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Die Star-Violinistin Anne-Sophie Mutter begann Ende der 90er Jahre, sich für Charity for Children starkzumachen. Geprägt hatte sie ihr Pfarrer.

© Harald Hoffmann/DG

Anne-Sophie Mutter über den Jemen-Krieg: „Den Irrsinn für wenige Sekunden stoppen“

Anne-Sophie Mutter über ihr langjähriges Engagement, das Benefizkonzert für den Jemen und wie Musik die Menschen verbindet.

Frau Mutter, Sie engagieren sich seit Langem für Save the Children. Die Einnahmen aus Ihrem Benefizkonzert am 18. Mai in Hamburg kommen der Arbeit der Organisation im Jemen zugute. Was treibt Sie an?

Ich habe Ende der 90er-Jahre begonnen, mit Save the Children zu arbeiten. Als Mutter sind es vor allem die Kinder, die mir am Herzen liegen. Save the Children ist die größte Organisation weltweit, die sich für Kinder einsetzt – und eine der wenigen, die im Jemen noch arbeiten kann. Der Krieg tobt dort seit 2015; die Lieferung von Hilfsgütern wird extrem erschwert. Fünf Millionen Kinder und 2,5 Millionen Schwangere haben keine Lebensmittel. Zwei Millionen Kinder unter fünf sind akut mangelernährt. Kinder sind unsere Zukunft, heißt es. Ja, Pustekuchen, wenn Millionen jämmerlich verhungern! Entweder sie verhungern oder werden erschossen oder sterben an Cholera oder Diphtherie. Und die Welt schaut zu. Aber wir dürfen nicht zuschauen, wir müssen etwas tun. Darum spielen Mitglieder der Wiener und Berliner Philharmoniker und ich das Benefizkonzert. Wir wollen die Augen dafür öffnen, wie privilegiert wir sind, nicht in einem Kriegsgebiet zu leben, in dem 20 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, in dem sich die Lebensmittelpreise um 150 Prozent erhöht haben.

Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie als bekannte Persönlichkeit auch jenseits der Bühne etwas bewegen können?

Stark geprägt hat mich Paul Gräb, mein Pfarrer, der leider dieses Jahr starb. Schon in den 60er-Jahren begann er mit seiner Hilfe für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die in einer Heimatstätte, dem Haus der Diakonie in Wehr-Öflingen, mündete. Und er brachte diese Menschen mit seinen Künstlerfreunden zusammen, mit Bildhauern und Malern wie Günter Uecker, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie etwas können, dass sie wertvolle Mitglieder der Gesellschaft sind. Paul Gräb hat mich 1969 getauft, obwohl ich schon Jahrgang ’63 bin. Meine Eltern wollten unbedingt, dass ich mich an meine Taufe erinnere. Das gelang nur sehr rudimentär. Aber ich erinnere mich genau an diesen wunderbaren Mann. Unser aller Leben ist ja relativ kurz. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich – wenn ich kann – unbedingt mitwirke, damit es anderen Menschen besser geht.

Sie haben allein im vergangenen Jahr fünf Benefizkonzerte für verschiedene Zwecke gespielt. Wie wählen Sie aus?

Der Jemen ist in meinen Gedanken, seit dort der Krieg ausbrach. Darüber hinaus sind es Katastrophen wie Fukushima oder das verheerende Erdbeben in Mexiko, bei denen ich spontan helfe. Aber auch Projekte wie das Kinderheim im rumänischen Orlat sind mir wichtig, denn sie geben langfristig Schutz und Sicherheit. In Rumänien funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz, dem Bürgermeister vor Ort, den Mitarbeitern und der großartigen Heimleitung wunderbar. Diese Kontinuität ist mir wichtig. Doch wenn nötig, schreie ich auch auf: Schaut nicht weg, haltet inne! Es ist großartig zu wissen, dass man helfen kann, dass man dem Schrecken etwas entgegensetzen und den Irrsinn für wenige Sekunden stoppen kann.

Sie werden bestimmt von vielen gemeinnützigen Organisationen mit Anfragen, sich zu engagieren, überschüttet. Ist das ein Problem für Sie?

Nein, kein Problem, aber ich möchte natürlich genau prüfen, mit wem ich eine Verbindung eingehe. Spenden sollen schließlich dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Ist das sichergestellt, folgt leider dieses verflixte Abwägen. Aber irgendwie schaffe ich es immer wieder, dass ich Projekte unterstützen darf, die das Leben anderer positiv beeinflussen und auch meinem Leben mehr Sinn geben.

Ist es bei Ihren Benefizkonzerten wichtig, was gespielt wird, oder geht es vor allem um die Signalwirkung, um die Geste?

Ich glaube, es geht erstmal um die Geste. Darum, dass sich Menschen bereiterklären, in ihrem Alltag innezuhalten, ein Zeichen zu setzen und mit einer Organisation wie Save the Children einen Bund einzugehen.

Da passt vielleicht das Mozart-Programm, mit dem Sie gerade auf Tour sind, ganz gut.

Ja, Mozart war ja auch ein Kind, als er anfing zu komponieren.

Und er ist einer, der viele Menschen anspricht. Ist es das: Muss man bei Benefizkonzerten populäre Werke bieten?

Ich muss gestehen, dass ich darüber gar nicht nachgedacht habe; da bin ich ziemlich unerschrocken. Musik ist auf jeden Fall ein Bindeglied unserer Gesellschaft. Natürlich sind bei einem reinen Mozart-Programm der Wiedererkennungs- und der Wohlfühleffekt besonders groß. Das kann sich im Grunde nur positiv auf die Stimmung des Abends und hoffentlich auch auf die Spendenbereitschaft auswirken.

Mit dem Violinkonzert von Mozart kehren Sie zu Ihren musikalischen Anfängen zurück, zu den ersten Konzerten als Teenagerin mit Herbert von Karajan. Gibt es Momente, in denen Sie dankbar zurückdenken, wie gut Sie es selbst als Kind hatten?

Wenn ich an Karajan denke, bin ich natürlich wahnsinnig dankbar. Und ich hatte eine tolle Kindheit im Schwarzwald, weit weg von allem Wahnsinn dieser Welt. Aber wenn ich Mozart spiele, geht es ja nicht um meine eigene Biografie. Es ist richtig, dass mit Mozart mein musikalisches Leben – sogar noch vor Karajan – begann. Bei meinem ersten Auftritt mit Orchester spielte ich mit neun Jahren das Konzert Köchelverzeichnis 211. Das Faszinierende an Mozart ist, dass man in unterschiedlichen Lebensabschnitten immer neue Blicke auf ihn entwickelt. In den letzten 40 Jahren habe ich mein Mozart-Repertoire enorm vergrößert.

Seit dem Jahr 2000 führe ich die Mozart-Konzerte nicht mehr mit Dirigent auf, sondern nur noch mit 16 Musikern, also einer Art doppeltem Oktett, ganz kammermusikalisch, wie es zu Mozarts Zeiten üblich war. Ich verspreche mir davon einen sehr viel intimeren, spontaneren und lebendigeren musikalischen Gedankenaustausch. Vielleicht ist das auch ein Hinweis auf den Austausch in einer Gesellschaft, der genauso lebhaft, persönlich und emotional stattfindet. Und der dann am Ende des Abends zu dem Schluss führt: Ja, ich kann und ich will und ich werde helfen.

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