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Das Museum ist beliebter Programmpunkt für ausländische Spitzenpolitiker.

© imago/Belga

Geschichtsverfälschung in Ramallah: Die angeblichen Wahrheiten des Arafat-Museums

Von Folklore bis Terroristen-Verehrung: Im Arafat-Museum in Ramallah wird palästinensische Geschichte sehr frei interpretiert. Deutschen gefällt das.

Ein Gewehr lehnt an der Rückseite des Sargs, einer der Wachleute ist gerade nicht da. Sein Kollege steht kerzengerade, schaut ins Leere und würdigt die Besucher keines Blickes, ganz wie die Palastwachen vorm Buckingham Palace. Er entspannt sich erst, als die Touristen den Raum verlassen. Dann zückt er sein Smartphone und wischt darauf herum.

In dem Sarg liegt Jassir Arafat, der vor 15 Jahren verstorbene Palästinenserführer. Friedensnobelpreisträger, Beinahe-Staatengründer, Diplomat, Ikone, Kämpfer, Terrorist. Sein Mausoleum ist aus beigefarbenem Sandstein gebaut, auf der Sargplatte steht ein Vers aus dem Koran: „Und sagt nicht von denen, die auf Allahs Weg getötet werden, sie seien tot.“

Der würfelförmige Bau liegt am südlichen Ende der sogenannten Muqataa, einem weitläufigen, umzäunten Areal, das als Hauptquartier der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah dient. Er erinnert an eine Zeit, in der die Verwirklichung des palästinensischen Traums, die Ausrufung eines eigenen Staates, greifbar schien. Und ist vielen heute noch Symbol dafür, dass genau dies, jedenfalls theoretisch, weiterhin möglich sei.

Während die Hamas in Gaza zur Vernichtung des jüdischen Staats aufruft und die Hisbollah im Norden mit 120.000 Raketen droht, gilt Ramallah als Hochburg der Moderaten. Derjenigen, die noch am ehesten bereit wären zu verhandeln, und sei es nur über eine Wiederaufnahme von Verhandlungen.

Ramallahs größte Touristenattraktion

Die Muqataa ist Ramallahs Touristenattraktion Nummer eins. Denn auf dem Gelände befindet sich auch, direkt nebenan, das hochmoderne, sieben Millionen Euro teure Jassir-Arafat-Museum. Vor drei Jahren hat es eröffnet, seitdem wurden etliche ausländische Staatschefs durch die Ausstellung geführt, Hunderttausende Touristen haben es besucht. Besonders bei Deutschen ist der Ort beliebt, nach Auskunft des Museums stellen sie die größte Gruppe unter den ausländischen Besuchern. Verteilt auf mehrere Geschosse, so erfährt man am Eingang, wird nicht nur der Lebensweg Jassir Arafats geschildert, sondern generell ein „palästinensisches Narrativ“ vermittelt, ein Blick auf die palästinensische Geschichte. Was ist das für Narrativ – und welche Geschichte wird hier vermittelt?

In der Eingangshalle hängt ein gigantisches Ölgemälde. Es zeigt eine Gruppe Menschen, 65 insgesamt, die allermeisten Männer. Das Werk ist als Ehrerweisung an Personen gedacht, die einen bedeutenden Beitrag für das Wohlergehen der Palästinenser geleistet haben, so steht es auf der Erklärtafel. Im Zentrum des Bildes steht, natürlich, Jassir Arafat. Drumherum: ein berühmter Dichter, ein Philanthrop, ein Literaturkritiker, und dann aber auch: ein Mann im weißen Gewand mit weißem Rauschebart. Das ist Scheich Ahmad Yasin, Gründer der Hamas. Auch Mustafa Hafez ist dabei, der ägyptische Geheimdienstchef, der in den 1950ern Freiwillige für Anschläge in Israel rekrutierte. Und die Flugzeugentführerin Leila Chaled.

Der Eingang zum Mausoleum.
Der Eingang zum Mausoleum.

© imago/ZUMA Press

Auf dem Gemälde wird eine Reihe von Terroristen geehrt, die auch unter Landsleuten ausschließlich dafür bekannt sind, dass sie gezielt Zivilisten angriffen. Dalal Mughrabi zum Beispiel. Sie war 1978 hauptverantwortlich für den bis heute schwersten Anschlag in der Geschichte Israels. Beim sogenannten Küstenstraßenmassaker landeten Mughrabi und ihre Komplizen auf  Booten am Strand nördlich von Tel Aviv, schossen mit Maschinenpistolen und Mörsern auf Touristen und vorbeifahrende Autos, überfielen zwei Busse und töteten deren Insassen. Insgesamt starben an diesem Tag 37 Menschen, darunter zwölf Kinder.

Wie kann eine Person, die für nichts steht als für die Ermordung von Zivilisten, in einem renommierten, international beachteten Museum als „herausragende Persönlichkeit“ geehrt werden?

Man hat nicht einmal die Eingangshalle durchquert, und schon ist klar, dass dieser Ort nicht bloß Erinnerung an eine Ikone ist, sondern auch ein Beweis für die unversöhnliche Lage. So wie in der israelischen Öffentlichkeit nicht über die Verbrechen zionistischer Untergrundorganisationen in den 1930ern gesprochen wird und selten über Gängelungen, die Palästinenser heute im Westjordanland erleben, so scheint auch dieses Museum wenig daran interessiert, Recht von Unrecht zu unterscheiden.

Ein Abschnitt der Ausstellung ist den diplomatischen Leistungen Jassir Arafats gewidmet. Seiner Rede vor der UN im November 1974, seiner Unterzeichnung der Oslo-Verträge zum Nahost-Friedensprozess, wofür er später den Nobelpreis erhielt. Ausgestellt werden auch Arafats Pistole, seine Kopfbedeckungen, seine Notizbücher. Es gibt Videomitschnitte und viele Fotos.

Jüdische Geschichte? Gab es nie!

Parallel dazu präsentiert die Ausstellung einen chronologischen Abriss der historischen Entwicklung Palästinas. Nicht erwähnt wird die 3000-jährige jüdische Geschichte der Region, die beiden Tempel von Jerusalem, die Zeit Davids. Juden kommen im Museum ausschließlich als Invasoren vor, die aus Europa eindrangen und sich gewaltsam fremdes Land nahmen.

Verschwiegen wird auch, wie es zum israelischen Unabhängigkeitskrieg kam: dass nämlich im Mai 1948 Truppen aus Ägypten, Jordanien, Syrien, dem Libanon und Irak in Israel einmarschierten, um den soeben gegründeten und von der UN legitimierten jüdischen Staat auszulöschen.

Ähnlich der Sechstagekrieg 20 Jahre später, der schließlich mit der Besetzung des Westjordanlands und Ostjerusalems durch Israel endete: kein Wort über die vorausgegangenen Ankündigungen arabischer Staaten, Israel nun endgültig zu zerstören - dass etwa der syrische Präsident seine Landsleute zum „totalen Krieg“ aufrief, der ägyptische öffentlich nichts weniger als die „Vernichtung Israels“ versprach. Stattdessen heißt es in der Ausstellung nur: „Der Krieg bricht aus.“ Als sei irgendwie eine Naturkatastrophe geschehen.

Mohammad Halayqa, der Direktor des Museums, weist alle Kritik zurück. In seinem Haus werde gezeigt, was und wie es sich tatsächlich ereignet habe. Ohne jede Propaganda oder Übertreibung. Im Gegensatz übrigens zu israelischen Museen, die meide er grundsätzlich – er ertrage nicht, wie dort „geplünderte Ausstellungsstücke gezeigt und Geschichte verfälscht“ werde.

Jassir Arafat im April 2003.
Jassir Arafat im April 2003.

© AFP/Jamal Aruri

Ein älteres deutsches Ehepaar schlendert durch die Gänge, schaut sich die Fotos und Gegenstände in den Vitrinen an. Die beiden lesen die Erklärtexte nicht, analysieren aber im Vorbeigehen den Nahostkonflikt. Es sei eine Tragödie, dass die sich nicht einigen könnten. Dass in dieser Region nicht endlich mal Ruhe einkehre. „Sie könnten es so schön haben hier“, sagt der Mann.

Das Museum ist auch ein beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen aus dem Westjordanland. Spezielle Gruppenführungen gibt es zudem für Angehörige sogenannter „Märtyrer“, also umgekommener Attentäter oder solcher, die heute in israelischen Gefängnissen sitzen. Hier erfahren die Angehörigen, dass etwa die Terroristen des Kommandos „Schwarzer September“, die 1972 das Münchner Olympia-Attentat verübten, niemandem geschadet hätten. Für die Toten seien die deutschen und israelischen Sicherheitskräfte verantwortlich.

Ein Nazi-Kollaborateur als Ehrenmann

Eine eigene Schautafel informiert über Mohammed Amin al Husseini. Den muslimischen Geistlichen, der 1921 zum Großmufti von Jerusalem ernannt wurde. Auf einem schwarz-weißen Porträtfoto lächelt er milde in die Kamera. Kein Wort darüber, dass al Husseini Adolf Hitler verehrte, den Holocaust befürwortete und selbst zum Dschihad gegen die Juden aufrief („Tötet die Juden! Tötet sie alle!“). Unter Forschern gilt al Husseini als Schlüsselfigur für die Ausbreitung des modernen Antisemitismus im arabischen Raum, der Historiker Martin Cüppers hat detailliert nachgezeichnet, wie eng al Husseini mit dem NS-Regime kooperierte, Pogrome auslöste und von einer Zukunft als „arabischer Führer von Hitlers Gnaden“ träumte. Im Arafat-Museum wird er ausschließlich als ehrbarer Geistlicher dargestellt.

Die Ausstellung behauptet, Jassir Arafat sei 1929 in einem Apartment in der Altstadt von Jerusalem zur Welt gekommen. Die Macher haben einen Teil der Wohnung rekonstruiert, inklusive Fenster samt Blick auf die Al-Aksa-Moschee. Gleich bei der Eröffnung wiesen Historiker und Arafat-Biografen darauf hin, dass dessen tatsächlicher Geburtsort Kairo ist – was allerdings weniger ins gewünschte Narrativ vom natürlichen palästinensischen Anspruch auf Jerusalem passt. Mittlerweile hat selbst Nazmi Jubeh, Historiker und Kuratoriumsmitglied des Museums, das „bedauerliche Missverständnis“ in einem Interview eingeräumt. Korrigiert wurde das Museumsschild bis heute nicht.

Exponate der Ausstellung.
Exponate der Ausstellung.

© Reuters/Mohamad Torokman

Über eine Brücke gelangen die Besucher ins Nebengebäude – direkt in die Räume von Arafats einstigem Amtssitz. Hier hat er die letzten zweieinhalb Jahre seines Lebens verbracht, stand faktisch unter Hausarrest, da Israels Armee das Areal umstellt hatte. Israel beschuldigte Arafat damals, die sogenannte zweite Intifada zu unterstützen – die Terrorwelle, bei der ab dem Herbst 2000 hunderte israelische Zivilisten durch Selbstmordanschläge ums Leben kamen. Der Ort gilt deshalb als Symbol für die Standfestigkeit des palästinensischen Volkes und als Schauplatz von Arafats letztem Kampf.

Wie authentisch sind die Wohnräume?

Die Zimmer, die heute als Arafats Rückzugsräume während der Belagerung präsentiert werden, sind auffallend karg eingerichtet. „Alles wie damals, nichts wurde verändert“, sagt die Ausstellungsmitarbeiterin. Besonders eindrücklich ist die kleine Kammer am Ende des Flurs, in der Arafat demnach schlafen musste. Ein simples Bettgestell mit schäbiger Bettdecke, ein veralteter Röhrenfernseher als größter Luxus.

Interessant ist, dass noch Fotos von Arafats Wohnräumen existieren, die kurz nach dessen Tod entstanden. Sie zeigen eine geräumige Suite inklusive Doppelbett, Fitnessgerät und angeschlossenem Luxusbad. Der deutsche Journalist Ulrich Sahm hat sie im Januar 2005 aufgenommen, knappe zwei Monate nach Arafats Tod und viele Jahre, bevor der Plan eines Museums reifte. Sahm arbeitete damals für n-tv und diverse deutsche Zeitungen, auch für den Tagesspiegel.

An dem Tag, an dem die Bilder entstanden, begleitete er den österreichischen Nationalratspräsidenten Andreas Khol bei einem Rundgang durch das Gebäude. „Die Mitarbeiter haben uns damals sehr gern die echten Räume gezeigt“, sagt Sahm. „Aber offenbar passen sie heute nicht mehr zur Botschaft der Ausstellung und dem Bild des bodenständigen, spartanisch lebenden, kein bisschen korrupten Arafats.“

Sahm sagt, das eigenwillige Verhältnis zur Wahrheit sei ihm schon zu Arafats Lebzeiten aufgefallen. 2002 habe der Palästinenserführer ihn und weitere Pressevertreter in einem abgedunkelten Raum bei Notbeleuchtung empfangen. Den Journalisten wurde erklärt, israelische Soldaten hätten Arafat den Strom abgestellt. „Sie hatten allerdings übersehen, dass in einer Ecke noch ein Fernseher lief.“ Der habe die Inszenierung gestört, ein Mitarbeiter Arafats habe das Gerät dann hektisch ausgeschaltet.

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