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 Der Mittelalter-Krimi „Der Name der Rose“, verfilmt mit Sean Connery, erzählt von Macht, Verschleierung und Wissen.

© picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Geschichts-Forschung: Wissen ist Macht

Eine Tagung an der Freien Universität beleuchtet die Rolle von Überwachung und Kontrolle in der Geschichte.

Er hält den Giftbecher in der Hand und ringt mit sich, Doktor Faust wähnt sich unbeobachtet. Als die Glocken zum Ostersonntag läuten, lässt er schließlich ab vom Gedanken, sich selbst zu töten – und doch hat er einen Mitwisser: den Teufel höchstpersönlich. „Das Spionieren, scheint’s, ist deine Lust“, entgegnet Faust Mephisto nur wenig später, als dieser ihn auf die dunkle Stunde in seinem Studierzimmer anspricht. Goethes Protagonist ist beeindruckt von der Macht des Teufels und lässt sich auf einen Pakt mit ihm ein.

Tatsächlich ist Wissen Macht, und die Herrscher in der Menschheitsgeschichte haben immer wieder versucht, ihre Macht zu mehren, indem sie Wissen über die Untertanen sammelten. Ein internationaler Workshop des Exzellenz-Clusters Topoi von Freier Universität und Humboldt-Universität, in dem sich Wissenschaftler mit Raum und Wissen in der Antike beschäftigen, hat jüngst die Rolle der Überwachung für die Sicherung der Herrschaft und für die Disziplinierung der Beherrschten diskutiert.

Dass Alexander der Große die Feldpost seiner Soldaten überwachen ließ und der römische Kaiser Augustus seine Briefe über ausgeklügelte Code-Tabellen verschlüsselte, ist ebenso bekannt wie das Überwachungssystem des Joseph Fouché. Als Polizeipräsident baute er unter Napoleon Bonaparte den ersten modernen Inlandsgeheimdienst der Geschichte auf, der systematisch Personenkarteien erstellte. An ihm orientierte sich später der österreichische Staatskanzler Klemens Fürst von Metternich: Er richtete in Mainz ein „Informationsbüro“ ein, dessen Mitarbeiter deutschlandweit die Menschen bespitzelten, um die Macht der absolutistischen Herrscher im Deutschen Bund zu bewahren.

„Über die Jahrhunderte lassen sich immer wieder Parallelen entdecken, wie Herrscher ihre Macht durch Überwachung mehrten“, sagt der Religionswissenschaftler Tudor Sala, der am Exzellenz-Cluster Topoi die frühen Formen des Christentums im vorderasiatischen Raum erforscht und die Tagung an der Freien Universität organisiert hat. Bei allen Unterschieden in den Ländern und Zeiten der Geschichte, das Forschertreffen hat gezeigt: Die Methoden der Herrschenden, mit denen sie Kontrolle über ihre Untertanen ausüben, gleichen sich in vielen Aspekten weltweit und über die Jahrhunderte.

Transparenz als Ideal der Gesellschaft

In der griechisch-römischen Antike galt Transparenz als Ideal einer Gesellschaft. Wie weit diese Offenheit gedacht wurde, beschreibt der griechische Rhetoriklehrer und politische Publizist Isokrates im 4. Jahrhundert v. Chr.: Das Volk solle die Vorstellung entwickeln, der Herrscher sei immer anwesend und habe Kenntnis von allen Taten und Gedanken. Es war der Traum eines jeden Machthabenden von der totalen Überwachung seiner Untertanen. „Das sind die typischen Allmachtsfantasien der Herrschaft“, sagt Tudor Sala. „Allerdings steht diesem Traum in der griechisch-römischen Antike meist ein tiefes Unbehagen gegenüber Tyrannei und Willkürherrschaft entgegen.“ Um einem ungezügelten Denunziantentum Einhalt zu gebieten, bestrafte man in vielen antiken Kulturen Falschaussagen drakonisch, so wie der babylonische König Hammurapi im 18. Jahrhundert v. Chr.: Wer jemandem böswillig eine Tat unterstellte, die dieser nicht begangen hatte, dem drohte die gleiche Strafe, welche für die Tat vorgesehen war, die er dem anderen vorwarf.

Ausnahmslos habe sich die Überwachung in der Geschichte immer dann gezeigt, wenn höhere Mächte im Spiel gewesen seien, sagt der Forscher: „Vom Sonnengott der Babylonier bis zum alleinigen Gott Mohammeds belegen unzählige Hymnen, Inschriften und heilige Texte der antiken Welt die sowohl Trost spendende als auch Unbehagen hervorrufende Gewissheit, die besagt: Gott sieht alles.“ Wie Überwachung und Kontrolle unter Christen funktionierte, hat Sala anhand der Überlieferungen eines spätantiken Klosterverbandes in Oberägypten untersucht: Anfang des 5. Jahrhunderts führte hier der Mönch Schenute von Atripe ein eisernes Regiment. Um die strengen Regeln zu überwachen, die er von seiner monastischen Gemeinschaft einforderte, hielt er seine Mitbrüder und -schwestern an, Verfehlungen anderer zu melden.

Die Überwachten schützen sich gegenseitig

Doch der Informationsfluss im Kloster lief nicht wie gewünscht. Schenute hatte die emotionalen Bindungen einzelner Mönche und Nonnen untereinander unterschätzt. „Auch das ist typisch für das System der Überwachung: Die Überwachten schützen sich gegenseitig.“

Schenute erhöhte den Druck, indem er die offensichtlich nicht zu tilgenden emotionalen Bindungen innerhalb des Klosters zu manipulieren und sie so geschickt ins Überwachungssystem zu integrieren versuchte. Er tat das, indem er auf die von Gott gesetzten Grenzen seiner prophetischen Gabe hinwies, mit der er in der Vergangenheit bereits Sünder überführt haben wollte: Schenute argumentierte, das Schweigen Gottes in Bezug auf das sündige Treiben seiner Brüder beweise, dass Gott die Sünder bereits für alle Ewigkeiten bestraft habe. Damit wollte der Abt die Mönche und Nonnen emotional erpressen. Bislang geheim gehaltene Sünden sollten schnellstmöglich offenbart werden, um die bereits beschlossene göttliche Bestrafung doch noch zu verhindern. „Ein jenseitiges Gericht ist das anschaulichste Beispiel der totalen Überwachung. Es ist ein Gemeingut unterschiedlicher religiöser Strömungen in der Kulturgeschichte der Menschheit“, sagt Sala.

An seine Grenzen stößt das System der Überwachung, wenn sich Bürokratie und Spitzelwesen verselbstständigen und die Mächtigen die Kontrolle verlieren. „Dies führt nicht selten zu Umstürzen und Aufständen“, sagt Sala. Die höchste Kunst eines Herrschers bestand also darin, seine Neugierde auf das nötige Maß zu begrenzen. Vielleicht antwortet Mephisto Goethes Faust auch bescheiden: „Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewusst.“

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