkischen Augen tatsächlich zum Agenten abgestempelt, findet Yücel.

„Jeder von uns“, sagt ein Häftling, die muskulösen Arme sind tätowiert, würde rennen, böte man ihm ein solches Flugzeug. „Ganz egal wer das da hinstellt.“

Nach anderthalb Stunden Gespräch mit den Häftlingen ist Schluss. Die beiden Exemplare, die er mitgebracht, überlässt Yücel der Gefängnisbücherei. Zum Vorlesen ist er gar nicht gekommen.

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