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Edward Jenner gilt als Vater der aktiven Immunisierung.

© Wikipedia

Geschichte des Impfens: Dem Kuheuter sei Dank

Vor 225 Jahren gelang mit der ersten Schutzimpfung gegen die Pocken ein medizinischer Durchbruch. Bis heute hat die Forschung riesige Fortschritte erzielt.

Die Corona-Pandemie hat die bislang wohl größte, vor allem aber die schnellste Impfkampagne der Geschichte angestoßen. Sie verspricht die Rückkehr zu einem Leben ohne die Einschränkungen der vergangenen Monate. Doch diese Hoffnung teilen nicht alle: Manche zweifeln am Nutzen der binnen kurzer Zeit entwickelten Vakzine, halten sogar schädliche Wirkungen für möglich oder wahrscheinlich. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Impfstoffe brachten erstaunliche Erfolge im Kampf gegen viele Krankheitserreger. Ihre Entwicklung sei eine medizinische Revolution, betont Professor Benedikt Kaufer, Virologe an der Freien Universität Berlin. Einer dieser Durchbrüche jährt sich in diesem Jahr zum 225. Mal – und er gelang gegen die Pockenviren.

Eine bahnbrechende Idee

Noch Ende des 18. Jahrhunderts galten sie als eine der gefährlichsten Krankheiten überhaupt für den Menschen. Dass sie heute niemand mehr fürchten muss, verdankt die Menschheit einem englischen Landarzt – und Kuheuterpusteln. Edward Jenner beobachte vor 225 Jahren, dass sich Melkerinnen mit Kuhpocken ansteckten, da sie einen charakteristischen Ausschlag auf ihren Händen zeigten. Sonst litten sie an keinen ernsten Beschwerden. Zugleich fiel ihm auf, dass die Melkerinnen immun wurden gegen eine weit gefährlichere Pockenart, die von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Edward Jenner kam auf die bahnbrechende Idee, Menschen bewusst – durch das Applizieren infektiösen Materials – mit Kuhpocken anzustecken. Dadurch könnten, so seine Vermutung, die Geimpften dauerhaft vor den humanen Variola-Pocken geschützt werden. Das Wort „Vakzin“ geht auf diese Entdeckungsgeschichte zurück. Es leitet sich von der lateinischen Bezeichnung für Kuh ab – „vacca“.

Amerikanische Plakatserie aus den 1930er und 1940er Jahren.
Amerikanische Plakatserie aus den 1930er und 1940er Jahren.

© picture alliance / Photoshot

Die allererste Schutzimpfung der Geschichte verabreichte Edward Jenner dem englischen Bauernjungen James Phipps, so erzählen es die historischen Quellen. Das riskante Experiment des Arztes war erfolgreich. Bis sich die neue medizinisch sensationelle Methode des Impfens durchsetzen konnte, vergingen jedoch noch einige Jahre. Viele Menschen begegneten dem Verfahren skeptisch, wie der Virologe Benedikt Kaufer erläutert. „Man konnte sich die Impfwirkung nicht erklären.“ Noch habe das moderne Wissen über Viren, Oberflächenproteine, Antikörper und die menschliche Immunantwort gefehlt. Doch der Erfolg der Behandlung überzeugte viele Zweifler – eine Impfpflicht gegen die Pocken tat ihr Übriges. Sie wurde beispielsweise im damaligen Königreich Bayern 1807 eingeführt. 1980 – fast 200 Jahre nach der ersten Impfung – erklärte die Weltgesundheitsorganisation Pockenviren für ausgerottet. „Internationale Impfkampagnen erlangten so einen der größten Siege in der Menschheitsgeschichte“, betont Benedikt Kaufer, „die Ausrottung einer tödlichen Viruserkrankung, die die Ursache für den Tod vieler Millionen Menschen gewesen war.“

Gewaltige Fortschritte

„Die medizinische Forschung konnte seit Edward Jenners erster Impfung gewaltige Fortschritte verzeichnen – und auch die Entwicklung von neuartigen Vektor-, RNA- oder DNA-Impfstoffen gegen weitere Krankheiten vorantreiben“, sagt der Virologe.

Der Entwicklungsprozess mit mehreren klinischen Testphasen, die hohe Standards erfüllen müssen, sei allerdings meist sehr langwierig. Gewöhnlich vergingen fünf bis zehn Jahre bis zur Zulassung eines Präparats. Entsprechend hoch fielen die Kosten aus. Hinzu komme, dass Impfstoffstudien nicht immer von Erfolg gekrönt seien, etwa im Fall des Humanen Immundefizienz-Virus, das in der Regel die Krankheit AIDS auslöst. Theoretisch könne aber gegen alle Krankheitserreger ein Impfstoff oder Wirkstoff gefunden werden, erklärt Benedikt Kaufer. Doch viele Viren und Bakterien verändern sich mit der Zeit mehr oder weniger stark; damit lasse möglicherweise auch der Impfschutz nach.

Das durch den Impfstoff trainierte Immunsystem könne die veränderten Krankheitserreger nicht mehr so rasch und leicht erkennen. „Höchstwahrscheinlich werden uns wohl auch Mutationen des Corona-Virus SARS-COV-2 trotz intensivster Forschungsbemühungen noch länger beschäftigen“, sagt der Virologe. Doch auch das Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen sei ein ernstzunehmendes Problem weltweit. Mangelndes Wissen, verbreitete Falschinformationen und lancierte Verschwörungstheorien können Gründe für die Skepsis gegenüber Impfungen sein.

„Uns ist oft nicht bewusst, in welch relativ sorgenbefreiter Welt wir leben. Eine Vielzahl gefährlicher Krankheiten können uns nichts mehr anhaben“, unterstreicht Benedikt Kaufer. Ohne Impfungen würden viele Menschen früher versterben oder lebenslang an den Folgen von Infektionen leiden. Der Wert von Edward Jenners Kuhpocken-Experimenten ist daher unschätzbar.

Raphael Rönn

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