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Gesellschaft: Schmarrn Seiser

Zirbelzapfenpesto, Heusuppe und warmer Kalbskopf: Franz Mulser bringt Südtirol auf den Tisch. Das ist der Gipfel! Ein Besuch auf der Alm

Eine gusseiserne Pfanne mit langem Stiel, darin sattgelbe, butterglänzende Stücke Kaiserschmarrn mit Puderzucker, Zwetschgenröster und getrockneten lila Wiesenblüten – Franz Mulser hat die klassische Almglücksmahlzeit zur Perfektion gebracht. „Du willst lieber gar nicht wissen, wie viele Eier da drin sind“, sagt der 30-jährige Südtiroler auf Nachfrage und lässt erneut Teig aus der Plastikschüssel in die nächste Pfanne laufen. Mit Hingabe. Dieser Mann liebt, was er tut. Und er trägt auch noch, was er liebt: Krachlederne und rot-weißes Karohemd.

Es ist Sonntagmittag in der Gostner Schwaige, da ist die zweigeschossige Holzhütte gerammelt voll mit Einheimischen und Urlaubern. Aus der winzigen Küche ziehen Kiefer-, Sirup- und Schmorgerüche in den Gastraum, zu hören sind deutsch-italienisches Gemurmel, träges Poltern von Skischuhen und das erwartungsvolle Ritschratsch der Jackenreißverschlüsse von Hungrigen.

Die nächste Straße ist hier meilenweit entfernt, befahren darf man sie sowieso nur mit Ausnahmegenehmigung. Wer zu Franz Mulser und seinem Jahrhundertschmarrn will, der muss – je nach Saison – wandern oder Ski fahren: Die Gostner Schwaige, die beste Almhütte der Region, steht etwas abseits der großen Besucherströme hoch oben auf der Seiser Alm. Von der Terrasse überblickt man die bis zu 2600 Meter hohen Rosszähne, roter Fels gegen blauen Himmel. Ein Panorama wie auf einem Ölgemälde vom Flohmarkt.

Franz Mulsers Weg als Koch: In der Schulzeit arbeitet er während der Ferien als Küchenjunge im Hotel seines Onkels, wo die Leidenschaft, mit der er Zwiebeln und Kartoffeln schält, ihn selbst überrascht. Mit 14 beendet er die Schule, macht eine Lehre als Kunstmaler und endet doch wieder in der Küche „bei den frischen Lebensmitteln“, diesmal bei den Gebrüdern Obauer in Werfen bei Salzburg. Von dort aus landet er im Münchner Tantris bei Sternekoch Hans Haas, es folgt eine Station auf Mallorca.

Mallorca. Auch schön, findet er. Trotzdem beschließt Franz Mulser, dass es an der Zeit ist, seinen Kindheitstraum wahrzumachen: Der Bauernsohn von der Seiser Alm hat Glück, bekommt eine der letzten Schanklizenzen auf dem gastronomisch hart umkämpften Hochplateau und gründet seine eigene Almwirtschaft mit zwölf Hektar Land für die zehn Milchkühe, die Kälbchen, die Schafe und Lämmer. Die Holzhütte war schon da: Sie diente ab dem 19. Jahrhundert als Versorgungsstation des Viehs vom Aussergostnerhof, von dem die Mulsers stammen. Vor zehn Jahren hat Franz Mulser mit dem Umbau begonnen, der Anfang war hart, sagt er, nicht nur finanziell.

„Es war recht schwer, die Gunst der Alteingesessenen zu gewinnen“, erklärt er, mit einem Blick, als sei dies noch reichlich untertrieben. „Viele haben die Speisekarte gelesen und sind sofort wieder gegangen.“ Doch „schon nach wenigen Jahren“ hätten die Südtiroler und ihre Gäste verinnerlicht, dass es in der Gostner Schwaige anders als in den anderen Hütten keinen Ketchup gibt – und wenn doch, entsteht er aus vom Koch persönlich geernteten, überbrühten und gehäuteten Tomaten sowie gehackten Sellerieblättern und Meersalz.

Was sonst noch auf der Speisekarte steht: in Lagrein dunkel geschmortes Ossobuco vom Milchferkel auf Kräuterpolenta mit gedünstetem Spitzkohl und Speck; lauwarmer Kalbskopf vom Simmentaler Milchkalb mit Kräutervinaigrette, Sellerie und Feldsalat; Almwiesenbandnudeln mit Zirbelzapfenpesto; in Lärchenhonig geschmorte Kaiserbirne mit Vanille-Rum-Eis und Haselnusskrokant; Himbeer-Rosentörtchen mit Vanillecreme. Dazu Weine aus Terlan und heiße oder geeiste Holunderblütensirupschorle – und zum Nachtisch ein rubinroter Rosenmuskateller oder ein selbst gemachter Himbeergeist.

Südtirol ist eine Gegend, in der sich das Beste aus italienischer und österreichischer Küche vermischt – ein kulinarisches Fusionsland aus Würstl, Speck, Gnocchi, Tortellini und Marillen-Topfenstrudel. Dazu kommt die frischwürzige Bergluft, die den Appetit der Wanderer nicht nur verstärkt, sondern fast wie eine weitere, geheimnisvolle Zutat schmeckt.

Franz Mulsers Spezialität sind die Forst- und Wiesenaromen, mit denen er experimentiert. Lang könnte er von Zirbelzapfen, Harz und Rinde, von Gräserarten, Kräutern und Blütenblättern schwärmen. Wie man das Flüchtige einfängt, Aromen auslöst, neue Kombinationen erfindet – ein Klassiker aus Mulsers Küche ist die milchige Heusuppe, die auf einem Holzbrett im ausgehöhlten, runden Weißbrot serviert wird und deren Zutaten „streng geheim“ sind.

Franz Mulser hat sich selbstverständlich als Junge schon gerne im Wald herumgetrieben. Man kann sich das gut vorstellen, denn er hat ein Sprachproblem: Manchmal stottert er ein bisschen, und das muss besonders lästig sein für jemanden, der so schnell denkt wie er. Der Wald mag eine beruhigende Wirkung auf den Jungen gehabt haben.

Doch sein Großvater war es erst, der ihn bei der Hand nahm und ihm während gemeinsamer Wanderungen die Pflanzen- und Tierwelt der Alm erklärte. Opa Mulser kannte sie sehr genau: Als Deserteur musste er sich in den letzten Kriegswirren wochenlang im Gebirge verstecken und von dem ernähren, was er in der Natur vorfand. Diese Erfahrung wirkt nun weiter in der Kochkunst seines Enkels.

Franz Mulser hat für sich und seine vier Küchenhilfen ein schnelles Mittagessen gemacht: Risotto mit Artischocken. Wortlos sitzen sie am Ecktisch. Was gibt es auch zu sagen? Ein eingespieltes Team, das sich jeden Tag von morgens früh bis spät in die Nacht eine Zehn-Quadratmeter-Küche teilt. Jeder Gast kann die eingespielte Koch-Choreografie beobachten, und wenn der Teller fertig angerichtet und der letzte Sud-Fleck vom Rand gewischt ist, läutet jemand einmal kurz mit der Kuhglocke. Dongeldongel-kling. Die Tischnummern für den bodenständigen Service in den blauen Südtiroler Schürzen werden auf italienisch angesagt. Sogar der Hund, der vor der Tür in der Sonne liegt, bekommt einen Napf hingestellt.

Jedes Jahr schließt Mulser seine Gostner Schwaige für vier Wochen, auf dass auch mal Ruhe einkehre und er mehr Zeit für seine Frau und seine kleine Tochter hat. Ansonsten ist sein Leben fast ausschließlich von Arbeit bestimmt: „Wenn man vom Bauernhof kommt, weiß man ja, dass es nie Feierabend gibt.“ Abends öffnet Mulser nur auf Reservierung. Was er dann auftischt, überlegt er sich spontan. Heute kocht er unter anderem einen Tee aus Almaroma mit Steinpilzpraline, Ravioli mit geschmorter Kalbsschulter und Wiesenthymian und Bauernbratl mit Buchweizenpolenta und Lorbeerjus. Für das Vier-Gänge-Menü berechnet er angemessene 53 Euro – dazu gibt es die rustikale Atmosphäre in der holzvertäfelten Gaststube und das Gefühl, einen echten Geheimtipp entdeckt zu haben.

Mit seinem weißen Schafwollhut stößt Mulser fast an die Decke der Gostner Schwaige. „Ohne meinen Kochhut“, sagt er, „geht gar nichts. Darunter dampft es meist.“ Oft treten von der Qualität der Speisen überraschte Gäste an die Durchreiche und wechseln ein paar Worte mit dem Inhaber. Mit so viel Zuspruch und guter Resonanz hätte er sich längst vergrößern und eine Internetseite ins Netz stellen können. Aber Franz Mulser sträubt sich. „Klein und familiär“ soll die Gostner Schwaige bleiben – ein Wunsch, der inzwischen fast großstädtisch klingt – und sich weiter angenehm von den Apfelstrudel-Massenbetrieben des Ski- und Wanderzirkus’ abheben. Nur das Wild holt er vom Jäger aus Kastelruth, alles andere hat er selbst gepflückt, gemäht, geerntet und geschlachtet. Und wenn es nach Franz Mulser geht, kann das auch so bleiben.

Die Gostner Schwaige öffnet wieder ab Mitte Mai. Am besten vorher anrufen unter +39-347 83 68 154.

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