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Ein Mann greift zu einer Champagner-Flasche.

© Jens Kalaene/dpa

Studie zu Einkommen: Warum schätzen sich die Reichen ärmer?

Niemand fühlt sich in Deutschland den einkommensstärksten Schichten zugehörig. Haben nun sogar die Reichen Angst vor dem sozialen Abstieg? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Reich sein wollen alle. Doch wer objektiv als reich gilt, schätzt sich subjektiv selten als reich ein. Wenn es um die Einordnung in die Wohlstandspyramide der Gesellschaft geht, fühlt sich in Deutschland praktisch niemand den einkommensstärksten 20 Prozent der Gesellschaft zugehörig. Das ergab eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Ist das Ahnungslosigkeit? Oder gibt es eine „Einkommensscham“, wie manche vermuten?

Die untere Schwelle zu den einkommensstärksten zehn Prozent der Gesellschaft erreicht in Deutschland laut der Studie bereits ein Single mit 3440 Euro Nettoeinkommen. Bei den exorbitant gestiegenen Mieten in Großstädten bleibt davon vielleicht nur die Hälfte „zum Leben“ übrig. Reich ist wahrlich etwas anderes.

Klafft die Wohlstandsschere am Ende unter den Wohlhabenden am weitesten auseinander? Der Club der Superreichen mit mehr als 100 Millionen Euro Vermögen wächst schließlich rasant. Wenn die 3440-Euro-Singles diese als Messlatte nehmen, sind sie vergleichsweise arme Kirchenmäuse. Man könnte natürlich auch zynisch anmerken, dass eine Gesellschaft doch gerecht ist, wenn sich quasi niemand reich findet, sondern alle zwölf Mal im Jahr denken: Mist, am Ende vom Geld ist ja noch Monat übrig.

Reichtum bleibt letztlich doch relativ

Doch Fakt ist: Vom wirtschaftlichen Wachstum der vergangenen Jahrezehnte profitierten vor allem jene massiv, die ohnehin oben stehen. Während im Niedriglohnbereich die Einkommen sogar sanken, haben die Spitzenverdiener doppelt so stark dazugewonnen wie der Durchschnitt. Erst im Juli diagnostizierten IWF-Ökonomen, dass Deutschland ein Land mit extrem ungleicher Vermögensverteilung und hohen Einkommensunterschieden sei.

Die reichsten 45 Personen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Gleichzeitig arbeitet fast jeder vierte Beschäftigte für einen Niedriglohn. Das Motiv der Befragten, sich nicht zum Reichsein zu bekennen, könnte sich quasi aus der Moral von der Geschicht ergeben.

Doch die Selbsteinschätzung der Allerreichsten dürfte auch ein Hinweis darauf sein, dass ihnen kaum bewusst ist, wie viel weniger Vermögen der Großteil der Bevölkerung hat. Für alle anderen gilt: Solange andere in der Wettbewerbsgesellschaft mehr haben, ist man selbst eben Mittelschicht. Reichtum bleibt letztlich doch relativ. Die Ärmsten in der Gesellschaft können übrigens die eigene Position im Vermögensgefüge wesentlich besser einschätzen. Sie haben ja nichts.

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