zum Hauptinhalt
Strausberg Nord. Der See ist die größte Attraktion der Stadt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ausflüge mit der Berliner S-Bahn: Bitte alle aussteigen!

Auf diesen Linien fährt man selten bis zum Ende. Was einem da nicht alles entgeht: Badestellen in Strausberg und gluckernder Morast in Birkenwerder.

S5, Strausberg Nord: Bauernhof und Seeblick

Das Wichtigste vorab: Es gibt keinen Strauß in Straus(!)berg, jedenfalls keinen leibhaftigen. Auch wenn ihn das Städtchen östlich von Berlin zu seinem Wappentier gemacht und überall Straußenfiguren nach Vorbild der Buddybären aufgestellt hat. Tatsächlich kommt der Name vom slawischen „Strutz“, was Schote bedeutet und wohl auf die längliche, schmale Form des Sees anspielt, entlang dessen sich der Ort erstreckt.

Schon seit ihrer Gründung vor gut 800 Jahren ist der Straussee also die Hauptattraktion der Stadt, man könnte sogar sagen: so was wie ihre Seele. Der Bahnhof Strausberg Nord kam sehr viel später, nämlich Mitte der 1950er Jahre, als die zugezogene NVA ihr Hauptquartier ans S-Bahnnetz anschließen ließ. Weit entfernt ist man auch hier nicht vom See, aber näher liegt, in einem Torfstich hinter Finanzamt und Einfamilienhaus-Siedlung, der Kinderbauernhof „Roter Hof“. Auf einer Wiese stehen große Indianerzelte, gegenüber grasen Pferde. In den Gehegen gibt es Schafe, Wellensittiche, Meerschweinchen zu sehen (2 Euro/1 Euro für Kinder). In einem Aushang werden prominente Besucher aufgezählt: Anke Engelke und Vera Int-Veen waren zu Gast, „Zewa Softies“ drehte Werbung, doch was investigierte „Frontal 21“ hier? Rätselhaft.

Wer Lust auf einen längeren Ausflug hat, kann weiter entlang von Kiefern, Eichen und Birken durchs Strausberger und Blumenthaler Wald- und Seengebiet wandern oder mit dem Mountainbike fahren. Bis nach Spitzmühle – einer kleinen Siedlung zwischen Fänger- und Bötzsee – sind es sechs Kilometer. Die Lage ist traumhaft, leider haben die örtlichen Ausflugslokale dichtgemacht, man kann sich höchstens bei Manu Siering („der Pfälzer Winzersohn, der auszog, um ein Stück Weinkultur zu teilen“ steht auf dem Flyer) mit einer Flasche Riesling oder Spätburgunder versorgen (Spitzmühlenweg 2).

Alternativ geht man vom „Roten Hof“ bis zur Nordspitze des Straussees und biegt dort in die Badstraße ein. Sie führt entlang einer im Sommer oft überfüllten Liegewiese und einiger kleinerer Badestellen direkt ins Stadtzentrum. Das älteste Gebäude dort, und zugleich das höchste, ist die mittelalterliche Marienkirche aus Feldsteinen. Man kann sie, wenn nicht gerade Gottesdienst ist, nur von außen anschauen. Gutes Eis gibt’s im „Café Lucio“ (Große Straße 8), ordentliches Mittag- oder Abendessen „Am Fischerkietz“. Tagesspiegel-Restaurantkritiker Bernd Matthies war 2011 dort, beklagte die Inneneinrichtung, lobte den Ausblick auf den See, besonders von der Terrasse, und die „handwerklich saubere, moderne Küche“ von Koch Sebastian Marquardt. Stimmt alles auch acht Jahre später noch.

Am anderen Ende der Altstadt überquert eine Fähre den Straussee. Die Verbindung existiert seit 1894, heute handelt es sich um die letzte verbliebene Oberleitungsfähre in Deutschland. Neben der Anlegestelle gibt es einen großen Spielplatz und den „Seegasthof“ mit Biergarten, in dem „Strausberger Bier“ ausgeschenkt wird.

Von den Türmen der hübschen Badeanstalt aus den 1920er Jahren gleich daneben wird diesen Sommer wohl keiner springen können. Denn: Strausbergs Seele leidet. Seit 2014 sinkt der Pegel des Sees – in zunehmenden Maße und ohne dass klar wäre, warum. Manche glauben, ein Wasserwerk sei schuld, die Stadt hat inzwischen ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ein neuer Fall für „Frontal 21“?

S46, Königs Wusterhausen: Mohnkuchen und Kino

Königs Wusterhausen. Die Orgel in der Kreuzkirche.
Königs Wusterhausen. Die Orgel in der Kreuzkirche.

© dpa/Bernd Set

Sie haben es gehasst. Jeden Herbst fuhr die Familie nach Königs Wusterhausen – und fror wochenlang. Selbst im November wurde das Essen draußen serviert, drinnen im Schloss war’s kaum gemütlicher. Nur der Herr Papa hat sich amüsiert, hat geraucht, getrunken, gemalt und gejagt. Und er war der Bestimmer: Friedrich Wilhelm I., bekannt für sein strenges Regiment.

Wie schön man es als selbst bestimmter Bürger des 21. Jahrhunderts hat! Man nimmt einfach die S 46 nach KW und schlendert durch die Bahnhofstraße, deren Läden samstags um eins schon geschlossen sind. Nix verpasst. Zehn Minuten, und man steht im Schlösschen, lässt sich von der Führerin Schauergeschichten vom Soldatenkönig erzählen und dessen Gemälde zeigen, die durch Naivität bestechen.

Vorbei die kargen royalen Zeiten – im Schlosscafé sitzen die Gäste auf dem Loriotsofa, umzingelt von bauchigen Kaffeekannen, und schlabbern selbst gebackenen Mohnkuchen mit einem Berg Schlagsahne. Der Weg zum Café ist mit Herzen gepflastert; im ersten Stock des Kavalierhauses liegt das Standesamt. Einmal die Straße überqueren und man steht im charmantesten Museumsshop rund um Berlin: Im ersten Stock des liebevoll eingerichteten Dahmelandmuseums vis-à-vis vom Schloss wurde ein veritabler Trödel errichtet, auf ein paar Regale verteilt, und im großen Saal ein ganzes Antiquariat in Bananenkisten. Da stößt man auf Schätze, die man in keinem Laden findet, Postkarten aus dem Kreuzberg der 70er Jahre, in 70er–Jahre-Farben, zauberhafte Mokkatassen, ein Euro das Stück.

Jetzt einmal den Anger rauf- und runtergelaufen, fürs Dorffeeling, einen Blick in die hübsche Kreuzkirche geworfen, in der regelmäßig Konzerte zu hören sind, den Kopf gehoben, zum königlichen Adler an der Kirchendecke. Dann hoch den Funkerberg, wo der öffentliche Rundfunk Deutschlands am 22. Dezember 1920 begann, mit einem Weihnachtskonzert musizierender Postbeamter. Wer’s genauer wissen will, besucht das Sender- und Funktechnikmuseum.

Das Örtchen, so groß wie Sylt, liegt mitten im Dahme-Seenland; Wuster kommt von Wustrow, „umflossener Ort“. Vom Bahnhof aus kann man in 13 Kilometern an fünf Seen entlangwandern, auf dem Hofjagdweg dem Soldatenkönig hinterherradeln oder zwei Stunden durch den Tiergarten spazieren. Der Tourismusverband sitzt im historischen Bahnhofsbacksteingebäude, Infos gibt es auch online: dahme-seen.de.

Wobei KW nicht nur von Wasser um-, sondern auch durchflossen wird. Auf dem Nottekanal fahren, das heißt paddeln oder treten (Verleih Königsboot, Schlossstraße 5). Danach eine Kanalwurst (Am Aalfang 2) – Currywurst auf königswusterhausenerisch, also auch: am Wochenende geschlossen.

Lauschiger, mit Blick aufs Schloss samt Park, sitzt es sich auf der Terrasse des „Weinladens am Kanal“ (Bahnhofstraße 24), oder, wenn’s regnet, drinnen – ganz unsoldatenköniglich am wärmenden Kamin. Zu Flammkuchen und Käseteller probiert man sich vom Grünen Silvaner aus der Pfalz zum spanischen Gran Reserva Tempranillo einmal durch die Welt; was einem schmeckt, nimmt man sich als Flasche mit nach Berlin.

Allerdings sollte man noch nicht gleich nach Hause fahren, sondern einen Schlenker ins Programmkino Capitol von anno 1930 am Bahnhof machen. Mit Preisen wie anno dazumal. Eintritt: fünf Euro! Da hat man die S-Bahn-Fahrt raus.

S8, Birkenwerder: Waldboden und Ostalgie

Birkenwerder. Das älteste Fachwerkhaus des Ortes.
Birkenwerder. Das älteste Fachwerkhaus des Ortes.

© Moritz Honert

Werden, Sein und Vergehen. Wieder werden. Tod und Auferstehung. Endloser Kreislauf. Auch hier im Moor, eine knappe Stunde Fußmarsch nördlich von Birkenwerder.

In weiten Bögen schwingt sich der Holzbohlenweg über den gluckernden Morast. Linkerhand gestürzte Bäume, nasse Stümpfe, deren Moosbesatz sie aussehen lässt, als seien sie gegossen aus angelaufener Bronze. Rechterhand das schwarze Wasser. Still und unergründlich.

Die Eiszeit hatte hier einst Täler hinterlassen, in denen sich im Laufe der Jahrtausende Torfschichten bildeten. Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden sie abgetragen. Brennstoffgewinnung. Zurück blieben offene Wasserflächen, die nun erneut verlanden. Jahr für Jahr, Millimeter für Millimeter, Trieb für Trieb arbeitet sich die Fauna zurück in das Wasser vor. Unaufhaltsam.

Es dauert allerdings ein wenig, bis man hier draußen ist. Vom Bahnhof Birkenwerder geht es erst einmal vorbei an den vietnamesischen und arabischen Gastronomien, Jeanslädchen und unverputzten Fassaden der Clara-Zetkin-Straße, deren rauer Charme nur noch entfernt erahnen lässt, dass das Städtchen ab 1877 mit dem Anschluss an die Nordbahn mal eine steile Karriere als Villenvorort und Ausflugsziel absolvierte. Das Kaffeehaus Birkenwerder hält tapfer mit hausgemachtem Kuchen, herrlich trutschigem Geschirr, rosenverziertem Rührei und einer für Brandenburg überraschenden Freundlichkeit dagegen.

Glücklich zieht man weiter zum neubarocken Rathaus, rund um den Mönchsee und zurück an die Hauptstraße. Hier muss man sich entscheiden: Möchte man den „Briesesteig“ entlang des gleichnamigen Bachs laufen? Oder nach Norden ins Moor? „Geh nach Norden“, raten zwei Spaziergänger. „Ist mehr Natur.“ Der andere Weg führe ja streng genommen nur durch den Ort.

Also nach Norden. Erst entlang der Hauptstraße zur Evangelischen Kirche mit ihren imposanten Kastanien, dann über Nebenstraßen vorbei an Fachwerkhäusern, quietschbunten Neubauten und der lokalen Lidl-Filiale. Eine Fußgängerbrücke quert die Autobahn, eine Unterführung die Bahntrasse, dann ist man raus. Das Rauschen des Verkehrs weicht dem Gezwitscher der Vögel, das Rattern der Bahn dem Matschen der Füße auf dem feuchten Waldboden. Schritt für Schritt geht es ins Moor, in dem sich versunkene Erlen in Kohle verwandeln. Jahrzehntausende dauert das. Sterben, werden. Schauer der Ewigkeit.

Der Balkenweg endet nach wenigen hundert Metern an ein paar Holzstufen. Hält man sich an deren Ende links, erreicht man nach wenigen Minuten die Waldschule Briesetal. In einem mehr als 4000 Quadratmeter großen Naturerlebnisgarten können Kinder Baumringe zählen, in der Bibliothek schmökern, den Lehmbackofen testen oder in einem Naturkabinett ausgestopfte Waldtiere bewundern. Wer sich noch austoben will, bevor es entlang der asphaltierten Fichteallee zurück nach Birkenwerder geht, kann das im Mini Monkey Kletterwald nebenan tun. Auf dem 150 Meter langen Parcours gilt es 22 Hindernisse in kindgerechter Höhe zu überwinden.

Einen Biergarten gibt es hier ebenfalls. Den Briesekrug. Die Karte? Ostalgie pur: Wurstgulasch, Soljanka, „Softeis nach original DDR-Rezeptur“. Auch das so eine Art Wiederauferstehung.

S8, Zeuthen: Antik-Shop und Kaffeefahrt

Zeuthen. Die Martin-Luther-Kirche aus dem Jahr 1914.
Zeuthen. Die Martin-Luther-Kirche aus dem Jahr 1914.

© Angie Pohlers

Wie ein Boom – Boom – Boom – Boom – Boomerang komm ich immer wieder bei dir an“, plärrt es aus einem Opel Corsa am Bahnübergang. Kurz zuvor sind die ersten Kiefern vor dem Waggonfenster vorbeigezogen. Sie betreten den provinziellen Sektor. Wobei: Zeuthen zählt knapp 10 000 Einwohner, und das urbane Bürgertum ist ganz heiß auf die Ecke. Nirgends sonst im Umland sind die Immobilienpreise zuletzt so rasant gestiegen, trotz Eurodance am S-Bahnhof.

Tatsächlich hat die Liebe der Berliner zu Zeuthen Tradition, nachzulesen in Theodor Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“, den Preußens Vorzeigedichter im Jahr 1884 am hiesigen See fertigstellte. „Sie sprechen von Einsamkeit, Herr Baron“, entgegnet da der Gasthausbesitzer dem Sommerfrischler aus der großen Stadt, „und tagelang ist es auch wirklich einsam hier. Und es können auch Wochen werden. Aber kaum, dass das Eis bricht und das Frühjahr kommt, so kommt auch schon Besuch, und der Berliner ist da.“

Einige sind geblieben, bauten Villen oder windschiefe Häuschen, wurden selbst Zeuthener und beäugten die Ausflügler. „Denn sowie nur die Sonne scheint, spricht der Berliner von schönem Wetter. Ob in jedem Windzug eine Lungenentzündung oder Diphtheritis sitzt, ist ihm egal“, spöttelt der Wirt.

Besonders risikofreudige Städter zieht es ans Wasser. Einmal links die Goethestraße runter, auf dem Weg kurz reinschauen im „Antik Shop“, dessen Verkäuferin jeden Satz mit „meine Süße“ beendet und viel Tinnef verkauft, aber auch spottbillige alte Nerzmäntel und Teetässchen. Braucht man gar nicht, kauft man trotzdem.

Ein paar Schritte weiter glitzert der See. Am Anlieger ist die MS Olympia festgemacht, ein Kaffeefahrtdampfer, wie er Fontanes Wirt zugleich genervt und gefreut hätte. Von März bis Oktober legt das Boot an den Wochenenden zweimal täglich ab. Nach der Fahrt wankt man schlaftrunken von frischer Luft zum griechischen Restaurant Olympia, auf die Terrasse, noch mehr Wasserblick tanken.

Die angrenzende Seestraße verleitet dazu, sich ein wenig weiter umzuschauen. Aber ach, kein Uferweg, dafür Ufergrundstücke, für die, die es sich leisten können oder die, die so schlau waren, nie zu verkaufen. Vor einigen Jahren ging das Gerücht um, die Kanzlerin würde am See bauen. Das wäre mal eine Zugezogene, mit der man sich schmücken kann.

Die anderen ließen den Kratzputz tünchen, statteten die Dachtürmchen mit neuen Schindeln aus oder bauten ganz neu, was nicht immer gut aussieht. Als die Gemeinde vor zehn Jahren am See einen kleinen chinesischen Garten anlegen ließ, gab es Kritik aus der Bevölkerung. Heute trägt das Areal den Beinamen „Garten der Harmonie“, nicht weit entfernt vom Platz der Demokratie.

Am Ende der Seestraße steht der größtmögliche Kontrast zu Kratzputz-Zeuthen: Die apricotfarbene Hertzog-Villa, im Jahr 1910 von einem Berliner Unternehmer errichtet. Später quartierte der Stasi-Chef Erich Mielke hier seine Gäste ein, 1991 kaufte sie Peter Dussmann. Zwischen den Statuetten auf dem Dach flattert eine Fahne mit Firmenlogo, die Beine einer Gartenbank sind Schwänen nachempfunden.

Wenn das Fontanes Wirt erlebt hätte.

S25, Hennigsdorf: Havel und Grenzturm

Hennigsdorf. Von diesem Turm aus wurde die deutsch-deutsche Grenze überwacht.
Hennigsdorf. Von diesem Turm aus wurde die deutsch-deutsche Grenze überwacht.

© Frank Liebke

Im alten Rathaus, ein roter Klinkerbau, gibt es eine Ausstellung über die Stadtgeschichte zu sehen: Hennigsdorfs Heimatkunde ist zugleich Berlin-Brandenburgische Industriegeschichte. Vor 100 Jahren baute die AEG hier eine Lokomotiven-Fabrik und ein Stahlwerk. Beide existieren bis heute, nur die Besitzer haben gewechselt. Hennigsdorf war lange nur Schlafstätte. Ein Ensemble aus Siedlungen. Die erste, von 1915, stammt von dem großen Industriearchitekten Peter Behrens. In der DDR war das gesamte gesellschaftliche Leben über die beiden Betriebe organisiert. Nach der Wende ließ der frühere Bürgermeister eine Fußgängerzone bauen – Symbol, dass sich das Menschenbild verändert hatte: vom Arbeiter zum Konsumenten.

Läuft man weiter zur Havel, kommt man an Hennigsdorfs jüngster Siedlung vorbei. Weiße Reihenhäuser im Rohbau. Der Investor hat sie „Hafenidyll“ genannt. Zu verkaufen ab 335 000 Euro. Sie sind alle weg. Dahinter beginnt der Stadthafen. Dort sitzt eine Handvoll angelnder Männer mit Bierflaschen am Becken. Nach der nächsten Kurve öffnet sich ein einzigartiges Panorama: eine naturbelassene Flusslandschaft vor alter Industriekulisse. Hier baut heute Bombardier Züge, die bis nach Thailand verkauft werden. Der Weg verläuft jetzt zwischen Havel und der werkseigenen Teststrecke, was ihn ideal für Familien mit Kindern macht. Die Eltern können nach rechts schauen, auf die Wildgänse, die Kinder nach links, auf die fabrikneuen Züge. Oder umgekehrt.

Nach einem Kilometer hören die Gleise auf und der Stadtteil Nieder Neuendorf fängt an, der in der DDR militärisches Sperrgebiet war. Ein Relikt aus dieser Zeit ist ein Grenzturm, Hennigsdorfs eindrucksvollstes Gebäude. Hinter einer dicken Stahltür geht eine steile Metalltreppe hinauf. Im ersten Stock Schießscharten, im zweiten das Wachgeschoss, das rundum verglast ist. Das alte Fernrohr steht noch da, die Kurbel für die Suchscheinwerfer hängt von der Decke. Spektakulär ist die Aussicht bis ans gegenüberliegende West-Berliner Ufer. Es fühlt sich zwiespältig an. Eben diese gute Aussicht hat Menschen das Leben gekostet.

Vom Grenzturm fährt ein Bus zur S-Bahn zurück. Es bleibt noch Zeit für „Die Buhne“, ein ausgebauter Stall, in dem es regionale Küche gibt. Anschließend kann man auch nach Berlin zurücklaufen. Nach einem weiteren Kilometer erreicht der Uferweg die Stadtgrenze.

S2, Blankenfelde: Ouzo und alte Aula

Blankenfelde. Auf einem Feld blühen schon die Gräser.
Blankenfelde. Auf einem Feld blühen schon die Gräser.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ansiedlung auf freiem, lichten Gelände“, so heißt es im Mittelniederdeutschen, und in der Übersetzung aus dem Mittelniederdeutschen: Blankenfelde. Wenn man den Bahnhof verlässt und ein paar Meter nach rechts läuft, bekommt man eine Ahnung vom freien, lichten Gelände. Weil gleich hinter dem Parkhaus gegenüber das Hinweisschild zur „Baruther Linie“ zu finden ist, einem 48 Kilometer langem Wanderweg durch den Gutspark Dahlewitz. Aber für den haben wir heute keine Zeit, Blankenfelde ist zu besichtigen, und dass es sich bei diesem Blankenfelde um eine Siedlungsgemeinde handelt, das sieht man sofort, wenn man zurückschaut auf den Bahnhof.

Der ist umgeben von einem Parkhaus für Autos, einem großen Abstellplatz für Fahrräder, immerhin überdacht, und einem Busbahnhof. Und von wenig sonst. Acht Prozent der Bevölkerung arbeiten in Blankenfelde-Mahlow, der Rest pendelt.

Ein Flugzeug steigt auf, es ist gestartet in Schönefeld. Dass die Flieger stören, ist an einem Transparent gegen Nachtflüge am Gemeindehaus abzulesen. Noch ein paar Meter weiter zwischen hübschen Einfamilienhäusern mit erstaunlicherweise gar nicht so akkuraten Gärten findet man das Stahl- und Glasgebäude „Grüne Passage“. Das beinhaltet die Musik- und Kunstschule Regenbogen, einen Musikshop, das Blumeneck, einen Second-Hand-Laden, eine Eis- und Kuchenmanufaktur, „Sonntags leider geschlossen“, und das Restaurant „Dionysos“ mit griechischem Angebot. Inklusive der Nachfrage, selbst nach nur einer Tasse Kaffee: „Noch ein Ouzo dazu?“

Nein, danke. Aber, wo ist Blankenfelde? Es braucht etwa einen Kilometer, bis man zu einem Kreisverkehr mit Sparkasse und Netto kommt. Noch einen halben Kilometer zum Café Tanja, noch einen Kilometer bis zum Stadtzentrum, das aus den üblichen Billigmärkten besteht, der „Alten Aula“, dem Kulturzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses; letzteres wurde 1948 auf Befehl der sowjetischen Militäradministration abgerissen. Dann gibt es eine malerische Kirche und das Gasthaus „Zur Eiche“, das aber ist gerade wegen Kinderkarneval nicht öffentlich zugänglich ist. Zwei verkleidete Kinder nebst maskierter Mutter streben voller Vorfreude darauf zu.

Der Rückweg fällt leicht. Die Sonne strahlt, die S2 kommt pünktlich, Pendeln ist doch nicht so übel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false