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Die Harpyie

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner SCHNAUZEN (79): Die Harpyie

Sie ist nicht der größte, dafür aber der stärkste Vogel der Welt: die Harpyie .

Von Andreas Austilat

Können Tiere einsam sein? Was für eine Frage – für einen kurzen Moment klingt Martin Kaiser entrüstet. Das hieße sie vermenschlichen, das geht gar nicht. Muss er ja sagen, der Mann ist Wissenschaftler, Kurator für Vögel im Tierpark Berlin.

Derweil guckt die Harpyie, um die es hier geht, vom höchsten Ast in ihrer Voliere auf uns herunter. Sie ist allein im Käfig. Aber extra für sie ist das Gehege erhöht worden, jetzt kann sie auch mal rüber zu den Uhus gucken. Harpyien haben gern den Überblick. Das Deckgefieder ist schiefergrau, die Brust weiß. Ihr maskenartiges Gesicht gibt ihr etwas von einer Eule, aber das täuscht, sie gehört zu den Habichtartigen, freilich ist sie kein x-beliebiger Habicht.

Mit ihren zwei Metern Spannweite ist die Harpyie zwar nicht der größte Vogel, der mächtigste ist sie trotzdem. Denn stärker ist keiner, nicht einmal der Adler. Und wenn sie daheim über den Wipfeln des südamerikanischen Regenwaldes ihre Kreise zieht und einen Affen im Dickicht erspäht, oder ein Faultier, pflückt sie die einfach aus dem Baum und tötet sie mit ihrer bis zu sechs Zentimeter langen Greifklaue.

Der Vogel hier vor uns muss sich damit begnügen, einer toten Ratte das Fell auszurupfen, er mag nicht so gern Fusseln im Schlund. Wurde ihm der Nager lebend serviert? Niemals, das ist verboten. Allerdings weiß Kaiser von einem Zoo, da habe es einmal ein Fuchs geschafft, in die Voliere einer Harpyie einzudringen. Das hätte er nicht tun sollen.

Halb Frau, halb gefiederter Todesengel

Solche mörderischen Fähigkeiten haben ihr den Namen eingebracht: Halb Frau, halb gefiederter Todesengel, schnell wie der Wind und unverwundbar – es sei denn, sie bekommt es mit Herakles zu tun, so wird die Harpyie in der griechischen Mythologie beschrieben. Was für ein Ruf. „Ach“, sagt Kaiser, und klingt gar nicht mehr wie der Wissenschaftler, „Sie müssten mal sehen, wie die zwischen ihren messerscharfen Klauen ihr Junges halten kann!“ Dazu beschreibt er ein kaum handtellerkleines puscheliges Wesen. Leider hatten sie hier schon sehr lange kein Küken mehr.

1982 gelang dem Tierpark – Kaiser war schon dabei – eine Weltsensation: die erste Zucht einer Harpyie. Man stand dann im Austausch mit Zoos in Ost und West, damals noch etwas ganz Besonderes, doch irgendwann riss der Faden, kam nichts mehr nach.

Übrig blieb das Männchen hier, inzwischen 26 Jahre alt. Seine Gefährtin haben sie ihm voriges Jahr weggenommen, sie war eine Leihgabe des Nürnberger Zoos, und die wollten sie nach zehn kinderlosen Jahren wiederhaben.

Zu früh, findet Kaiser. Wie viele Lebewesen, die sehr lange für ihre Entwicklung brauchen, tun sich Harpyien mit der Familiengründung schwer. Sie brauchen sechs Jahre bis zur Geschlechtsreife, und dann müssen sich die beiden potenziellen Partner auch noch mögen. Nun, anfangs sah alles gut aus, das Paar balzte, baute an seinem Nest. Aber sie legte einfach kein Ei. Da verloren die Nürnberger die Geduld. Und jetzt? Jetzt hockt das Männchen allein auf seinem Ast, der riesige Horst nebenan, gut anderthalb Meter im Durchmesser, ist verwaist. Sitzt er manchmal allein darin? Was soll er da? Ohne Weibchen ist er für ihn nicht mehr interessant.

HARPYIE im Tierpark

Lebenserwartung:  40 Jahre

Fütterungszeiten:  keine festen Zeiten

Interessanter Nachbar: Wellenuhu, Schneeziege

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