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Küsse von einer Fremden – das war Paul McCartney schon 1964 augenscheinlich zu viel der Nähe. In der Corona-Pandemie raten britische Mediziner ganz offiziell davon ab.

© imago / United Archives

Britische Empfehlungen in der Corona-Pandemie: „Du bist selbst Dein bester Sexpartner“

Verstockte Briten? Vorurteil! Um Abstandsregeln und Sexualität zu vereinbaren, gibt es im Vereinigten Königreich jetzt einige Tipps

Das vergnügliche Motto „No sex, please, we are British“ gilt schon lang nicht mehr. Der Dichter Philip Larkin gab als Geburtsjahr des Geschlechtsverkehrs 1963 an, was angesichts seiner Lebensdaten (1922-85) auf etwas trübsinnige erste Jahrzehnte hinweist. Später delektierten sich Briten wie Deutsche gleichermaßen an den einschlägigen Eskapaden im Hause Windsor, vom Zehgelutsche (passiv: die Herzogin von York) bis zur Tampon-Phantasie (aktiv: der Prinz von Wales). Leider herrscht an dieser Front derzeit Ruhe.

In Anthony Powells (1905-2000) 12-bändigem Romanzyklus „Ein Tanz zur Musik der Zeit“, vom Elfenbein-Verlag verdienstvollerweise in einer hervorragenden Übersetzung auch deutschen Lesern zugänglich gemacht, geht es um Sex meist nur indirekt.

Zwar wechseln Frauen und Männer der englischen Upper Class von den 1920er Jahren an ganz ungeniert und häufig die Partner; die Rede ist dann aber doch von längerfristigen Beziehungen, sogar - shocking! - von Scheidungen und neuen Ehen. Auf den Erzähler Nicholas Jenkins wartet eine Geliebte einmal nackt auf der Türschwelle, aber damit sind die erotischen Andeutungen schon wieder vorbei. Später bekommt seine Frau zwei Kinder, ohne nähere Erläuterung.

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Heute beschäftigt jede Londoner Zeitung, die auf sich hält, eine Fachfrau zu dem wichtigen Thema. Früher nannten die Kolumnistinnen sich Kummerkastentante („agony aunt“), heute schreibt mindestens eine Sexualberaterin („The Times“), wenn nicht sogar, ganz progressiv, eine Sexualtherapeutin („The Guardian“) über die mehr oder weniger aufregenden Probleme der Kundschaft. Im Lockdown wurde patriotisch der Wiederentdeckung der lang vernachlässigten Partnerin beziehungsweise des Partners das Wort geredet, gern auch einmal eine Testreihe zu neuen Entwicklungen des Dildo-Design gedruckt.

Intimität und Abstand

Ins gleiche Horn bläst nun eine Lobbygruppe für Sexualaufklärung mit Ratschlägen zur Risikoverminderung beim Sex in Covid-Zeiten. Es sei nämlich höchste Zeit, findet der Terence Higgins Trust (THT), eine Balance zu finden zwischen der löblichen Absicht, eine Ansteckung mit Sars-CoV-2 zu vermeiden, und „unserem Bedürfnis nach Sex und Intimität“. Die Lösung liegt zunächst in den Händen der Bedürftigen: „Du bist selbst Dein bester Sexpartner“, teilt Michael Brady, medizinischer Direktor der ursprünglich zur Aids-Aufklärung gegründeten Wohltätigkeitsorganisation, in einer Kolumne mit - eine Aufforderung also zur Beschäftigung mit den sogenannten Erwachsenen-Spielzeugen, die es auf jeder Drogerie-Website zu kaufen gibt. Sex im eigenen Haushalt sei auch sehr Covid-sicher.

Soweit, so gut. Dann kommt Brady auf Spannenderes zu sprechen: Miteinander reden, naja, das versteht sich gewissermaßen von selbst. Freilich lauern bei der Abfrage etwaiger Corona-Symptome ganz eigene Risiken, auf die mit üblicher großer Geste der meinungsstarke Journalist und konservative Aktivist Toby Young hinweist.

Dating für Covid-Skeptiker

Der 56-Jährige hat ein Anbahnungsforum für Covid-Skeptiker und „Hygieniker“ gegründet. Offenbar sollen sich dort jene einfinden, die der einen oder anderen Verschwörungstheorie anhängen oder wenigstens die Lockdown-Maßnahmen für viel zu streng halten. Die Risiken des Virus würden „furchtbar übertrieben“, findet Young und vergleicht die Wahrscheinlichkeit für 65-Jährige, an Covid-19 zu sterben, mit der Chance, in einem Verkehrsunfall das Leben zu lassen. Also nichts wie ran an die Distanz-freien Kontakte. Aber wie?

Dazu hat wiederum Medizinaldirektor Brady Allerlei beizutragen. Wer mag, darf ruhig einen Gesichtsschutz tragen, von Küssen wird nämlich – Young-Jünger, jetzt weghören! – abgeraten. Ausdrücklich empfohlen hingegen werden solche Stellungen beim Sex, bei denen sich die Partner nicht in die Augen schauen können.

Leider fehlen dazu nähere Erläuterungen, ganz anders als bei einem anderen heiklen Thema: Beim Oralsex solle man Kondome verwenden „oder dams“ - dams? Bei diesem unschuldigen Wort dachte man bisher an einen Staudamm, gemeint ist diesmal ein Schutztuch. Ganz ohne Mysterium geht es beim Thema „Die Briten und der Sex“ also auch weiterhin nicht.

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