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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „So zu arbeiten, das wäre mein Traum“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Getackerte Masken und mehr Zeit für Patienten. Ein Interview.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit einem Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, Sie werden als Leasingkraft in verschiedenen Häusern eingesetzt. Allein in den letzten vier Wochen haben Sie fünf Covid-Stationen erlebt. Was haben Sie gelernt?
Mir ist klar geworden: Es macht einen riesigen Unterschied, wo ich als Patient lande – und als Pfleger. Ich kann die Kliniken hier nicht nennen, aber jede hat ihre ganz eigene, meist sehr kreative, Strategie, um mit der Ausnahmesituation umzugehen und alle geben ihr Bestes. Eine hat beispielsweise rote Linien auf den Boden geklebt, damit die Pfleger bei der Übergabe den Abstand wahren.

In einer haben die Masken elektronisches Gebläse, im nächsten Haus war die FFP2-Ware reichlich vorhanden und edel beschaffen, sehr angenehm auf der Haut, da schnitt mir nichts ins Fleisch. In einem weiteren musste ich mir ein gerissenes Gummi selbst wieder an die Maske tackern.
Die Bauchlagerung ist eine Technik, um die schwächelnde Lunge zu entlasten, die bei Covid Standard geworden ist. Lagern die Stationen unterschiedlich?
Ja, manche polstern die Patienten ganz altmodisch mit Kissen aus, andere bestellen extra Polster aus hochwertigem Schaumstoff in verschiedenen Größen, bei denen der Bauch ausgeschnitten ist. Alle Häuser kleben die Augen und Brustwarzen der Kranken zum Schutz ab.

Übrigens gibt es Kliniken, die die Wäsche infektiöser Patienten in gleich mehrere Tüten packen, in einem Haus musste ich außerdem das benutzte Geschirr 30 Minuten in ein Bad aus Desinfektionsmittel legen. Manche verfügen über moderne Belüftungsgeräte, andernorts reißen wir ständig die Fenster auf. Bei manchen gibt es teuren laktosefreien Joghurt, bei anderen ist das Graubrot schon ein bisschen hart.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Wurden Sie überall getestet?
Seit die Mutationen Berlin erreicht haben, werde ich jedes Mal getestet, manchmal täglich, meine Nase ist schon ganz wund. Ich werde auch streng nach Kontakten und Symptomen abgefragt, muss Gesundheitsbögen ausfüllen. Eine Zeit lang hieß es ja, wir Leasingkräfte seien gefährlich für die Stationen, weil wir so viel wechseln. Jetzt glaube ich, kaum einer ist so durchgetestet wie ich. Wissen Sie, was alle Krankenhäuser gemeinsam haben?

[Die Toten der Pandemie: Der Tagesspiegel gedenkt der Berliner Opfer und erzählt ihre Geschichten]

Den Personalmangel?
Genau, sonst würde man mich ja nicht dazu buchen. Vielerorts hängen Werbebanner, um neue Mitarbeiter zu akquirieren. In einem Haus habe ich allerdings erleben können, wie mein Job wäre, wenn Geld weniger wichtig wäre. Dort galt, dass auf einen Pfleger nur zwei Patienten kommen dürfen, selbst in diesen Zeiten.

Ich hatte Zeit den Kranken auf den Toilettenstuhl zu helfen, statt ihnen die Bettpfanne unterzuschieben, was ich manchmal tun muss, wenn drei oder gar vier Patienten zu betreuen sind. Das ist nicht nur wegen der Würde wichtig, sich aufsetzen, hinstellen, das alles ist Training für die Genesung. Ich konnte meine Patienten dabei begleiten, selbstständig zu essen, anstatt Ihnen hektisch das Essen anzureichen …

… Sie meinen: sie zu füttern.

Wir nennen das aus Respekt: das Essen anreichen. Ich konnte ihnen Augen, Mund und Nase nach dem Waschen eincremen. Beatmungsgeräte wurden ausgeschaltet, wenn es medizinisch Sinn ergab und nicht erst, wenn eine gewisse Stunde voll war, um eine Pauschale zu erhalten.

Außerdem hatte ich dort ein Headset auf, worüber ich mit einem Springer auf dem Flur kommunizieren konnte, der mir frische Laken oder einen fehlenden Absaugeschlauch reinreichte. Und bestimmte Medikamente wurden bereits fertig angemischt geliefert, auf diese Weise können weniger Hygienefehler entstehen und ich hatte noch mehr Zeit für die Patienten. So in Zukunft zu arbeiten, das wäre mein Traum.

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