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Stefan und Renate Loose mit Mischa Anfang 1984 auf dem Penang Hill, Malaysia.

© privat

„Blutegel lassen sich einfach abschnipsen“: Traveller-Legenden erzählen – die Looses packen aus

Die erste Auflage der Stefan-Loose-Reiseführer vermoderte in einem Berliner Keller, heute sind Millionen mit ihnen unterwegs. Ein Doppelinterview.

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Frau Loose, Herr Loose, seit mehr als 40 Jahren reisen Sie beruflich durch die Welt und bewerten Sonnenuntergänge, Guesthouses, Garküchen. Ein paar kurze Fragen zum Warmwerden: Die idyllischste Insel, auf der Sie je waren?
Stefan Loose: Ich kenne keine Idylle. Ganz ehrlich. Gerade Inseln haben oft große Probleme.

Die Robinson-Crusoe-Romantik der kitschigen Postkarten existiert doch.
Renate Loose: Klar, der erste Eindruck ist manchmal: Boah, ist das schön hier! Aber dann gibt es kein Süßwasser zum Duschen. Die Haut fängt an zu jucken …

Inseln sind nicht so Ihr Ding.
RL: Wir reisen nicht, um am Strand zu liegen! Sondern um die Kultur und die Menschen kennenzulernen.

Okay. Das urigste Bergvolk, das Sie je besucht haben?
RL: Wir sind in letzter Zeit öfter in Arunachal Pradech unterwegs, weil wir geholfen haben, da eine Schule für 100 Kinder aufzubauen. In Indiens Nordosten, am Südrand des Himalaja, leben rund 50 Ethnien, jede mit einer eigenen Sprache. Ein uralter Mann kam kürzlich auf uns zu: „Ihr seid die ersten Weißen, die sich bei uns blicken lassen.“ Dort in den Bergen ist noch echtes Hilltribe-Feeling spürbar.

Wie wichtig sind eigentlich solche Geheimtipps, wenn man alternative Reiseführer schreibt? Ihre Zielgruppe ist besonders scharf drauf, oder?
SL: Wir haben uns damit sehr zurückgehalten. Schon weil ein Geheimtipp, der in einem Reiseführer steht, garantiert keiner mehr ist.

Stefan und Renate Loose 2020 in ihrer Kreuzberger Wohnung.
Stefan und Renate Loose 2020 in ihrer Kreuzberger Wohnung.

© Mike Wolff

Im „Lonely Planet“ über Indien wurde mal ein Lokal empfohlen, in dem es die besten Masala-Omeletts der Welt gebe. Das wurde von Touristen überrannt, die alle nichts anderes mehr bestellten. Der Restaurantbesitzer musste 10 000 Eier in der Woche kaufen und verbraten. Drum herum haben lauter Omelett-Buden mit Schildern „Highly recommended by Lonely Planet“ aufgemacht.
RL: Ich kenne das aus Rajasthan, wo sich in einer Straße ein „Best Lassie Shop, recommended by Lonely Planet“ an den nächsten reiht.

Haben Sie mal jemanden mit einem Tipp in einem Ihrer „Stefan-Loose-Reiseführer“ reich gemacht?
RL: Wahrscheinlich nicht. Uns passierte eine ähnlich lustige Geschichte. Im Landesinnern Malaysias kam mal eine Wirtin an unseren Tisch: Sie habe heute ausnahmsweise Wildschwein und daraus ein Curry gekocht, ob wir nicht probieren wollten? Das war so was von lecker! Also haben wir im Buch geschrieben: Fragt nach dem Wildschwein-Curry! Als wir zwei Jahre später wieder kamen, erkannte uns die Frau nicht, bot uns aber recht routiniert das Wildschwein-Gericht an. Nur war diesmal das Fleisch eindeutig von einem Hausschwein.
Die großen alternativen Reiseführer-Marken sind in den 70ern entstanden. Die Gründungsgeschichten ähneln sich. Tony Wheeler vom „Lonely Planet“ kam auf die Idee, als er mit seiner Frau von London nach Australien gereist ist. Michael Müller, Ihr großer deutscher Konkurrent, war mit dem Rucksack in Südamerika unterwegs und …
RL: … er ist kein Konkurrent! Wir sind alle befreundet.

Die aktuelle (links) und zweite Auflage des orangefarbenen Klassikers.
Die aktuelle (links) und zweite Auflage des orangefarbenen Klassikers.

© Mike Wolff

Ihr erster Führer über ganz Südostasien kam 1978 heraus. Der Umschlag war wie heute noch orange.
RL: Pfingsten haben wir angefangen, die Texte mit Schreibmaschine ins Reine zu tippen, im Sommer war das Buch fertig. Wir dachten: Damit ist die Sache erledigt. Dann landeten wir mit unserem druckfrischen Buch in Singapur und wollten in das Hotel, in dem Stefan gerne abstieg. Wir hatten es selbstverständlich im Buch empfohlen. Doch das Hotel gab es nicht mehr! Die ganze Straße war plattgemacht. Auch die Bugis-Street, eine Art asiatische Reeperbahn, war weg.

SL: Dort hatte sich das Underground-China, wie es früher war, getroffen. Mit Transsexuellen und Matrosen. Ich dachte, ach du lieber Gott, wenn das schon so losgeht! Ich hatte das Singapur-Kapitel zwei Jahre zuvor recherchiert. Es war überholt. Mir war das gar nicht klar gewesen. Was ändert sich in Deutschland schon in zwei Jahren?

Ihre ersten Reiseführer erwarben sich den lustigen Beinamen „Lose-Blatt-Sammlung“, weil sie recht schnell auseinandergeflogen sind.
SL: Zunächst hatte mich ein alter Schulfreund beraten, der druckte Dissertationen, die 500-mal oder so veröffentlicht werden müssen. Die liest ja niemand. Das Problem, dass Bücher auseinanderfallen können, kannte der gar nicht. Statt Klebebindung haben wir später nur noch Fadenheftung genommen.

Welche Fehler sind Ihnen noch passiert?
RL: Wir wussten nicht, wohin mit den vielen Büchern, denn wir wohnten in einem kleinen Zimmer in Steglitz. Da sagte der Dissertationsdrucker-Freund: „Ihr könnt die Bücher in meinem Keller lagern, meine Vermieterin hat gesagt, es sei einer frei.“ Wir haben leider zu nah an der Wand gestapelt, die gesamte letzte Reihe ist vermodert.

SL: Unser Freund hat damit ein halbes Jahr lang seinen Badeofen geheizt. Das war ein teurer Fehler.

Auf der indonesischen Insel Banda Neira, 1987.
Auf der indonesischen Insel Banda Neira, 1987.

© privat

Zu Ihrer Arbeitsweise: Spazierten Sie durch die Straßen, und wenn Sie ein schönes Hotel sahen, gingen Sie rein und sagten, hallo, wir schreiben einen Reiseführer, können wir Ihre Zimmer sehen?
RL: Nein, wir gaben uns als normale Backpacker aus. Das war ganz schöner Stress. Morgens ging es los mit der Hotel-Recherche, denn nachmittags waren die Hotels oft voll. Nehmen wir die Khaosan Road in Bangkok …

Das Herz der Traveller-Kultur in Asien.
RL: ... der eine von uns übernahm die Nordseite, der andere die Südseite. Man fragt an der Rezeption: Wie viel kostet ein Doppelzimmer? Kann ich mir eins angucken? Und dann vielleicht noch eins. Man lässt sich eine Visitenkarte geben, schreibt draußen die Eindrücke kurz auf. Bis zu 50 Hotels schafften wir zusammen an einem Tag. Mittags ging es meist weiter mit den Sehenswürdigkeiten, Shopping, anderen Aktivitäten. Und dem, was jeder von uns gehasst hat: dem Busbahnhof. Es gab ja keine Fahrplantafeln. Wenn wir Angestellte etwa nach den Abfahrtszeiten von Bangkok nach Chiang Mai fragten, antworteten sie beharrlich: „In einer Stunde fährt einer!“

Von Karl Baedeker gibt es die Anekdote, dass er sich, als er die Treppe zum Turm des Mailänder Doms hochgestiegen ist, alle 20 Schritte eine Erbse von der Westentasche in die Hosentasche gesteckt hat. Oben hat er sie gezählt. Auf dem Rückweg hat er sie im selben Rhythmus von der Hosen- zurück in die Westentasche gesteckt – zur Kontrolle. Ist es wichtig, dass solche Details stimmen?
RL: Was glauben Sie, wie viele Treppen wir schon gezählt haben? Zuletzt in Pai, Nord-Thailand. Da steht ein großer weißer Buddha auf dem Berg, zu dem eine Treppe dreihundertnochwas Stufen hochführt. Die genaue Zahl steht im Buch. Mein Sohn hat die Stufen nachgezählt, und es hat gestimmt. Weil, der führt ja unsere Arbeit als Autor von Reiseführern fort.

Das klingt, als arbeiteten Sie sehr systematisch.
RL: Sonst hätte der Verlag nicht überlebt. Es gab genügend andere, die etwas Ähnliches gemacht haben und wieder verschwanden.

Handgetipptes und -gezeichnetes von Renate Loose.
Handgetipptes und -gezeichnetes von Renate Loose.

© Mike Wolff

Deswegen verwundert es auch, dass Sie mit den anderen Reisebuchverlegern befreundet sind. Der Markt ist ja relativ klein.
SL: Mit dem Müller haben wir uns einfach die Welt aufgeteilt. Er hat Südamerika und Europa bekommen und wir Asien, Afrika und Nordamerika. Uns alle verbindet die Begeisterung fürs Reisen. Mit Tony und Maureen Wheeler waren wir sogar gemeinsam in Tasmanien, Irland und Deutschland.

Wheeler hat seinen Verlag „Lonely Planet“ angeblich für mehr als 120 Millionen Dollar verkauft. Als Weltstar und Multimillionär wird er nicht mehr zwischen Hühnern im Überlandbus sitzen.
RL: O doch. In London, wo wir ihn im vergangenen Sommer getroffen haben, ist er halt mit der U-Bahn gefahren. Ein Bekannter war einmal mit ihm in Rom, und da gab es nur noch ein Bett in einem Schlafsaal. Da hat Tony eben im Doppelstockbett geschlafen.

Besitzen Wheeler und seine Frau eigentlich irgendwelche Statussymbole, die in Ihrer Szene etwas gelten? Ein seidenes Moskitonetz oder eine eigene Insel?
RL: Nein. Sie sind ganz normal geblieben. Maureen Wheeler ist Wagner-Fan. Sie hat ein mehrwöchiges Wagner-Festival in Melbourne organisiert, für das der Orchestergraben im Städtischen Theater vergrößert werden musste. Da haben sie viele Dollar reingesteckt.

Tony Wheeler hat mal gesagt, ja, er trage eine Mitschuld daran, dass sich manche Orte so stark verändert haben. Haben Sie auch mal beschämt gedacht: Was haben wir da angerichtet?
SL: Wir sind zu klein dafür. Lonely Planet verkaufen ihren Thailand-Titel 200 000-mal pro englischsprachiger Auflage. Wir waren froh, wenn wir vielleicht 15 000 oder 20 000 zusammenkriegten.

Was ist das für ein Gefühl, wenn man die Khaosan Road runterläuft, an einem selbst empfohlenen Lokal vorbeikommt und da sitzen acht Leute mit orangefarbenen Büchern rum?
SL: Das passiert selten. So im Restaurant in Malaysia, von dem Renate erzählt hat, da saßen einige Deutsche mit unserem Buch auf dem Tisch und haben Wildschwein gegessen, das ein normales Schwein war.

Alle Werke auf einen Blick: In der Kreuzberger Wohnung der Looses.
Alle Werke auf einen Blick: In der Kreuzberger Wohnung der Looses.

© Mike Wolff

Genießen Sie denn in Berlin-Kreuzberg, wo Sie seit Jahrzehnten wohnen, einen kleinen Star-Status? Oder werden Sie für die Folgen des modernen Rucksackreisens verantwortlich gemacht?
SL: Weder noch. Mich erkennt dort kaum jemand. Aber mir ist klar, dass 100 000 Menschen zwangsläufig meinen Namen kennen, weil die Buchreihe ja bis heute so heißt.

RL: Relativ früh haben wir unseren Telefonbucheintrag anonymisieren lassen, weil wir permanent angerufen wurden: „Hallo, wir überlegen uns, im Sommer nach Thailand zu fahren. Wie ist denn da das Wetter?“ Vor etwa zehn Jahren ist uns allerdings etwas Lustiges passiert. Wir waren mit unserem Sohn und seinem Co-Autor in Asien unterwegs, hatten in Nord-Borneo in einem Zentrum für Orang-Utans recherchiert. Auf dem Weg zurück in die Stadt nahmen wir eine Tramperin mit, eine Deutsche. Sie sagte: „Also, ich bin immer mit dem Loose unterwegs.“ Die Jungs antworteten: „Wir auch.“ Und lachten fürchterlich los.

Die Kulturanthropologin Jana Binder schreibt, dass Rucksacktouristen heute anders drauf seien als früher. In Ihrer Generation wäre es bei dieser Art von Reisen um eine Abwendung von der eigenen Gesellschaft gegangen. Heutzutage sei es das Entree zur globalisierten Welt. Rucksackreisen würde im Lebenslauf herausgestellt: als interkulturelle Erfahrung. Auf welche Typen treffen Sie, wenn Sie in Asien unterwegs sind?
SL: Ach, Rucksackreisende gibt es doch gar nicht mehr. Alle ziehen heute Rollkoffer hinter sich her. Aber der Hauptunterschied ist, dass sich Traveller nur noch sehr kurz Zeit nehmen und übers Smartphone permanent mit zu Hause in Kontakt stehen. Sie suchen sich die große Thailand-Tour aus dem Internet heraus und haken sie ab.

Den sogenannten Banana-Pancake-Trail. Mögen Sie Banana Pancakes?
RL: Ja! Da haben wir ein Rating, wo es die besten gibt: im Eden House und Hibiscus Cottages in Ubud auf Bali.

SL: Stimmt!

Masken als Mitbringsel.
Masken als Mitbringsel.

© Mike Wolff

Dass Banana Pancakes nichts mit Asien zu tun haben, stört Sie nicht?
RL: Die Thais essen morgens Reissuppe. Wer von uns möchte schon jeden Morgen Reissuppe essen?

Gibt es denn inzwischen etwas Neues? Einen Green-Smoothie-Trail?
RL: Es hat sich inzwischen eine Kaffeekultur ausgebreitet. In den Bergen von Nordthailand, Mae Salong heißt der Ort, machen zwei junge Thais ganz tollen Kaffee und dazu französische Küchlein, die schmecken so gut wie in Paris.

Als Sie das erste Mal nach Thailand gefahren sind, gab es dort jährlich 100 000 Touristen. Dieses Jahr werden 50 Millionen erwartet.
SL: Und 30 Millionen davon werden Chinesen sein. Sie haben ihre eigenen Hotels und werden mit Bussen durch die Gegend gefahren.

RL: Das Problem sind nicht die Einzelnen, sondern diese Masse!

Stellen Sie sich vor, es gäbe 1,2 Milliarden Deutsche. Was da in Pattaya los wäre! Marco D’Eramo schreibt in seinem Buch „Die Welt im Selfie“: „Wir alle sind Touristen, die andere Touristen verachten.“ Es ginge beim Tourismus immer um „den Unterschied im Sinne von Bourdieu“ – jeder will was Besseres sein.
RL: Natürlich fanden wir früher, dass wir Globetrotter angemessener reisten als die „Neckermänner“. Die Begriffe verwendeten wir wirklich.

SL: Mir ging es darum, etwas Neues zu finden, eine Alternative zur westlichen Gesellschaft, die ich kritisch sah. Dafür bin ich nach dem Lehramtsexamen monatelang quer durch Asien gereist und habe reichlich Entbehrungen in Kauf genommen. Was wirklich Neues habe ich aber bei meinen ersten Reisen nicht entdeckt. Allerdings beginnt man doch, einige Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft infrage zu stellen. Und man gewinnt Gelassenheit.

Stefan Loose (rechts) bei einer Wanderung in Sulawesi, 1980.
Stefan Loose (rechts) bei einer Wanderung in Sulawesi, 1980.

© privat

Im „Lonely Planet“ gab es in den Anfängen noch Tipps, wo man das billigste Haschisch kaufen kann oder in welchem Restaurant das feinste Omelett mit Magic Mushrooms gebraten wird. Welche Rolle spielten Drogen beim Reisen?
RL: Der Trekking-Tourismus in Nordthailand war damals ein Drogen-Tourismus, klar. Bei den Bergvölkern gehörten Marihuana und Opium zum Leben dazu. Die Atmosphäre war manchmal schon irre. Du sitzt abends in diesen Bambushütten am Feuer. Irgendwelche Uniformierte mit Kalaschnikows kommen rein. Du weißt nicht: Zu wem gehören die? Dann präpariert eine Frau die Opiumpfeife, und alle ziehen erst mal einen durch.

Statt Drogen-Tipps zu geben, erklärten Sie Ihren Lesern, wie man sich gegen Blutegel wappnet.
RL: Gegen Blutegel kann man wenig tun. Sie sind auch gar nicht schlimm.

SL: Was? Ich hatte mal 26 am Körper!

RL: Haben sie sich vollgesogen, fallen sie von alleine ab. Nur sonderten sie vorher ein Enzym, das die Blutgerinnung hemmt. Deshalb blutet man, was lästig ist. Irgendwann lernt man, die einfach abzuschnipsen, sobald sie sich auf einen setzen.

Mittlerweile ist die ganze Welt entdeckt, und als Traveller kann man gemütlich zu Hause bleiben.
SL: Nein! Dazu ist der Globus viel zu groß. Selbst in Südostasien ist nicht alles durchentdeckt. Nach Nordostthailand fährt kaum ein Tourist.

Vielleicht weil’s dort langweilig ist.
RL: Langweilig? Da gibt’s zum Beispiel Ausgrabungen von Dinosauriern und fantastische Museen.

Renate und Mischa Loose im Baliem-Tal von Papua, Indonesien, 1987.
Renate und Mischa Loose im Baliem-Tal von Papua, Indonesien, 1987.

© privat

Der Schriftsteller Ilja Trojanow hat in der „taz“ nicht nur gegen Traveller, sondern gegen Reiseführer-Autoren polemisiert. Da es Rucksackreisenden nur ums Abhängen und Sparen gehe, würden Ratgeber nach dem Muster „99 Steuertipps“ gestrickt. Sind Sie böse, wenn Sie so was lesen?
RL: Wir schimpfen selbst manchmal auf die Pfennigfuchser. Die Leute meinen, weil Handeln in diesen Ländern üblich ist, müssen sie alles runterhandeln. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen, dass wir für Unterkünfte keine Zimmerpreise mehr genannt haben. Wir haben erlebt, dass Leute drauf bestanden haben, den Preis zu bekommen, der im Buch stand.

SL: Die sind mit unserem Buch dagestanden und sagten: Da steht 8,50 Mark drin und jetzt kostet es 8,60 Mark. Das zahlen wir nicht. Und manchmal waren sie sogar mit alten Auflagen unterwegs!

RL: Handeln ist Kommunikation, doch diese Sprache können nur ganz wenige Touristen. Zum Beispiel zahlen Einheimische einem alten Rikscha-Fahrer mehr als einem jungen. Da handelt man auch nicht.

Traveller sparen sich zunehmend den Kauf von Reiseführern. Steht ja alles im Netz. Sie haben eine Fürsorgepflicht für Ihren Sohn. Haben Sie ihm nicht abgeraten von dem sterbenden Gewerbe?
SL: Natürlich. Als wir uns entschlossen haben, den Verlag 2002 an DuMont zu verkaufen, habe ich ihm gesagt: „Ich möchte nicht, dass du das weiter machst, weil das keine Zukunft hat.“ Wobei ich damals die Situation zu negativ gesehen habe. Ich habe nicht gedacht, dass im Jahr 2020 immer noch gedruckte Reiseführer verkauft werden.

Booking.com soll pro Jahr sechs Milliarden Dollar an Google bezahlen, damit die Seite bei den Suchanfragen oben erscheint.
RL: Dagegen sind wir eine Nullnummer. Aber der Verlag hat uns die vielen Reisen finanziert.

Als Reisebuch-Verleger ist man von Unwägbarkeiten abhängig. Tony Wheeler hat mal gesagt, dass ein Tsunami oder ein Terroranschlag zu Rieseneinbrüchen führten.
RL: Wir hatten unseren China-Titel 1989 aktualisiert, das Buch war bereits im Layout, da ereignete sich das Tiananmen-Massaker. Als wir davon aus den Nachrichten erfuhren, haben wir die Datei zugemacht. China war gestorben. Das Coronavirus könnte für China ähnliche Folgen haben.

Ohne Helm und ohne Gurt: Mischa und Stefan Loose auf Langkawi, Malaysia, 1986.
Ohne Helm und ohne Gurt: Mischa und Stefan Loose auf Langkawi, Malaysia, 1986.

© privat

Haben Sie mal addiert, wie viele Jahre Sie unterwegs waren?
SL: 17 Jahre, davon 14 beruflich, zur Recherche.

Sie schreiben keine Reiseführer mehr. Ist das Unterwegssein jetzt ein größeres Vergnügen?
RL: Es ist entspannter. Was ich ein bisschen vermisse: dass wir keinen Grund mehr haben, auf Leute zuzugehen und dumme Fragen zu stellen.

Ihr Sohn führt Ihr Erbe zum Teil fort, er ist Autor einiger Südostasien-Titel, die immer noch unter dem Namen „Stefan Loose Travel Handbücher“ erscheinen. Er ist 37. Der reist doch sicher nicht mehr mit Kompass und Sextant. Wie wichtig ist für ihn das Internet?
RL: Die vielen Informationen im Netz sind oft weder aktuell noch besonders glaubwürdig. Die muss er nachrecherchieren. Ich finde es spannend, dass Mischa andere Dinge in die Bücher reinnimmt. Zum Beispiel Gourmet-Restaurants in Bangkok. Denn er sagt: „Da zahlst du die Hälfte von dem, was du für ein gutes Restaurant in Berlin ausgibst, und kriegst ein ganz interessantes Essen.“ Wir hätten das nie gemacht.

Bangkoks berühmtes und sehr teures Hotel „Oriental“ kam bei Ihnen auch vor.
RL: Die Terrasse mit ihrer fantastischen Aussicht, natürlich. Da setzte man sich hin und bestellte Mineralwasser oder Tee. Ich weiß auch noch, wie lange wir drüber diskutiert haben, ob man überhaupt Tauchzentren aufnehmen soll. Mittlerweile ist das gar keine Frage mehr. Mischa schreibt unheimlich ausführlich, welche SIM-Karten mit welchem Datenvolumen man sich wo am besten besorgt.

Muss er sich eine große Social-Media-Gemeinde schaffen?
RL: Da ist er wirklich sehr zurückhaltend. Er recherchiert häufig vor Ort, nicht viel anders als wir es gemacht haben. Nur ist sein Blick anders. Da er immer mit uns gereist ist, ist er praktisch halb in Asien aufgewachsen. Für ihn ist dort alles so normal wie in Berlin.

SL: Es gibt einen ganzen Pool von Autoren, die unter dem Namen Stefan Loose arbeiten. Ein Team hat beispielsweise Drohnen für sich entdeckt und macht Filme damit.

Eine Marktlücke wäre doch, wenn sich Ihr Sohn – in Zeiten der Flugscham – auf Landverbindungen nach Asien verlegt.
RL: Da wären wir wieder zurück beim Reisen wie zu unseren Anfängen.

Vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen. Haben Sie eigentlich mitgekriegt, wie sich Brandenburg verändert hat?
SL: Ich bin erstens gebürtiger Sachse, und zweitens ist Brandenburg meine zweite Heimat. Ich fahre im Sommer mehrmals in der Woche mit dem Zug irgendwohin, nach Templin oder Angermünde. Dann geht’s mit dem Fahrrad durch den Wald, da ist keine Menschenseele. Das ist doch herrlich.

Sie packen gerade. Wo geht Ihre nächste Reise hin?
RL: Nach Teneriffa und Gomera.

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