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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Mallorca ist Verhöhnung unserer Arbeit“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Schlupflöcher in die Freiheit und Pralinen statt Prämien. Ein Interview.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, Sie lagen ein paar Tage mit einer Erkältung flach. Was berichten die Kolleg:innen aus den Kliniken?
Auffällig ist, dass mehr Patient:innen überleben und auf Überwachungs- oder sogar normale Stationen wechseln können. Viele der besonders vulnerablen Fälle sind traurigerweise bereits verstorben, andere sind zum Glück schon geimpft. Wir haben jetzt mehr Erfolgserlebnisse als in den letzten Monaten, das ist schön.

Die Regierung hat gerade ihre bei der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene strikte Osterruhe zurücknehmen müssen. Kommen Sie noch hinterher?

Schon lange nicht mehr. Ich frage mich, ob die da nachts "Mensch ärgere Dich nicht" gespielt haben, statt ihren Job zu machen. Dieses Hin und Her kann doch keiner mehr ernstnehmen. Es geht auch einfach nicht in meinen Kopf, warum Deutsche nach Mallorca in den Urlaub fliegen dürfen – während für die Spanier:innen Reiseverbote im eigenen Land gelten.

Wie sollen außerdem deutsche Hoteliers diese „Logik“ verstehen? Zumal es sehr wohl möglich ist, dass ein PCR-Test vor dem Flug negativ ausfällt, die Person das Virus aber schon in sich trägt und dann auf der Insel andere ansteckt. Die brasilianische Mutante soll dort auch schon grassieren. Wir sind doch alle kleine Rädchen in der Pandemie!

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Rufen Sie die Menschen dazu auf, daheim zu bleiben?
Letzten Sommer habe ich mich sehr über die jungen Leute geärgert, die auf dem Landwehrkanal ausgerechnet vor einem Krankenhaus einen Techno-Rave auf Schlauchbooten veranstaltet haben. Inzwischen kann ich alle verstehen, die aus der Reihe tanzen. Ich bin ja selbst zwei Personen in einer – ich sehe auf Arbeit einerseits die schweren Verläufe, will aber andererseits auch mein Leben zurück, wieder Sport machen, Freunde treffen, ins Kino gehen. Ich kann mittlerweile schon jeden Baum auf meiner Spazierroute nachzeichnen.

Man kann von den Leuten nicht erwarten, dass sie die Schlupflöcher für Freiheit ignorieren. Von der Politik hingegen verlange ich, dass sie solche Reisen unterbindet. Alles andere ist Verhöhnung unserer Arbeit in den Kliniken! Ich finde ja: Für sein katastrophales Management während der Krise sollte Jens Spahn endlich zurücktreten.

Eine Prämie haben Sie von ihm noch immer nicht erhalten?
Nein. Obwohl ich seit einem Jahr hauptsächlich Covid-Kranke betreue. Aber dafür gibt es jetzt tatsächlich Kliniken, die ihren Mitarbeiter:innen fünf Euro in Form eines Gutscheins ausgezahlt haben. Andere schenken ein Los für die „Aktion Mensch“. Und einer schrieb mir gerade, sein Krankenhaus habe sich mit einem einzelnen Ferrero Rocher, das auf eine Karte geklebt war, bedankt. Dazu der Spruch: Du bist Gold wert. Dann doch besser gar nichts. Ich schlage vor: Wenn die Fallzahlen steigen, könnten wir ja wieder alle auf den Balkonen klatschten. Hat ja schonmal so gut geklappt.

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