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Richard McGeown brät den Laborburger

© picture alliance / dpa

Zukunft der Küche: Was essen wir morgen?

Käfer als Ragout? Fleisch aus der Retorte? Kräuter aus dem Wald? Besuch bei einer Frau, die über die Zukunft unserer Küche forscht.

Die Zukunft schmeckte nach Bulette: Das erste Stück Fleisch, das aus der Retorte kam, vom niederländischen Mediziner Mark Post aus den Stammzellen von zwei Kühen im Labor gezüchtet. Hanni Rützler war die Erste, die im August diesen Jahres von der Zukunft kosten durfte. 200 Journalisten sahen der Wiener Ernährungswissenschaftlerin zu, wie sie vor einem Burger aus künstlichem Muskelfleisch saß. Der war mit Rote-Bete-Saft und Safran gefärbt, Retortenfleisch ist nun mal farblos. Ein Koch hatte es mit Brotkrumen versetzt und in Olivenöl angebraten. Rützler schnitt ein Stück ab, roch daran, biss zu. Sie fand es, wie sie sagt, „schön knusprig“. Vom Geschmack „nahe am Fleisch“ und in der Konsistenz „eher kompakt“, fast wie Hackfleischbällchen.

An diesem milden Dezembertag sitzt Hanni Rützler in ihrem ebenerdigen Büro in Wien, das man durch eine große blankgeputzte Küche betritt, in der Rützler Workshops abhält. An der Wand hängt eine wuchtige weiße Installation. Wenn man eine Scheibe dreht, erscheint das Bild von einer Banane, und es riecht nach Banane. Eine Arbeit, die Rützler für eine Ausstellung entworfen hat.

„Futurefood“ heißt ihre Firma, Essenszukunft. Rützler ist 51, für jemanden, der die Zukunft zum Beruf gemacht hat, wirkt sie angenehm unesoterisch. Es war nicht leicht, einen Termin mit ihr zu finden, Rützler ist ständig unterwegs. Sie reist, trifft Leute, guckt sich an, wie man anderswo mit Essen umgeht. Urlaube plant sie schon mal um einen Restaurantbesuch, sagt sie. Einmal hatte sie einen heiß begehrten Tisch in Ferran Adriàs El Bulli. Dann kam ihr ein Termin dazwischen, sie hat storniert. Heute würde sie anders entscheiden.

Aber wie sieht die Zukunft aus? Werden wir bald alle Retortenburger essen?

Hanni Rützler hat diese Frage oft gehört. Genau wie das Wort „Frankenburger“, die Deutschen seien sehr skeptisch, wenn es um Technik und Lebensmittel geht, sagt Rützler, Stichwort Genmais. Anders die Russen, Chinesen, Argentinier oder Australier, von dort seien viele Anfragen gekommen: Wie weit das Projekt gediehen sei, wann man mit Massenproduktion rechnen könne. Seit sich in Ländern wie China und Indien eine wohlhabende Mittelschicht entwickelt, steigt der Bedarf nach Fleisch weltweit. Rützler versteht zwar die Bedenken gegen Kunstfleisch, findet die Idee, Tiere nicht schlachten zu müssen, um sie zu essen, jedoch „eine spannende Fantasie“.

Aber erst mal eben nur eine Fantasie. Die Zukunft des Essens liegt wesentlich näher. Im Norden zum Beispiel. Seit 2005 die nordischen Länder mit ihren „Nordic Food Manifestos“ so etwas wie eine Dogmabewegung für die Küche ins Leben riefen, setzen sie Maßstäbe. Die puristische Auffassung von Küche treffe einen Nerv unserer Wohlstandsgesellschaft, sagt Rützler. Dass man Essen von seinen Ausgangsprodukten her denkt, von Sachen, die man findet oder fängt, Pflanzen, die wild im Wald oder am Rand eines Baches wachsen. So etwas wie Baumharze, Dinge, die bitter, intensiv und rau schmecken. Und Esser gleichzeitig zu Entdeckern werden lassen.

Auch sonst liegt, wenn man Rützler glauben darf, die Zukunft vor unserer Haustür. In den Gärten, die im Zuge von „Urban Gardening“ in den Städten entstehen und dem wachsenden Bedürfnis geschuldet sind, in die Produktion einzugreifen. In Amerika wird etwa schon mehr Gemüsesaatgut als Blumensaatgut verkauft. Oder in den Kochhäusern, wo man sich Rezepte zusammenstellen lassen kann und die Zutaten gleich dazu. „Curated food“ heißt das in der Sprache der Trendforschung. Man wird nicht mehr bekocht, sondern lässt sein Essen kuratieren.

In den USA werden bereits 40 Prozent der im Supermarkt gekauften Produkte innerhalb einer Stunde verzehrt, hat das Marktforschungsinstitut Hartman Group herausgefunden: in Form von Salaten, Sandwiches und Fertiggerichten zum Mitnehmen. Hanni Rützler selbst isst ziemlich normal. Saisonal, viel Gemüse, wenig Fleisch. Sie ist „Flexitarierin“, auch das ein „Food trend“: der im Überfluss aufgewachsene Städter, der nur hin und wieder Fleisch isst. Das aber von guter Qualität und mit Haut und Haaren, beziehungsweise „Nose to Tail“. Und wovon wird sich der Flexitarier sonst so ernähren? Von krummen Gurken oder schief gewachsenen Möhren etwa, den „Culinary Misfits“, wie sie ein Berliner Projekt anbietet. Obst und Gemüse also, das nicht den Handelsnormen entspricht und deswegen ausgesondert wird. Bislang ein Nischenprodukt in Bioläden, könnte der Ausschussware die Zukunft gehören, glaubt Rützler.

Sie blickt optimistisch in die Zukunft, ist froh, dass die Ernährungswissenschaft die „traurige Debatte“ hinter sich gelassen hat, wie viele Kalorien etwas hat und welche Inhaltsstoffe. „Jetzt geht es wieder mehr um das Genießen.“

Es fällt auf, wie sehr sich alles um die Gegenwart dreht, wenn man sich mit der Zukunftsforscherin unterhält. Vom In-vitro-Burger mal abgesehen, haben die Dinge, von denen Rützler erzählt, so gar nichts Futuristisches. In den 60er, 70er Jahren dachte man, dass man irgendwann nur mehr Pillen essen würde. Vorstellungen von der Zukunft sind vor allem Sehnsüchte und Ängste der Gegenwart.

Was wir essen, wird unter anderem davon abhängen, welche Geschichte es hat, sagt Rützler: Woher die Schokolade kommt, und wer sie geerntet hat. Was ein Rind gefressen hat, und von wem es aufgezogen wurde. Luxus wird sich weniger daran messen, was man sich leisten kann, sondern was man darüber zu erzählen hat.

Aber was ist jetzt genau die Zukunft? Dass Lebensmittel teurer werden, weil mehr Menschen auf der Welt ernährt werden müssen? Dass mehr Technik zum Einsatz kommt, politische Prozesse wie das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und der USA unsere Ernährung bestimmen werden? Oder dass die Leute bewusster essen, auf Gesundheit achten? Rützler nimmt einen Zettel von der Pinnwand. Darauf sind bunte Linien, die kreuz und quer durcheinanderlaufen wie auf einem Berliner BVG-Plan. Die sogenannten Megatrends, vom Zukunftsinstitut entwickelt. Drei, vier Jahrzehnte sollen sie gültig sein.

Auf der Ost-West-Achse stehen Dinge wie „weibliche Bildungsgewinner“, „Wissensgesellschaft“ oder „Nachhaltigkeit“. An der U8: „Soziale Netzwerke“, „Flexibilisierung“, „Innovation“, „Megacitys“. Mitten drin, Höhe Potsdamer Platz, steht „Big Data“. All das soll uns und unsere Esskultur bestimmen, je nachdem, wo auf der Strecke wir uns gerade befinden.

Ob das Bestand hat oder nur allgemeine Schlagworte sind, in die man alles hineinlesen kann, wird die Zukunft zeigen. Haben sich denn schon Prognosen bewahrheitet? Das „Functional Food“ etwa, sagt Rützler, also die Idee, Essen mit Inhaltsstoffen anzureichern, um es gesünder zu machen. Sie habe das nicht besonders ernst genommen, Kollegen haben sie dafür verlacht. Inzwischen sei klar, dass sich die Leute nicht von Wissenschaftlern vorschreiben lassen, was sie essen sollen. Und der Gesundheitswahn sei ebenfalls „vom Tisch“. Was sie derzeit nicht einschätzen könne: Wie sich das mit den Insekten entwickelt. Die hätten fast schon „erschreckend tolle Nährwerte“, sagt Rützler. Der Eiweißgehalt etwa. Man kann also gespannt sein, was sich 2014 eher auf unseren Tellern finden wird, Insekten oder Retortenburger.

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