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Grandiose Kulisse. Die Seebühne der Bregenzer Festspiele mit dem Bühnenbild von „Turandot“.

© Bregenzer Festspiele

Bregenz am Bodensee: Sinfonie der Kleinstadt

Schwimmen im Bodensee? Unbedingt! Danach ins Museum? Auf jeden Fall! Und dann sind da ja noch die Festspiele. Ein Kulturtrip nach Bregenz.

Ouvertüre

Wenn das Wetter mitmacht, ist die Atmosphäre nicht zu überbieten: mit 6900 anderen Menschen zusammen auf der riesigen Tribüne zu sitzen und auf den Bodensee hinauszuschauen, während der Tag seinem Ende entgegendämmert, in flammenden Rottönen oder mit einer spektakulären blauen Stunde. Und wenn im Dunkel dann das ganze Ufer zu flimmern beginnt, als wären überall Glühwürmchen-Schwärme unterwegs – und nicht Autos –, brechen unten auf der Bühne noch einmal existenzielle Gefühle auf, geht das Drama in seine letzte Runde, mit Herz, Schmerz und hohem C. „Vincerò“ schmettert der Tenor, „Ich werde siegen!“, weil er davon überzeugt ist, dass er seinen Namen vor Turandot geheim halten kann – was wiederum die Bedingung dafür ist, dass sie, die „mit Eis gegürtete“ Prinzessin, ihren Widerstand aufgibt gegen eine Heirat mit Calaf. Ein Windhauch geht über den See, sanft kräuseln sich die Wellen, passend zur Gänsehaut, die das Publikum jetzt kollektiv durchschauert. Bregenz, das ist ganz große Oper.

Erster Akt

Diese Mauer ist nicht made in China. Der Wehrwall, der majestätisch über dem Bodensee schwebt, auf 72 Metern Länge, und der in seiner geschwungenen Form auch an einen fliegenden Drachen erinnert, wurde von 40 Handwerksbetrieben aus der Region hergestellt. Oper ist die Manufaktum-Kunst schlechthin, hier werden lauter vom Aussterben bedrohte Fertigkeiten gebraucht, von den Maßschuhen für die Sänger bis zur Kaschur der Dekoration, also dem Vortäuschen von Steinquadern beispielsweise, die natürlich aus einem viel leichteren Material bestehen. Weil sich die Bregenzer Festspiele nicht nur als Tourismusmotor des österreichischen Bundeslandes Vorarlberg verstehen, sondern auch als Vermittler von Know-how, versuchen sie, möglichst viele Betriebe vor Ort in den Herstellungsprozess der extrem aufwendigen Bühnenbilder einzubeziehen.

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23.000 Stahl- und 6000 Holzteile wurden in der 335 Tonnen schweren „Turandot“-Kulisse verbaut, hinzu kommen 1000 LED-Platinen für die gigantische Videowand im Zentrum der Szene. Zwei Jahre lang muss die chinesische Mauer für Puccinis Meisterwerk funktionstüchtig bleiben, bis zu 60 Grad Temperaturschwankungen aushalten, vom Wintersturm mit Schnee und Eis bis zur August-Gluthitze. Weil sie nun einmal die beste Werbefläche ist, die sich ein Opernfestival wünschen kann, wird die Dekoration der jeweils zwei Sommer lang gespielten Seebühnen-Produktionen nicht abgebaut. Und macht so jeden, der die kurorthaft herausgeputzte Uferpromenade entlang spaziert, neugierig auf ein Spektakel, das dem 28.000-Einwohner-Städtchen zur besten Reisezeit im Juli und August jeweils rund eine Viertel Million Besucher beschert.

Zweiter Akt

Bregenz ist die zweitkleinste Hauptstadt eines österreichischen Bundeslandes. Mit Fußgängerzone zur Befriedigung des regionalen Shoppingbedarfs, aber auch mit einer bezaubernden, von einem mittelalterlichen Festungsring umschlossenen Oberstadt, zu der man durch enge Gassen hinaufkraxeln kann. Einmalig ist die Lage, mit dem Bodensee im Blick und den Alpen im Rücken. Per Gondel ist der 100 Meter hohe Hausberg Pfänder zu erreichen, dahinter erstrecken sich Wanderparadiese mit dem Piz Buin als höchstem Gipfel.

Das Erstaunlichste an der Provinzmetropole Bregenz aber ist die Kulturmeile, die nicht von einem findigen Werbefuzzi zu Vermarktungszwecken erfunden wurde, sondern sich tatsächlich am Ufer des Bodensees entlangzieht.

Da ist zum Beispiel der Würfel von Peter Zumthor. Der Schweizer gilt als anstrengendster Baukünstler der Gegenwart, in Berlin, wo Zumthor eigentlich die Topografie des Terrors bauen sollte, kapitulierte man irgendwann entnervt vor den Forderungen des Detailfetischisten. Die Bregenzer hielten durch und bekamen einen Bau von atemberaubender Schlichtheit, dessen innere Betonwände man streicheln möchte, so weich scheinen sie, und deren Milchglaswände überirdisch schönes Licht spenden. Schon als reine Hülle ist das Kunsthaus ein Erlebnis, selbst wenn gerade keine Werke von Louise Bourgeois, Ai Weiwei oder, wie in diesem Sommer, dem Ägypter Wael Shawky zu sehen sind.

Gleich nach dem benachbarten Landestheater folgt dann ein weiteres Ausstellungshaus, das Vorarlberg-Museum, jüngst renoviert und um einen architektonisch ebenfalls ambitionierten Anbau erweitert. Und der hat es auch noch in sich: Mit Heimatkunde im klassischen Sinne hat man hier nichts am Filzhut, die Präsentation der Lokalgeschichte mutet geradezu experimentell-avantgardistisch an in ihrem überbordenden Mix aus Alltags- und Kunstgegenständen, mit ihren Vitrinen, in denen sich gleich dutzendweise Hüte, Hocker und Heiligenfiguren drängeln.

Dritter Akt

Um zum Festspielbezirk zu gelangen, muss man nur die Unterführung am Bahnhof nehmen und ein wenig die Uferpromenade entlangschlendern, dann öffnet sich auch schon der weite Vorplatz mit den Wasserspielen. Rechterhand sind im Sommer die Cateringzelte aufgebaut, geradeaus erhebt sich ein Komplex, der nicht nur als Foyer für die Seebühnenbesucher dient, sondern auch noch ein Theater mit 1650 Plätzen beherbergt sowie die Probe- und Verwaltungsräume. Vermeintlich festlichen Hochkulturschnickschnack gibt es auch hier nicht, das zuletzt 2006 erweiterte Haus ist maximal funktional ausgerichtet. Weil es zum einen allabendlich enorme Besucherströme zu kanalisieren gilt, und weil Oper in Bregenz traditionell ein populäres Vergnügen ist.

Trubel vor dem Jubel. Ambiente am Vorplatz der Seebühne.
Trubel vor dem Jubel. Ambiente am Vorplatz der Seebühne.

© Bregenzer Festspiele / andereart

Vor 70 Jahren ging alles los, schon damals war der Seeblick inklusive, Mozarts Frühwerk „Bastien und Bastienne“ wurde auf einem Kieskahn gespielt, auf einem zweiten saß das Orchester. „Unglaublich“, sagt Intendantin Elisabeth Sobotka, „dass ein paar Musikverrückte in der massiv zerstörten Stadt 1946 die Energie aufgebracht haben, ein neues kulturelles Leben aufzubauen. Was für eine Weitsicht!“

Schnell wurde das sommerliche Musiktheater zum Publikumsmagnet, professionalisierte sich. Mit den Wiener Symphonikern wurde zudem ein Spitzenorchester gewonnen. Längst schon spielen die Musiker nicht mehr unter freiem Himmel, und auch die Zeiten, in denen sie in eine Betonwanne unterhalb der Bühne gezwängt wurden, sind vorbei. Heute werden sie aus einem klimatisierten Saal im Festspielhaus zugespielt. Möglich macht das ein 430.000 Watt starkes Soundsystem, dessen Abkürzung man sich leicht merken kann – weil es dem Hörer nach den ersten Aufführungsminuten automatisch entfährt: BOA.

Clou der „Bregenz Open Acoustics“ sind die 900 Lautsprecher, die wie ein Ring die Zuschauertribüne umgeben und in den Dekorationen versteckt sind, sodass sich der Klang synchron zu den Darstellern auf der Bühne bewegen kann. Strebt der Bariton nach links, hört man seine Arie auch von dort, klettert die Sopranistin auf die Spitze der 27 Meter hohen Chinesischen Mauer, folgt ihr auch ihre Stimme.

Finale

Klingt alles zu schön, um wahr zu sein? Nun ja, zwei Risikofaktoren gibt es. Das Wetter natürlich, das hier arg wendisch ist, blitzschnell wechseln kann, zum Guten wie zum Schlechten. Jeder Stammgast der Festspiele erinnert sich an Nächte, bei denen er bibbernd das Schicksal der heroisch durchspielenden Sänger verfolgte. Oder an schaurige Abende, grundiert vom Rascheln der Regenpelerinen, weil immer wieder ein paar Tropfen runterkamen.

Und dann ist da natürlich das Problem der Verkehrslogistik. Wenn 62 Prozent der Besucher aus Deutschland anreisen, und zwar vom nur wenige Kilometer entfernten Lindau her, über die einzige Uferstraße, dann staut sich da schnell was zusammen. Wer klug ist, nimmt also den Zug, zumal sich der Bahnhof direkt vis-à-vis vom Festspielbezirk befindet und nach Vorstellungsende eine Rückfahrt garantiert ist.

Richtig romantisch ist es, per Schiff anzureisen: in 30 Minuten von Lindau oder auf einer Drei-Stunden-Fahrt samt Abendessen an Bord ab Konstanz oder, als Minimal-Cruise, von Lochau aus, dem östlichen Vorort von Bregenz, wo zudem das „Seehotel am Kaiserstrand“ nicht nur mit einer der wenigen direkten Seeterrassen lockt, sondern zudem ein elegant-modernes Badehaus bietet, von dem man aus direkt in die kalten Fluten springen kann. An jenen heißen Tagen, derer es hier auch viele gibt, als Abkühlung, bevor dann das Blut in Wallung kommt, nach Sonnenuntergang, wenn auf dieser verrückten Bühne im Wasser halb Peking mit bunten Lampions und Fackeln zwischen 200 Terracottakriegern tanzt, zu Ehren der Prinzessin Turandot.

Prächtig schlicht. Das Kunsthaus von Peter Zumthor am Seeufer ist schon von außen ein Erlebnis – innen wechseln große Ausstellungen.
Prächtig schlicht. Das Kunsthaus von Peter Zumthor am Seeufer ist schon von außen ein Erlebnis – innen wechseln große Ausstellungen.

© imago

Tipps für Bregenz

Anreise
Mit der Bahn ist man von Berlin mit Umsteigestationen in Frankfurt und Stuttgart in gut neun Stunden in Bregenz. Will man nur einmal umsteigen, dauert es über München zehneinhalb Stunden. Direktflüge nach Friedrichshafen am Bodensee gibt es erst ab Ende Oktober, bis dahin muss man über Frankfurt fliegen (Lufthansa, ab 290 Euro). Eine Alternative ist der Weg über Zürich, günstige Flüge haben Air Berlin und Swiss. Vom Airport fährt ein Direktzug nach Bregenz.

Festivaltickets
Puccinis „Turandot“ wird auf der Seebühne bis 21. August gespielt, jeweils ab 21 Uhr. Die Ticketpreise beginnen samstags bei 52 Euro, an allen anderen Tagen bei 30 Euro. Die Festspiele bieten auch jede Menge weitere Veranstaltungen an: Sinfoniekonzerte im Festspielhaus, Experimentelles auf der Werkstattbühne, „Musik & Poesie“ im Seestudio, Mozarts „Don Giovanni“ mit jungen Sängern im Landestheater.

Ausstellungen
Beide Bregenzer Museen sind täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet (Erwachsene 9/7 Euro, Kinder frei). Im Kunsthaus zeigt der Künstler Wael Shawky „Cabaret Crusades“ – die Geschichte der Kreuzzüge, erzählt als Marionettentheater. Im Vorarlberg-Museum sind derzeit Bühnenbildmodelle der Festspielgeschichte ausgestellt.

Übernachten
Eine bewegte Geschichte, unter anderem als Notunterkunft für Flüchtlinge aus dem Sudentenland und als Kaserne, hat das „Seehotel am Kaiserstrand“ hinter sich. Seit 2010 wird das Haus wieder als noble Herberge betrieben, mit eigenem Badehaus und riesiger Seeterrasse (DZ ab 166 Euro).

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