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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Soll uns künftig der Wendler den Blinddarm rausnehmen?“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: ein Shitstorm nach seiner Impfung und gierige Politiker. Ein Interview.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, Sie wurden gerade mit Astrazeneca geimpft. Spüren Sie Nebenwirkungen?
Ja, aber anders als erwartet. Ich bekam schon vor dem Termin Videos zugeschickt, in denen die Impfung als Giftspritze bezeichnet wird. Bekannte nannten mich „Systemlemming“, löschten mich aus Freundeslisten bei Facebook. Andere schrieben mir, sie hätten doch nur Sorge, dass ich sterbe, wieder andere schrieben mit einem Anklang von Schadenfreude: „Du wirst sehen, was du davon hast“. Besonders betrübt hat mich, wie viele Pflegekräfte unter den Pöbelnden waren.

Kam Ihre Entscheidung dadurch ins Wanken?
Die schiere Masse an Nachrichten hat mich nachdenklich gemacht. Als ich den Termin für die Impfung verabredet habe, kam ich in der Hotline des Berliner Senats mit einer netten Mitarbeiterin ins Plaudern, wir sprachen über meinen Beruf und sie fragte mich über die Intensivstationen aus. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, sie davon zu überzeugen, dass wir tatsächlich überlastet waren. Ob ich es denn wirklich so eilig hätte, wollte sie wissen, ich könne doch noch abwarten, sie dürfe es ja nicht sagen, aber sie stünde der Impfung kritisch gegenüber. Sie habe auch solches Mitleid mit all den älteren Menschen, die durch die Panikmache der Medien zum Impfen getrieben würden.

Und kurz vor dem Termin warnte mich ein befreundeter Arzt per Whatsapp, dass der Vektorimpfstoff Astrazeneca eventuell Krebs verursachen könnte, dass seine Langzeitwirkung sich eben erst in zehn Jahren zeige. Warum ich mich als Versuchskaninchen hergebe würde, nur weil die Bundesregierung zu wenig Biontech bestellt hat?

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Sie haben es dennoch durchgezogen.
Ich habe mich im Vorfeld viel mit der Wirkungsweise von Astrazeneca befasst. Außerdem waren in Tegel so viele andere Menschen, junge Leute, Polizisten, die sich ebenfalls impfen ließen. Und der Ablauf war sehr gut organisiert. Mehrfach musste ich meine Bestätigungs-E-Mail vorzeigen, um sicherzustellen, dass sich niemand einschleicht.

Es war ausreichend Zeit eingeplant, um ausliegende Aufklärungsbögen zu lesen, danach konnte man sich das Ganze in Fernsehkabinen nochmal visuell begreiflich machen. Auch die Ärzt:innen beim Impfen beantworteten geduldig all meine Fragen, bevor es piekste. Nach 40 Minuten war ich wieder draußen. Ich habe dann erfahren, dass hier Leute aus der Veranstaltungsbranche eingesetzt werden. Da sieht man mal, wie gut es laufen kann, wenn man die Planung Profis überlässt. Also nicht den Politikern.

Beruhigend voll und gut organisiert: Die Impfung in Tegel.
Beruhigend voll und gut organisiert: Das Impfzentrum in Tegel.

© Ricardo Lange

Und anschließend: Kein Fieber, keine Schulterschmerzen?
In der Nacht war mir ein wenig kalt, am nächsten Tag hatte ich Gliederschmerzen. Nach einer Ibuprofen und drei Stunden Schlaf hatte sich das aber erledigt. Was anhält: der Shitstorm. Leute, die Schischa rauchen, Dioxin-Eier essen, Billigfleisch voll Antibiotikum, die es nicht kümmert, ob Arsen und Mikroplastik im Mineralwasser schwimmen, sind plötzlich sehr daran interessiert, was in der Impfung steckt. Leute, für die es kein Beweis für die Bedrohung durch das Virus ist, dass täglich tausend Menschen an Corona sterben, sehen nun einen glasklaren Zusammenhang, wenn eine Person, so tragisch das ist, nach der Impfung verstirbt.

Auch ich habe das Vertrauen in die Politik verloren – ganz besonders jetzt, da sich einzelne Politiker mit Maskendeals an der Pandemie bereichern, während Menschen unter Existenzängsten leiden. Aber ich glaube weiter an die Medizin. Oder soll uns künftig der Wendler den Blinddarm rausnehmen? Ich fürchte, ich muss mir nach der Pandemie ein paar neue Freunde suchen.

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