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Ausnahmezustand. Ein malaysischer Soldat steht am 17. Mai 1969 im chinesischen Viertel von Kuala Lumpur Wache.

© picture alliance/ASSOCIATED PRES

Aufstand vom 13. Mai in Kuala Lumpur: Jagd auf die Chinesen

Im Mai 1969 kommt es in Malaysia zu einem Pogrom: Hunderte Chinesen werden erschossen und massakriert. Die Ereignisse verändern das junge Land tiefgreifend.

Amok: vom malaiischen Wort „amuk“ für zornig oder rasend. „Meng-amuk“ bezeichnet einen spontanen und mörderischen Angriff gegen Unbeteiligte; der kriegerische Amoklauf war einst Kampftaktik malaiischer Krieger, die sich mit Todesverachtung auf den Gegner stürzten.

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Die Muda-Abdu-Aziz-Straße liegt im Zentrum von Kuala Lumpur, etwas nördlich der Petronas Towers, jener gewaltiger Zwillingstürme, die heute das Wahrzeichen der malaysischen Hauptstadt sind. In den 60er Jahren trägt die Straße noch ihren Namen aus der gerade zu Ende gegangenen britischen Kolonialzeit: Princes Road. Am frühen Abend des 13. Mai 1969, einem Dienstag, bringt eine Gruppe Malaien hier einen Lkw zum Stoppen und setzt ihn in Brand. Dann werfen die Männer ein Taxi um und zünden es ebenfalls an. Als der Fahrer versucht, ins Freie zu klettern, wird er mit einer Machete massakriert und zurück ins Auto geworfen. So schildert es der britische Asienkenner John Slimming in seinem Buch „Malaysia – Death of a Democracy“.

Die Geschehnisse in der Princes Road sind nur der Anfang. In den folgenden 24 Stunden verliert die Regierung die Kontrolle über die Stadt. Gewalt breitet sich aus. Als die Nacht anbricht, ist der Himmel erhellt vom Feuer lodernder Wagen und brennender Gebäude. Ununterbrochen kann man Polizei- und Feuerwehrsirenen hören. Seine Landsleute sollten auf sich aufpassen, sagt der Premier in einer Radioansprache, hörbar den Tränen nahe. Das Zentralkrankenhaus bittet dringend um Blutspenden. Eingeliefert werden Menschen mit Verstümmelungen, Stich- und Schusswunden.

Was die meisten Opfer verbindet: Sie sind Angehörige der chinesischen Minderheit.

Die ethnischen Spannungen existieren bis heute

Fast 1000 Menschen kosten die Unruhen von 1969 laut Schätzungen das Leben. Die offiziellen Zahlen sind niedriger, gelten jedoch als verfälscht. Die Wut bricht sich so plötzlich und so brutal Bahn, dass die Ereignisse oft als kollektiver Amoklauf beschrieben werden. Sie verändern das junge Malaysia tiefgreifend – und bleiben auch 50 Jahre danach ein sensibles Thema, an das im Land selbst kaum gerührt wird. Betont nüchtern spricht man vom „Vorfall vom 13. Mai“.

Dabei handelt es sich gerade nicht um einen Einzelfall. Die ethnischen Spannungen, die dem Pogrom von 1969 zu Grunde lagen, existieren bis heute überall in Südostasien, und sie mündeten immer wieder in Gewalt. In allen Staaten der Region gibt es chinesische Minderheiten, von Burma bis nach Indonesien. In Thailand haben sich die Chinesen stark assimiliert, anderswo leben sie eher unter sich. Insgesamt handelt es sich um rund 35 Millionen Menschen. Oft machen sie nur einen winzigen Anteil aus, in Malaysia aber stellen sie 24 Prozent der Bevölkerung.

Und fast immer sind sie wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich, vom kleinen Händler bis zum Konzerninhaber. Ihre marktbeherrschende Stellung sei ebenso typisch für die Region wie die daher rührenden Ressentiments der einheimischen Mehrheit, schreibt die US-Autorin Amy Chua, Jura-Professorin an der Uni Yale, in ihrem Bestseller „World on Fire“ aus dem Jahr 2003. Sie sieht die prekäre Rolle der Überseechinesen nur als ein Beispiel dafür, wie das Zusammenspiel von ungezügeltem Kapitalismus und Mehrheitsherrschaft zur Gefahr für „marktdominante Minderheiten“ werden kann, seien es die Libanesen in Westafrika oder die Juden in Russland.

Die Malaien fühlten such ökonomisch benachteiligt

Chua, die als selbsterklärte „Tigermutter“ mit einem Buch über harsche asiatische Erziehungsmethoden internationale Berühmtheit erlangte, stammt aus einer chinesischen Familie mit Wurzeln in den Philippinen. Dort „arbeiten Millionen Filipinos für Chinesen; fast kein Chinese arbeitet für einen Filipino“. In „World on Fire“ schildert sie den Mord an ihrer Tante in Manila. Die eigenen Angestellten brachten die 58-Jährige aus Habgier um. Ein Fall, den die Angehörigen schicksalsergeben hinnahmen, weil er offenbar keine Besonderheit ist für die örtliche chinesische Oberschicht. Die auffällig desinteressierte Polizei stellte ihre Ermittlungen bald ein.

In Malaysia skandieren die Randalierer 1969 lautstark „Chinesen raus!“. Die Armee soll die Lage beruhigen. Da die Truppe fast nur aus Malaien besteht, kommt sie den Chinesen, die sich hinter geschlossenen Türgittern und heruntergelassenen Rolläden verschanzt halten, manchmal nicht zu Hilfe. Andererseits sind viele Fälle dokumentiert, in denen malaiische Zivilisten chinesischen Nachbarn helfen, sich zu verstecken.

Den Unruhen vorausgegangen ist die dritte Parlamentswahl des 1957 unabhängig gewordenen Staates. Zwar hat wie erwartet die „Allianz“ gewonnen, die um ein Auskommen der unterschiedlichen Ethnien bemüht ist. Zu ihr gehören drei Parteien, die je eine der wichtigsten Bevölkerungsgruppen vertreten: die muslimischen Malaien, die Chinesen und, als zahlenmäßig kleinste Gemeinschaft, die Inder. Doch haben zugleich chinesisch dominierte Oppositionsparteien überraschend gut abgeschnitten. So wie sich die Malaien ökonomisch benachteiligt fühlen, haben die Chinesen den Eindruck, dass sie politisch machtlos sind; der Konflikt hat 1965 schon zur Abspaltung des mehrheitlich chinesischen Singapurs beigetragen, wo es auch Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien gab. Die Anhänger der Oppositionsparteien feiern nun triumphierend, auch provokativ – jedenfalls wird das von einigen Malaien so empfunden. Unter den Randalierern wird später eine Formulierung die Runde machen: Man habe den Chinesen zeigen müssen, wo ihr Platz sei.

Das chinesische „Bambus-Netzwerk“

Zerstörung. Chinesische Bewohner von Jakarta begutachten die Schäden, die der Mob in ihrem Viertel angerichtet hat.
Zerstörung. Chinesische Bewohner von Jakarta begutachten die Schäden, die der Mob in ihrem Viertel angerichtet hat.

© Reuters/David Loh

Manche chinesische Familien sind seit Jahrhunderten in der Region ansässig, andere kamen erst vor ein oder zwei Generationen. Besonders im 19. Jahrhundert verließen viele Menschen China. Das Kaiserreich befand sich damals im Niedergang, war geplagt von Aufständen und Armut. Die britischen Kolonialherren förderten die Ansiedlung der Chinesen in der Region, setzten sie in Bergwerken und auf Plantagen ein, weil sie als besonders fleißig galten. Die meisten Einwanderer aus dem Reich der Mitte waren bettelarm. Viele erarbeiteten sich als Händler oder Angestellte eine Mittelschichtsexistenz. Nur sehr wenige wurden schwerreich, doch sind die meisten Milliardäre der Region chinesischer Herkunft. Robert Kuok etwa, derzeit Malaysias reichster Mann. Sein Vater emigrierte Anfang des 20. Jahrhunderts aus der chinesischen Provinz Fujian Richtung Süden. Zu Kuoks Imperium gehören unter anderem die Shangri-La-Hotels, er macht sein Geld außerdem mit Finanzgeschäften, Rohrzucker, Palm- und Erdöl.

Bis heute leben Malaysias Chinesen meist in großen Städten, auch das verbindet sie mit der entfernten Verwandtschaft in den umliegenden Ländern. Und es erklärt, wenigstens zum Teil, ihren Erfolg. Während die Malaien traditionell eher als Bauern auf dem Land zu Hause sind, besaßen die Chinesen sehr viel früher eine urbane Kultur, Bildung hat in den Familien einen hohen Stellenwert. Zudem verbinden gemeinsame Herkunft, Sprache und Clanzugehörigkeit über Grenzen hinweg. Dieses „Bambus-Netzwerk“ überspannt die ganze Region, mit Verbindungen nach Europa, Amerika und natürlich China, von dessen ökonomischem Wiedererstarken auch die Diaspora profitiert.

Sahen südostasiatische Politiker in den Chinesen lange die „fünfte Kolonne“ von Maos kommunistischer Diktatur, so schienen sie gleichzeitig das Feindbild des raffgierigen, rücksichtslosen Kapitalisten zu verkörpern. In Vietnam wurden nach der Wiedervereinigung des Landes 1976 viele als „bourgeoise Elemente“ verhaftet und enteignet, begleitet von einer Rhetorik, die das Magazin „U.S. News & World Report“ damals an die antijüdische Propaganda der Nazis erinnerte.

1998 starben in Indonesien fast 1200 Menschen

1997 wurden die Chinesen in der gesamten Region von vielen für die Asienkrise verantwortlich gemacht. Dramatisch war die Situation vor allem in Indonesien, das unter Massenarbeitslosigkeit litt, und wo die Nahrungsmittel knapp wurden. Die Marktdominanz der chinesischen Minderheit ist dort bis heute besonders stark ausgeprägt. Obwohl Chinesen nur drei Prozent der Bevölkerung stellen, befinden sich laut dem britischen Magazin „Management Today“ drei Viertel der wichtigsten Konzerne in chinesischem Besitz – und die Tycoons hatten sich, schon aus Selbstschutz, mit Diktator Mohamed Suharto gutgestellt, der sie wiederum brauchte, um die Wirtschaft des Inselreichs am Leben zu erhalten.

Was im Mai 1998 in der Hauptstadt Jakarta und anderswo in Indonesien passierte, erinnert an Malaysia drei Jahrzehnte zuvor. Plünderer brachen in Läden und Häuser der chinesischen Viertel ein, wo sie große Reserven an Nahrungsmitteln und Wertgegenständen vermuteten. Randalierer vergewaltigten Frauen, zündeten Gebäude an und demolierten Autos. Fast 1200 Menschen starben. Anders als in Kuala Lumpur waren die Toten in der Mehrzahl jedoch keine Chinesen, sondern die Plünderer selbst, gefangen in brennenden Häusern. Schon in den Monaten vor den sinophoben Ausschreitungen war das Land politisch in eine tiefe Krise geraten, danach musste Diktator Suharto endgültig abtreten. Sein Schwiegersohn soll vorher noch einen Pogrom organisiert haben.

Plünderung. Indonesische Männer rauben in der Hauptstadt Jakarta die Geschäfte von Chinesen aus.
Plünderung. Indonesische Männer rauben in der Hauptstadt Jakarta die Geschäfte von Chinesen aus.

© AFP/Choo Youn-Kong

Mahathir bin Mohammad an der Macht

Auch in Malaysia haben die antichinesischen Krawalle 1969 politische Folgen. Mit der Verhängung des Ausnahmezustands am 14. Mai beruhigt sich die Lage, später gibt es weiter Ausgangssperren, erst 1971 kehrt das Land zur Normalität zurück. Die Regierung bringt schließlich die „Neue Ökonomische Politik“ auf den Weg, die im Prinzip bis heute gilt. Malaien werden nun noch stärker bevorteilt. Quoten sollen ihnen helfen, wirtschaftlich erfolgreicher zu werden. So müssen bei börsennotierten Unternehmen mindestens 30 Prozent der Angestellten Ureinwohner sein, staatliche Aufträge werden oft nur an sie vergeben.

Im Jahr 1981 kommt Mahathir bin Mohammad an die Macht, ein Hardliner in der ethnischen Frage. Er führt das Land bis 2003 autokratisch und ökonomisch erfolgreich. Sein erklärtes Ziel ist es, den Malaien Aufstiegswillen und Stolz einzuimpfen. Einen blutigen Konflikt wie den „Vorfall vom 13. Mai“ erlebt Malaysia bis heute nicht wieder.

2018 wird der inzwischen 92-jährige Mahathir erneut Premier. Die Rolle der chinesischen Minderheit ist dabei nicht das Thema, wohl aber das immer mächtiger werdende Reich in der Nachbarschaft. Eine von Mahathirs ersten Amtshandlungen: der Stopp mehrerer Großprojekte mit Peking.

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