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Uwe Keith wusste nicht, dass auf dem Gelände, das sie ausgesuchten hatten, jüdische Frauen interniert waren.

© imago/Steve Bauerschmidt

Geplanter Umzug auf KZ-Gelände: Die Causa Thüringer Bratwurst

Sie hatten großen Erfolg, bis zu der Schlagzeile: "Bratwurst-Museum zieht auf KZ-Gelände." Da war ein Kulturgut plötzlich politisch – und Vereinsgründer Uwe Keith in Not.

Politisch betrachtet ist die Bratwurst, diese Rumkugel unter den Fleischereierzeugnissen, eher rechts. Ihre Feinde sehen das so: Menschen undurchsichtiger Konsistenz rösten auf kleinen Obskurantenfeuern ein Stopfgut ebenso undurchsichtiger Konsistenz und entwickeln dabei ein vollkommen unangemessenes Behagen, das sie Heimat nennen. Jedes Lagerfeuer ist herkunftshöhlenzentriert.

Als Weimar 1999 Kulturhauptstadt Europas wurde, regte der Intendant dieses Jahres etwas an, das als „Weimarer Bratwurstverbot“ in die Geschichte Thüringens eingegangen ist. Zumindest während der Kulturveranstaltungen wolle er keine Wurst riechen, meinte Bernd Kauffmann. Warum können die Leute nicht Krabbenbrötchen essen wie jeder zivilisierte Mensch? Und hatte nicht schon Goethe gesagt: „Würste, Braten und Pasteten / sind imstande, mich zu töten“?

Natürlich hat sich eine Gegenbewegung formiert. Uwe Keith ist der Vorsitzende der „Freunde der Thüringer Bratwurst e.V.“, gemeinsam mit Gleichgesinnten gründete er 2006 das „1. Deutsche Bratwurstmuseum“. Es expandierte und expandierte, aber nun hat es am alten Standort nichts mehr, wohin es expandieren könnte. Also beschloss es den Umzug, als eine Schlagzeile erschien: „Bratwurst-Museum zieht auf früheres KZ-Gelände.“ Selbst die New York Times berichtete.

Der Vorsitzende der „Freunde der Thüringer Bratwurst e.V.“ hebt den Blick vom Lenkrad, von der Straße vor ihm. Er fährt zum alten Bratwurstmuseum, das im April wieder öffnen wird wie all die Jahre zuvor. Es liegt vier Kilometer hinter Arnstadt. Uwe Keith sieht eigentlich nicht aus wie ein Thüringer Obskurant. Er hat schon den ganzen Tag nichts als Bananen gegessen, denn am Abend spielt er eine Tischtennismeisterschaft, und da gewinnt niemand, der gerade vom Grill aufsteht. Vielleicht schätzt er die Banane auch dafür, dass sie das einzige Obst ist, das aussieht wie eine Bratwurst. „Bratwurst-Museum zieht auf früheres KZ-Gelände.“ Wieder ist es Uwe Keith, als träfe ihn dieser Satz zum ersten Mal und zerteile alles in ein Davor und Danach.

Sie hatten bereits eine launige Pressekonferenz gegeben, ungefähr so: Rund vier Jahre sei Johann Sebastian Bach in Arnstadt geblieben, bevor er 1707 nach Mühlhausen ging. Auf eben diesem Weg folge ihm nun das Bratwurstmuseum.

Die „Freunde der Thüringer Bratwurst“ mögen solche Analogien. Die Orgel und der Grill, Bachs H-Moll-Messe und der gefüllte Schweinedarm haben doch letztendlich den gleichen Nenner: Es handelt sich um thüringische Kulturgüter, die um die Welt gingen. Weshalb sie die Thüringer Rostbratwurst auch zum Weltkulturerbe anmelden wollen. Aber jetzt noch? Nach diesen Schlagzeilen?

696 jüdische Frauen waren in "Martha II" interniert

Mühlhausen liegt 60 Kilometer nordwestlich von Arnstadt. Uwe Keith fand das Gelände am Mühlhausener Stadtwald großartig. Zu DDR-Zeiten gehörte es der NVA, und da stehen die traurigen Kasernen immer noch. Hier das Thüringische Bratwurstministerium und die gläserne Bratwurst-Manufaktur einziehen zu lassen, schien ihm eine durchaus kongeniale Nachnutzung. Ein junger Mühlhausener Kältetechnik-Unternehmer hatte das Gelände ohne Hinweise und Auflagen vom Bund gekauft, er wollte in den nächsten Jahren einen siebenstelligen Betrag in die Bratwurst-Erlebniswelt investieren.

Dass hier von September 1944 bis zum März 1945 696 junge jüdische Frauen interniert waren, hauptsächlich aus dem Ghetto von Lodz, um im nahen Rüstungswerk zu arbeiten, war ihm nicht bewusst. Wie vielen Mühlhausenern. „Martha II“ war eins der 136 Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Andererseits ist der Name „B-Lager“ in der Stadt durchaus noch immer geläufig, denn schon vorher lebten hier Zwangsarbeiter der Rüstungsindustrie.

War es da nicht angemessen – und, nun ja, ausreichend –, auf dem künftigen Museums-Gelände einen Ort des Gedenkens zu schaffen?

War es nicht. Das sieht auch Uwe Keith im Nachhinein ein. Der Intendant des Kulturstadtjahrs, Bernd Kauffmann, hatte das den Weimarern 1999 so erklärt: Eure Stadt, hatte er gesagt, das ist Goethe und Buchenwald. Ihr könnt das nicht trennen. Und lasst bitte die Bratwurst weg!, fügte er an. Merkwürdig, wie sich manche Konstellationen wieder herstellen.

Das Museum sollte von Arnstadt ins 60 Kilometer entfernte Mühlhausen ziehen.
Das Museum sollte von Arnstadt ins 60 Kilometer entfernte Mühlhausen ziehen.

© Martin Schutt/ picture alliance/dpa

Hätte irgendein Unternehmen sich auf dem Brachgelände niederlassen wollen, die Absicht, einen Gedenkort zu schaffen, wäre wohl begrüßt worden. Aber nicht im Fall eines Bratwurstmuseums.

Plötzlich klang schon der Name wie mutwillige Schändung des Andenkens jüdischer Zwangsarbeiterinnen.

Der Vorsitzende der „Freunde der Thüringer Bratwurst e.V.“ fährt die Strecke, die er seit Kindertagen kennt und die eine der schönsten Thüringens, wenn nicht des ganzen Landes ist. Drei Berge liegen am nahen Horizont, und auf jedem steht eine Burg, das sind die „drei Gleichen“. Heimat.

Ein Groschen für Bratwurstdärme

Die Wachsenburg ist die größte und als einzige keine Ruine. Früher sind die Arnstädter an jedem Wochenende dort hoch gezogen, haben auf den nahen Thüringer Wald und bis nach Erfurt geschaut. Freie Sicht für nicht ganz so freie Bürger. Heute ist die Burg Privatbesitz. Uwe Keith biegt durch den kleinen Ort unterhalb der Burg und hält ihr genau gegenüber an einem sanft ansteigenden Hügel. „Hier“, sagt er, „baute der Großvater meines Freundes eine Scheune.“ Und genau in dieser Scheune haben sie gesessen vor bald 15 Jahren, der Kupferschmied und IT-Betriebswirt Uwe Keith, der Veterinär Thomas Mäuer und der Archivar Peter Unger. Unten lagerten die Schädlingsbekämpfungsmittel des Veterinärs, oben war der Partyboden. Sie sprachen über eine Entdeckung des Archivars, die war, wie alle fanden, von höchster kulturhistorischer Brisanz: Die Ersterwähnung der Bratwurst geschah in Arnstadt!

Der Probst des hiesigen Jungfrauenklosters hatte am 20. Januar 1404 eine Ausgabe ins Haushaltsbuch notiert: „1 gr vor darme czu brotwurstin“. Das heißt: Ein Groschen für Bratwurstdärme. 1404!

Dürfen wir diese Nachricht einfach so untergehen lassen? – Das dürfen wir nicht!, beschlossen der Archivar, der Veterinärmediziner und der IT-Mann. Und sie gründeten erst den Verein der „Freunde der Thüringer Bratwurst e.V.“ und drei Monate später das Museum. In der Scheune des Großvaters des Veterinärs. Und was wollt Ihr da reinstellen?, fragten die Skeptiker. Die drei Gründer waren nicht sicher, ob sie damit rechnen sollten, dass jemals jemand vorbeikommt, aber die Sache machte Spaß. Wider die Feinde der Thüringer Bratwurst!

Schließlich formuliert unsere Sprache noch die tiefsten Seelenzustände fleischereiursprünglich: Es geht um die Wurst!, bezeichnet den Modus der größten Aktivität. Ist doch wurscht!, darf dagegen als der spezifisch deutsche Begriff des Nirwana gelten. Wenn die Vegetarier wirklich siegen, wird das einmal niemand mehr wissen. Und was aus einem Menschen werden kann, ist ebenso wurstsprachlich niedergelegt: Entweder man bekommt fast täglich seine Extrawurst oder man bleibt ein armes Würstchen.

Goethe ließ Rostbratwürste aus Nürnberg schicken

Dass Selbstbild und Fremdbild selten übereinstimmen, gehört zu den Lebensgewissheiten des Ostlers. Das war in der DDR so, das ist heute so. Zum Beispiel die Rede von den „neuen Bundesländern“. Man muss so viel Naivität gelassen überhören können, denn jeder Thüringer weiß, dass er aus einem der ältesten deutschen Länder kommt, gewissermaßen aus dem Herzland der deutschen Kultur.

Uwe Keith ist in Arnstadt geboren. Der gelernte Kupferschmied hat es nie verlassen. Urkundliche Ersterwähnung 704: Als noch niemand den Namen Berlin kannte, feierte Arnstadt schon sein halbtausendjähriges Bestehen. Das sind die Relationen.

Goethe ist, von Arnstadt aus gesehen, eine eher spätkulturelle Erscheinung, eine überaus zwiespältige Figur. Er ließ sich Rostbratwürste aus Nürnberg schicken. Das war ruchlos.

Schließlich stammt aus Weimar, erklärt Keith, das erste Reinheitsgebot für Brat- und andere Würste. Es ist die „Fleischhauerordnung“ der Weimarer Schlachtermeister von 1432. „Wurst ist eine Götterspeise. Nur er allein weiß, was drin ist“, hatte der Bayreuther Jean Paul vermutet. Er kannte die Weimarer Fleischhauerordnung nicht. Bayreuth und Weimar, zwei nicht ganz kulturlose Städte. Nur dass in Bayreuth niemand auf die Idee käme, die Bratwurst vom Festspielhügel zu verbannen.

In den großen Pausen ziehen Eingeweihte jedes Jahr einer nahen Schankwirtschaft entgegen, deren Innenhof einem Schrottplatz gleicht und in deren Räumen der Rauch von über einhundert Jahren zu stehen scheint. Für Euch räumen wir nicht auf!, lautet die Botschaft. Wohlwollend-herausfordernd schauen die Inhaber des „Mohrenbräu“ Jahr für Jahr dem merkwürdig gekleideten Publikum entgegen, das schaudernd-fasziniert seine Bratwurst-Wartemarke entgegennimmt. Im „Mohrenbräu“ gibt es nur Bratwurst. Hier hätte Bernd Kauffmann mal versuchen sollen, ein Krabbenbrötchen zu bestellen. Der Wirt sieht nicht aus, als ob er viel Sinn hätte für die Späße von Intellektuellen.

Hans Wurst: Der ehrliche Narr

Der Bratwursthügel von Holzhausen ist noch schöner gelegen als der Festspielhügel von Bayreuth. Der Großvater des Veterinärs würde seine Scheune und seine Wiese nicht wiedererkennen: Überall Buden, Skulpturen, Installationen und Ställe. Dazwischen befindet sich die größte begehbare Bratwurst der Welt, die Keith und seine Kollegen von einer Landwirtschaftsausstellung geholt haben.

Ein amerikanischer Bildhauer, der sich in Arnstadt und eine Arnstädterin verliebte, hat das Standbild eines goldenen Schweins geschaffen, überdacht von einer schönen chinesischen Pagode. Das Bratwurstmuseum unterhält ein gespanntes Nicht-Verhältnis zum Thüringer Museumsverband, welcher unter anderem den klaren „museumspädagogischen Ansatz“ vermisst. Keith würde den Erfurter Museologen am liebsten den Gästebucheintrag des Chefredakteurs der Washington Post vorlesen: Er halte dieses Museum für das lehrreichste in Europa und viel unterhaltsamer als den Louvre.

In Arnstadt wurde die Bratwurst 1404 erstmal schriftlich erwähnt.
In Arnstadt wurde die Bratwurst 1404 erstmal schriftlich erwähnt.

© Martin Schutt/picture alliance/dpa

Aus einem Stall schaut eine riesige ungarische Wollsau, und man muss unwillkürlich an Churchill denken: Hunde blicken zu uns auf, Katzen schauen auf uns herab, nur das Schwein sieht uns als seinesgleichen an. Was für ein museumspädagogischer Ansatz!

Unweit des Schweinestalls steht das Bratwursttheater, ganz aus Holz errichtet, ohne eine einzige Schraube. Leider ist der Intendant nicht da, der eigentliche Inhaber des Bratwurstmuseums, denn der sitze, sagt Keith, gerade in Indien, meditiere und schreibe das neue Stück fürs Bratwursttheater. Ohne das Bratwurstmuseum hätte der Veterinär Thomas Mäuer niemals erfahren, dass er in Wirklichkeit ein Dramatiker ist. Die Schädlingsbekämpfung hat er längst aufgegeben. Alle Stücke des Theaters bisher sind von ihm, und das diesjährige muss besonders gut werden, denn die zehnte Spielzeit hat begonnen. Die Hauptfigur ist klar: Hans Wurst, der ehrliche Narr, derb und komisch.

50.000 Besucher im Jahr

Auch der Hanswurst wurde einst im Namen der Hochkultur von den deutschen Bühnen verbannt, wie die Bratwurst aus Weimar. Natürlich wird zwischen jedem Akt gegrillt. Man darf davon ausgehen, dass hier genau das geboten wird, wovor die Feinde der Thüringer Bratwurst sich immer gefürchtet haben, was Veranstaltungen wie die alljährliche „Bratwurstiade“ ausdrücklich einschließt.

50.000 Besucher kommen pro Jahr. Nachbarn messen längst regelmäßig Lärmemissionen. Bislang gibt es im Theater keine Heizung und keine Toiletten, auch ist es viel zu klein, und das ganze Museum muss im Winterhalbjahr schließen. All das soll anders werden. Mit angeschlossenem Hotel.

Seit vergangenem Donnerstag steht fest, dass das Bratwurstmuseum doch nach Mühlhausen geht, nur auf ein anderes Gelände. Der Mühlhausener Kältetechniker will nach wie vor investieren.

Uwe Keith hat sich trotz seines Bekenntnisses zur Bratwurst immer für einen offenen, freien, liberalen, demokratischen Thüringer gehalten. Der Verein der Freunde der Thüringer Bratwurst hat mehr als 150 Mitglieder, darunter auch Chinesen, Amerikaner und Australier. Besonders verbunden fühlen sich die Arnstädter Bruderorganisationen wie der Schweizer „Verein zur Erhaltung des Ansehens der Blut- und Leberwürste“.

Deutschland: Bratwurst und Bier

Anfang März kommt das australische Fernsehen, die halbe Welt hat schon über das Bratwurstmuseum berichtet. Denn Bier und Bratwurst, das ist und bleibt Deutschland, kulinarisch betrachtet, für den Rest der Erde. Und am 16. März tragen Fackelläufer das Bratwurstfeuer von Holzhausen auf den Erfurter Domplatz, zum alljährlichen Angrillen. Das ist ein Halbmarathon.

Von Mühlhausen aus dürfte mehr als ein Marathon daraus werden.

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