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Auf Bärensafari in den Wäldern Sloweniens: Wo steckt er bloß?

Rund 1500 Braunbären leben in einem Land kleiner als Brandenburg. Nirgendwo in Europa ist es einfacher, sie zu sehen. Doch sie zieren sich. Eine Tour mit Tücken

Martin Bastar kennt die Gefahren des Waldes. „Das gefährlichste Tier“, sagt der 24-jährige Guide, „ist der Mensch, dann kommt die Zecke und nach einer langen Weile das Wildschwein.“ Und der Braunbär, der hier im Grenzgebiet von Kroatien und Slowenien so zahlreich umherstreift? Der laufe im Normalfall weg, wenn er einen Menschen nur rieche. „Wäre der nicht so schüchtern, könnte ich heute nicht hier stehen.“

Denn in den Gebirgswäldern von Südslowenien, auf einer Fläche etwa halb so groß wie Berlin, wenig besiedelt und märchenhaft dicht, leben einige hundert Exemplare, rund 1500 im gesamten Land – und damit so viele Bären wie in keiner anderen Region Europas. Halb Deutschland schreit auf, wenn ein Exemplar die Alpen überquert, in Slowenien kennen die meisten Menschen die großen Fellkugeln von Waldspaziergängen – und manchmal verirrt sich so ein Tier sogar in die 60 Kilometer entfernte Hauptstadt Ljubljana.

Schmatzen aus dem Maisfeld

Martin Bastar hat sein erstes Exemplar mit sechs Jahren gesehen, er angelte mit seinem Vater am Grenzfluss Kolpa, einige Meter entfernt platschte ein Bär ins Wasser und schwamm auf die andere Seite. Neulich stand er bei einer Party auf dem Balkon, das Krachen und Schmatzen aus dem angrenzenden Maisfeld war lauter als die Musik aus dem Wohnzimmer.

Im Moment lenkt Bastar einen Jeep durch die Wälder hinter der Kleinstadt Kocevje, die für Touristen als Einfallstor für Bärensafaris fungiert. Im Supermarkt kann man Bärensalami kaufen, das örtliche Hostel wirbt mit dem Prädikat „bärenfreundlich“, und am Stadtrand ermahnen Schilder mit einem gezeichneten Meister Petz darauf, bitte nicht die Natur zu vermüllen.

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Guides wie Martin Bastar wissen, wo und wann sich die Raubtiere zeigen. Sie führen Besucher zu Futterstellen und erklären das dazugehörige Ökosystem. Auf Forstwegen hinter rot-weiß lackierten Schranken beginnt die Pirsch, kleine und große Spuren im Matsch erzählen von letzter Nacht. Hirsche, Wildschweine, hier die Fährte eines Fuchs – mit einem Blick aus dem heruntergekurbelten Fenster öffnet sich für das geübte Auge von Bastar eine Welt, als hätte jemand das Licht in einem Diorama angeknipst.

Martin Bastar kommt aus der Gegend und hat Tourismus studiert. „Je mehr Menschen ich kennenlerne, umso mehr liebe ich die Tiere“, sagt er auf Deutsch. Als Kind habe er die Sprache bei Nachbarn gelernt, die jeden Sommer Urlauber aus dem Norden zu Besuch hatten. Er ist der Mann für die Fauna.

Wurzelgemüse ist das Take-Away

Auf der Rückbank sitzt sein Kompagnon, Micha Ogorelec, 28 Jahre alt, studierter Forstwissenschaftler und Experte für die Flora. Er schwärmt von Survivaltouren in den Wald, einsamen Tagen im Unterholz, nur mit Wasserflasche und Kochtopf ausgerüstet. Wenn es kühler wird, darf ein Schlafsack mit. „Die Natur hat alles, was wir brauchen.“ Insekten, Wasser, Wurzelgemüse heißen hier die Take-Away-Angebote.

Es ist früher Vormittag. Die Chancen auf eine Bärensichtung stehen schlecht. Um diese Uhrzeit ruhen die Tiere sich aus, versteckt in einer Senke oder einer Höhle. Martin Bastar kennt Menschen, die dort gern ihren Kopf hineinstecken würden, nur um das Raubtier von nahem zu sehen. „Wenn ich das höre, sage ich immer: Geh doch tiefer rein!“ Denn so viel Dummheit gehöre mit sofortigem Tatzenwumms bestraft. Auch wenn die Bären nicht aggressiv sind, werden sie sich und ihren Wohnraum verteidigen. „Stellen Sie sich doch mal vor, jemand stünde plötzlich in Ihrem Schlafzimmer!“ Bastar schüttelt den Kopf. Menschen – gibt es beklopptere Wesen unter der Sonne?

Ein erster Tatzenabdruck: Bärenspur im Wald.
Ein erster Tatzenabdruck: Bärenspur im Wald.

© Ulf Lippitz

Der Wagen parkt nun zwischen taufeuchten Gräsern, neben einer Pfütze hat Bastar den Abdruck einer Bärentatze entdeckt, höchstens zehn Minuten Autofahrt von Komevje entfernt. Er schaut sich die Spur an, „100 Kilo vielleicht“, kein ausgewachsenes Exemplar, vor ein paar Stunden hier vorbeigelaufen. Micha Ogorelec beobachtet indessen die Pfütze, fischt mit seiner Hand einen Mini-Frosch heraus, dreht ihn auf den Rücken und zeigt eindrücklich, warum dieser Lurch Gelbbauchunke heißt.

Wieder im Wagen erklärt Bastar, dass es eigentlich nur drei Szenarien gäbe, in denen ein Bär gefährlich werden könne. Nummer eins nennt er „Köter im Wald“: Ein frei laufender Hund weckt einen Bären auf, reizt ihn, rennt zurück zu seinem Besitzer und das genervte Tier hinterher. Das passiere am häufigsten. Dann solle der Mensch sich langsam wegbewegen, den Hund bloß nicht aufs Tier hetzen. Das hilft eigentlich fast immer.

Drei Todesfälle sind dokumentiert

Dann passiert es noch, dass sich Spaziergänger unwissentlich zwischen eine Bärenmutter und ihre Jungen stellen. Auch hier gilt: Vorsichtig zurückbewegen. Und schließlich geschehe es immer öfter, dass sich Menschen mit Kopfhörern durchs Dickicht bewegen und die Alarmzeichen – wie das Schnaufen eines Bären – überhören.

„Schnüffelt jemand neben dir laut, ist es vermutlich ein Bär, der versucht, deinen Geruch zu orten.“ Gehe man wieder auf den Weg zurück, sind die verunsicherten Tiere meist besänftigt. Zum schlimmsten anzunehmenden Fall, dem „Tranchieren“, wie ihn Bastar nennt, ist es in den vergangenen Jahren nicht gekommen. Drei Angriffe mit Todesfolge sind seit 1945 in Slowenien dokumentiert.

In der Grenzregion von Kroatien und Slowenien finden die Bären ideale Lebensbedingungen.
In der Grenzregion von Kroatien und Slowenien finden die Bären ideale Lebensbedingungen.

© Ulf Lippitz

Pflanzenfachmann Martin fährt nun den Jeep das Gebirge hoch, eine serpentinenreiche Strecke ohne Ortschaften, lauter Bäume links und rechts, manchmal kann man dank einer Lücke auf das tiefer gelegene Plateau blicken: einen grünen Teppich mit sanften Wellen und steil aufsteigenden Karstfelsen.

Das Gestein ist der Grund, warum dieser Flecken bisher keiner landwirtschaftlichen Nutzung unterlag. Karst saugt Wasser auf, die Erde ist dadurch weniger fruchtbar, der Untergrund felsig. Bauern können also nichts anbauen. Hinzu kommt noch eine historische Besonderheit. Zu jugoslawischen Zeiten befand sich auf dem Territorium ein militärisches Sperrgebiet. Die Armee probte den Ernstfall, die Menschen mussten draußen bleiben, und die Natur gedieh.

Am Krokar, einen 1192 Meter hohen Berg und beliebten Wanderziel, haben die Naturschützer sogar einen 75 Hektar großen Wald gesperrt, damit er so ursprünglich wie möglich wachse. Was eben auch bedeutet, erklärt Micha, dass es viel weniger Vielfalt als in einem von Förstern bewirtschafteten Stück gäbe, höchstens sieben Laubbaumarten, eine Haselnuss hätte da beispielsweise keine Chance.

Wanderwegweiser am Krokar.
Wanderwegweiser am Krokar.

© Ulf Lippitz

Eine halbe Stunde Autofahrt vom Krokar entfernt, über enge Straßen und durch immer noch dichte Wälder, die Orientierung hat sich längst verabschiedet, denn an welchen Punkten könnte der Städter jetzt noch das besondere Muster der Schonung erkennen, nach 30 Minuten Autoruckeln und Kurvenschleudern also bremst Martin Bastar plötzlich ab.

Er hat den Goldschatz entdeckt: Bärenkot liegt auf dem Weg. „Superfresh“, sagt er. Micha holt die Kamera aus dem Wagen, fotografiert den Haufen und tut dann das, was Helfer der Wissenschaft eben so tun: Er stochert mit einem Holzstiel im Kot herum.

„Unsere Bären sind kleine fette Veganer“, erklärt Martin. Sie würden sich die meiste Zeit von Beeren, Blättern und Früchten ernähren. Dieses Tier hat seinen Proteinbedarf mit Insekten gedeckt, genauer gesagt mit Wespen. Deutlich erkennen die Guides die gelb- schwarze Haut, die unverdaut geblieben ist. Micha klärt einen der größten Mythen über Bären auf: Nicht am Honig seien die Pelztiere interessiert, sondern an den nahrhaften Larven eines Bienenstocks. Der süße Nektar ist nur das Sahnehäubchen obendrauf.

Jackpot: Martin Bastar hat Bärenkot gefunden.
Jackpot: Martin Bastar hat Bärenkot gefunden.

© Ulf Lippitz

Bären sind talentierte Opportunisten. Sie essen Fleisch, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet – und sie nicht zu hart dafür kämpfen müssen. Das wissen auch schlaue Bauern und nutzen die Schwäche aus. Sie kaufen alte Schafe, stellen sie auf eine kaum umzäunte Weide nahe den Wäldern und warten, bis ein Bär die Tiere reißt. Der Staat zahlt für getötetes Nutzvieh eine Entschädigung, „und plötzlich bekommt der Bauer für ein Schaf, das höchstens noch 20 Euro wert war, 180 Euro“, erzählt Martin.

Der Nachmittag wirft bereits lange Schatten. Mit einem Jäger brechen Martin und Micha nun zu einem Futterplatz auf. Dort hat der Mann einen Präsentierteller mit Mais vorbereitet – eine Holzplatte, die an einen Baum genagelt ist. Von einem isolierten Hochstand aus, einer Art Besucherplattform hinter Glas, schauen alle gebannt auf die Lichtung.

Es gelten harte Regeln: nicht bewegen, höchstens flüstern, Handys ausstellen, die Helligkeit der Geräte dimmen. Wird der Bär nur das kleinste Geräusch hören, macht er einen Bogen um den Ort. Zwei Stunden werden zur Geduldsprobe, Nichtstun bedeutet wirklich nichts tun. Der Bär, diese zottelige Diva, lässt sich nicht blicken.

Von solchen Hütten aus können Besucher Bären beobachten - wenn sie Glück haben.
Von solchen Hütten aus können Besucher Bären beobachten - wenn sie Glück haben.

© Ciril Jazbec/Slovenio.info

Niemand ist darüber verstimmter als Micha und Martin. Den ganzen Tag über haben sie die Allgegenwart der Tiere behauptet, nun schleichen diese sich ungesehen durchs dunkle Gebüsch.

Die beiden Guides beraten sich. Eine Nachtsafari soll ihren Ruf retten. Es geht hinunter zur Kolpa, zu feuchten Wiesen und kleinen Dörfern. Im Kegel des Lichts bleiben Rothirsche stehen, nach einem Dutzend vergisst man weiterzuzählen, eine Fuchsfähe rennt mit ihrem Jungtier davon, ein Marder springt ins hohe Gras, und eine ganze Wildschweinrotte läuft zehn Meter neben dem Jeep.

Ein Fellknäuel mit zwei putzigen Ohren

Plötzlich ruft Martin: Stopp! Micha bremst den Wagen ab, fährt im Rückwärtsgang die Straße entlang, bis Martin sagt: „Dort im Apfelbaum!“ Der Baum mit den reifen Früchten ist knapp 20 Meter entfernt, die Scheinwerfer des Jeeps suchen ihn, finden ein großes Fellknäuel und ein kleines mit zwei putzigen Ohren.

Ein Weibchen mit einem Jungtier, nein, es sind zwei, denn mit einem Mal klettert ein süßer Teddybärfratz am Stamm herunter, läuft zur Mutter, die langsam im Dickicht verschwindet. Das sind sie also: die wilden Bären Sloweniens, die keinen Apfelbaum links liegen lassen können. Martin Bastar hatte vollkommen Recht: kleine fette Veganer.

Reisetipps: Mit dem Zug in 13 Stunden von Berlin nach Kocevje, Tickets ab 70 Euro bis Ljubljana, dann Regionalzug nach Kocevje nehmen, 12 Euro. Unterkommen kann man im Bearlog Hostel, ab 64 Euro das Doppelzimmer, kocevsko.com. Eine Bärentagestour für acht Personen, ab 180 Euro pro Kopf, ebenfalls buchbar unter kocevsko.com. Nachhaltiges Essen gibt es auf dem Weg von Ljubljana, zum Beispiel im Restaurant Gric, gerade mit einem Michelinstern bedacht, gric.si. Diese Reise wurde unterstützt vom Slowenischen Fremdenverkehrsamt.

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