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Schloss Kummerow in der Mecklenburger Seenplatte hat eine Ausstellung weltbekannter Fotokünstler.

© Bernd Lasdin

Ausflugstipp für Mecklenburg: Wo moderne Fotokunst ein altes Schloss belebt

Kummerow punktet mit der hochkarätigen Fotografiesammlung eines Berliner Unternehmers. Der heimliche Star ist jedoch die Architektur.

Kummerow ist überall: ein barockes Schloss im gleichnamigen Dorf am gleichnamigen See, wohl proportioniert, aber ohne die überbordende Pracht der Ära, die oft erschlagend wirkt. Die hell geschlemmten Wände in gedämpftem Ton stehen dem Herrenhaus gut, das innen trotz der 3500 Quadratmeter etwas Zartes hat.

Auch die hochkarätige Fotoschau trumpft mit ihren großen Namen, Wolfgang Tillmans, Harald Hauswald, Sibylle Bergemann, Marina Abramovic, Andreas Mühe, nicht auf. Der Besucher hat das Gefühl, ein Zuhause zu betreten. Mit krummen Wänden und schiefen Böden, ein paar Möbeln und viel Atmosphäre. Nur dass hier kein Mensch, sondern die Kunst lebt. Die private Sammlung des Berliner Unternehmers Torsten Kunert.

Man sollte mit Muße kommen. Neben der Fotografie sind es die vielen Details, die die Atmosphäre der Anlage ausmachen: Die Wiesenblumensträuße, die den Ausstellungsräumen eine persönliche Note geben und die Besucherin selbst auf dem Damenklo erfreuen; die 30 000 Biberschwänze, die die alten Betonziegel ersetzen; die Kammern, in denen Videos über die alten Wände laufen – das ganze Wechselspiel zwischen historischer Architektur und moderner Kunst.

Die Innenräume wurden behutsam renoviert.
Die Innenräume wurden behutsam renoviert.

© Thomas Wesely

Oft weiß man kaum, wo diese aufhört und das Schloss beginnt. Die Maserung der Wandklappe im Gang sieht aus wie ein abstraktes Gemälde, der Kronleuchter könnte eine Installation sein, und die freigelegten Inschriften an den Wänden, etwa „Denken ist die reinste Bürgerpflicht“, reinste Konzeptkunst.

Von wegen. Den Spruch hat Walter Ulbricht von sich gegeben. Einen Monat nach dem Mauerbau. „Selbst ohne Kunst erzählt das Haus sehr viel“, sagt Kunerts Tochter Aileen.

Über den Umgang mit Geschichte wird zur Zeit heftig debattiert, Denkmäler werden gestürzt. In der Mecklenburger Seenplatte kann man sich anschauen, wie es auch gehen kann. Das Schloss von 1730 wurde, mit Unterstützung öffentlicher Gelder und der Hilfe regionaler Handwerker, ebenso behutsam wie klug renoviert.

Schwierige Geschichte

Die Schichten verschiedener Epochen wurden freigelegt, gerettet, was zu retten war, aber mit Ausnahme eines Bodens nichts rekonstruiert, was für immer verloren war.

In der Chronik im Erdgeschoss ist von der Familie Maltzahn zu lesen, deren Sitz das Schloss einst war. Und von Mortimer von Maltzahn, der hier in den 20er, 30er Jahren das große Anwesen von 1730 mit den landwirtschaftlichen Gütern noch mal aufblühen ließ – und der ein Nazi war.

Nach der Enteignung (eine Restitution gab es nach 1989 nicht) war die Anlage all das, was solche Häuser in der DDR so waren: erst Flüchtlingsheim, dann Konsum, Gasthaus, Bürgermeisteramt, Kindergarten und Schule. Herr Stegemann, der die Gäste mit seinem Ruftaxi von Malchin nach Kummerow bringt, hat hier lesen und schreiben gelernt. Natürlich erinnert er sich auch noch an die Pferde im Schlossstall, er hat ja selbst zur LPG gehört.

Der Spiegelsaal des Schlosses.
Der Spiegelsaal des Schlosses.

© Lukas Schramm

Die Familie der Schlossdirektorin kommt aus Köpenick, dorthin ist die 35-Jährige wieder gezogen, nachdem sie in Australien, Irland und schließlich Berlins Mitte gelebt hat. Kunerts Vater war Immobilienentwickler, hat Altbauten saniert und vermietet. Schon zu DDR-Zeiten hat der Unternehmer sich für Fotografie interessiert, hatte zu vielen Künstlern Kontakt.

Fotografie aus dem Osten bildet denn auch einen Schwerpunkt der Sammlung, in der ein zentrales Motiv immer wieder auftaucht: die Zeit. Besonders markant in Werner Mahlers Porträtserie einer Abiturklasse von 1977, die er im Abstand von einigen Jahren fotografiert hat. Zeitläufte und Lebensläufe spiegeln sich in den Gesichtern, den Körpern, den Wohnungen der Menschen. Unten an der Wand ist noch Platz für eine Fortsetzung.

Alle wahnsinnig gemacht

Die Familie hatte schon länger ein Ferienhaus in der Gegend, als Torsten Kunert das Schloss 2011 bei einer Versteigerung erwarb. Gerade noch rechtzeitig. Der Vorbesitzer hatte seine Hotelpläne nie verwirklicht, das Gebäude einfach weiter verfallen lassen. Durchs Dach regnete es schon rein, im Erdgeschoss gab’s keinen Boden mehr, nur noch Schutt. Ein Bild des Sammlers hängt im großzügigen Treppenhaus. In diesem März ist er an Krebs gestorben, Ausstellung und Schloss sind sein Vermächtnis.

Er hat die Arbeiten selbst gehängt, so behutsam, wie er bei der Renovierung vorgegangen ist, aber auch genauso entschlossen. Noch am Tag vor der Eröffnung 2016, erzählt seine Tochter, hat er Bilder umsortiert, sodass sie genau mit dem Raum korrespondieren, die Blickachsen stimmen – und alle wahnsinnig gemacht.

„Er hat aus dem Bauch raus gekauft“, erzählt Aileen Kunert, die die Sammlung nun ihrerseits erweitert, „konnte zu jedem Bild was erzählen.“ In dem Ballsaal, der auf einem der Fotos zu sehen ist, habe er seine Frau kennengelernt.

In der Ausstellung hängen unter anderem auch Bilder des Fotokünstlers Andreas Mühe.
In der Ausstellung hängen unter anderem auch Bilder des Fotokünstlers Andreas Mühe.

© Lukas Schramm

Auch die gerade eröffnete große Sonderausstellung im zweiten Stock, „Provincia“, zeigt Fotografen aus dem Osten, Ingar Krauss und Hans-Christian Schink, die Mahlers und Ulrich Wüst. Provincia also, drinnen und draußen. Dieser Blick! Aus jedem Stockwerk, jedem Saal muss man wieder raus gucken, auf die Blumenwiese, die aussieht wie gemalt.

Die hat die Familie mit einer Mitarbeiterin, die Landschaftsgärtnerin ist und auch die Sträuße in den Räumen arrangiert, ausgesät. Das Rot des Mohns leuchtet aus dem Gelb, Grün, Weiß hervor. Die Wiese zwischen Schloss und See ist längst zur Attraktion geworden, in der die Besucher sich gegenseitig fotografieren; ein Weg führt hindurch wie durch einen kleinen Blumenwald.

Schnell wieder von Bord

Dafür ist jetzt keine Zeit, schnell aufs Schiff, die „Forelle“ lockt, ein kleiner Dampfer, der über den großen See tuckert. Das stellt man sich gemütlich vor. Und dann: ganz schnell wieder runter. Der Redeschwall der beiden Bootsleute, ihre widerlichen Scherze sind unerträglich. Die Aussicht, dem drei Stunden lang ausgesetzt zu sein, lässt einen bei der ersten Gelegenheit die Flucht ergreifen.

In Neukalen geht’s von Bord, selbst auf die Gefahr hin, so einfach nicht wieder wegzukommen. Am Sonntag fährt kein Bus. „Ohne Auto sind Sie hier begraben“, sagt eine alte Dame. Weswegen man unbedingt ein Fahrrad mitbringen sollte. Also: Finger raus. Schon hält eine Frau, die einen Ausflug nach Kummerow macht.

Und noch mal Glück gehabt: Platz ergattert. Am Fuße des Cafés am See scharren die Tortenhungrigen mit den Füßen. Aber Corona befiehlt Abstand, und so gibt es nur wenige Plätze auf der sonnigen Terrasse. Der Kaffee ist kräftig, der Käsekuchen cremig, der Blick zum Wasser herrlich.

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An der Ostsee ist’s voll, am Strand quetschen die Menschen sich, als wär’s die Adria. Am Kummerower See geht’s selbst im kleinen Hafen ruhiger zu. Ein einziges Segelboot ist an diesem sommerlichen Sonntag auf dem Wasser zu sehen. Der achtgrößte See Deutschlands! Das bekommt man hier immer wieder stolz erzählt. Elf Kilometer lang, und gerade bei Surfern und Seglern beliebt, weil er ziemlich windig und wellig ist. Bei Ungeübten ist er aus eben diesem Grunde auch gefürchtet.

Aileen Kunert stellt sich das Schloss, in dem auch Konzerte stattfinden, als kulturellen Mittelpunkt des Dorfes vor. Gleichzeitig ist die gemeinnützige GmbH, die den Ausstellungsbetrieb betreut, auf Einnahmen angewiesen. „Das Haus ist ein Fass ohne Boden.“

Terrasse mit Strandkorb

In den momentan noch schwer mitgenommenen Seitengebäuden und dem Pferdestall sollen in den nächsten Jahren Unterkünfte, weitere Ausstellungsräume, ein Shop und ein Café entstehen. Das kostet natürlich erst einmal.

In einer privat betriebenen Ferienwohnung links vom Herrenhaus findet man jetzt schon Unterschlupf. Mit einer Badewanne wie für eine Prinzessin und einer Terrasse mit Strandkorb, die das Meeresfeeling noch verstärkt. Der ideale Ort für ein Picknick. Gut, dass man ein wenig Proviant im Gepäck hat, Knäcke, Käse, Äpfel. Denn das Café ist nur tagsüber geöffnet.

Danach runter zum See, ein paar Schritte sind es bis zur Badestelle, dem Spielplatz und der Bank, auf der man sich in der Dämmerung niederlässt. Hinter den Hügeln der Mecklenburgischen Schweiz geht die Sonne unter. Der weite Himmel ist ein Gemälde in ständiger Bewegung, das immer wieder seine Farben und Ansichten ändert. Kunst ist in Kummerow überall.

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