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Sardinenbüchse.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sardinenbüchsen: Ölgemälde

Nicht nur in Frankreich geraten Sammler ins Schwärmen: Sardinenbüchsen sind ein echter Blickfang. Eine kleine Geschichte der Puxisardinophilie.

Die Sardinenbüchse hat einen extrem schlechten Ruf. Man braucht sie, um Wohnungen in asiatischen Städten zu beschreiben, sie taucht auf, wenn es um die Platzverhältnisse an Mittelmeerstränden oder in öffentlichen Verkehrsmitteln geht. Ständig sagt irgendwer, er fühle sich wie eine Sardine in der Büchse. Wobei es beim Einlegen der Sardinen ja zwei Schulen gibt. Je nachdem, ob die Hautseite der Fischstücke nach oben zeigt oder das Fleisch. Was allerdings immer in einer solchen Büchse sein muss: viel Flüssigkeit, am besten hochwertiges Olivenöl. Und ein bisschen Meersalz.

Was kaum jemand sagt: Wie schön Sardinenbüchsen sind. Sehr schön sogar. Auf wenigen Konserven sieht man so viel Liebe zu Kunst und Grafikdesign wie auf den meist rechteckigen, manchmal ovalen Dosen. Da ist ein Bild mit Hafen, Schiff und Fischernetz, in kubistischen Formen – sieht aus wie ein früher Picasso. Da ist die Dame mit dem Kopftuch, die von einem Gemälde von Toulouse-Lautrec stammen könnte. „La Douarneniste“ heißt sie, die Frau aus Douarnenez. Das ist ein Fischerort mit malerischem Hafen und bunten Häuschen in der Bretagne, seit jeher berühmt für seine Sardinen.

1810 wurde die Konservendose erfunden, die Sardinen kamen in Büchsen, was sie zu einem idealen Picknickessen macht. Zumindest seit es den kleinen Schlüssel zum Hochrollen des Deckels gibt. Bis zur Erfindung des Dosenöffners hat man die Konserven schon mal mit dem Bajonett geöffnet.

Auf den Büchsen des Herstellers Connétable finden sich dekonstruierte Fische in poppigen Farben. Gonidec wiederum liebt es traditioneller, man sieht impressionistische Landschaftsszenen in kräftigen Farben. La Perle des Dieux macht ihre Büchsen gar zur Ausstellungsfläche für moderne Kunst. Jedes Jahr darf ein anderer Künstler die Dosen gestalten. Die Malerin Coralie Joulin etwa. Sie lässt, bunt und verspielt, Meerjungfrauen mit Fischen tanzen.

Ansonsten zu sehen: Comicfiguren, die an Popeye erinnern. Zum Kuss gespitzte Lippen. Eine tanzende Fischfamilie auf dem Strand, die aus der Feder von Keith Haring stammen könnte. Müsste Andy Warhol heute einer Konservendose ein Denkmal setzen, er würde sich nicht für Tomatensuppe entscheiden. Sondern für eine Sardinenbüchse.

Im Französischen gibt es inzwischen sogar zwei Wörter für Leute, die sie sammeln: „Puxisardinophile“ beziehungsweise „Clupéidophile“. Das ist von den „Clupeidae“ abgeleitet, der Familie der Heringe, zu denen Sardinen und Sardellen gehören. Das Paradies jedes Puxisardinophilen ist die Bretagne. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war man dort Marktführer in Sachen Ölsardinen. Frankreich hatte sogar ein Monopol auf die Konserven. Dann zogen Spanien und Portugal nach.

Im Fischerort Douarnenez, aus dem „La Douarneniste“ stammt, hat der Feinkostladen Penn Sardin 100 verschiedene Sardinendosen im Angebot, sie kosten um die zehn Euro, die ältesten stammen aus den 90er Jahren. Der Katalog auf der Website www.pennsardin.com listet die Sardinenbüchsen wie Sammlerstücke auf. Mit Jahrgang und Herkunft, wie Spitzenweine.

Auch für politische Botschaften ist Platz

Die Motive darauf sind meist aus dem Leben der Fischer gegriffen: Schaukelnde Kähne, Fischschwärme, Männer in gelbem Ölzeug, die die ringförmigen Netze auswerfen, in denen die Sardinen gefangen werden. Für politische Botschaften ist ebenfalls Platz. Auf einer Dose von Les Mouettes D’arvor, die die Sardinen als „Produkt aus der Bretagne“ anpreist, ist das Bild einer Frau zu sehen. Sie beißt genüsslich in eine bretonische Sardine. Darunter steht: „Ich konserviere unsere Arbeitsplätze.“

Wenn man sich die Büchsen von Penn Sardin ansieht, wird klar: Diese Konserven haben nichts mehr von dem Arme-Leute-Essen, das Sardinen früher waren. Oder dem „Pflichtessen für strenge Genossen“, wie es der frühere Chefredakteur der Zeitschrift „Slow Food“, Manfred Kriener, mal beschrieb. In einschlägigen Berliner Wohngemeinschaften der 70er Jahre seien portugiesische Ölsardinen gerne im Zehnerpack gekauft worden, um Sympathie für die Nelkenrevolution auszudrücken. „Solidarität bis auf die Gräten“, schreibt Kriener. Das Standardrezept für Ölsardinen, Spaghetti nach Art des alten Admirals, sei aber noch immer okay: Knoblauch in Olivenöl anbraten, Sardinen und etwas Chili dazu. Das Ganze mit Weißwein ablöschen und mit noch mal einem Schuss Olivenöl über die Spaghetti gießen.

Seit einiger Zeit gelten die eingelegten Fischchen als Delikatessen, zumindest, wenn es sich um „Sardines millésimées“ handelt, um Jahrgangssardinen. Sie sind die einzigen Konserven, die mit der Zeit besser werden können, vorausgesetzt, die Fische liegen in jeder Menge guten Öls. Sie sind würzig und intensiv, lassen sofort an raue Antlantikluft denken. Niemand weiß das so sehr zu schätzen wie die Franzosen. In der Bretagne nimmt man die Fänge vom September, das sollen die besten sein. Sehr fischig-herb im Geschmack. Die Fische sind handverlesen und werden geschuppt. Und nicht an Bord der Schiffe schockgefroren, wie bei konserviertem Fisch üblich, sondern frisch eingelegt.

Der Feinkostladen Maître Philippe in Wilmersdorf ist eine gute Adresse für den Berliner Puxisardinophilen ist. Inhaber Philippe Causse erzählt von britischen Sardinenbüchsen-Sammler-Clubs, von einem Franzosen, der seit 50 Jahren solche Büchsen sammelt, sie zehn, zwanzig Jahre liegen lässt. „Ein paar Mal im Jahr umdrehen, wegen des Öls, und irgendwann spüren Sie keine Gräten mehr.“ Gesund ist die Sardine außerdem. Causse schwärmt vom hohen Fettgehalt, der sie zum perfekten Lieferanten für Omega-3-Fettsäuren mache. (Wobei er in Makrelen noch höher ist. Gibt’s auch in Dosen.)

Wenn man schon Jahrgangssardinen öffnet, sollte man sie so essen, wie es vermutlich die bretonischen Fischer tun, wenn ihnen der kalte Wind um die Ohren pfeift: pur aus der Dose. Oder beim Picknick mit frischen Tomaten und Butterbaguette. Es muss ja nicht gleich eine Mitternachts-Pyjamaparty sein wie bei „Hanni und Nanni“: Wenn Enid Blytons Zwillinge nachts im Internat feierten, gab es immer Sardinen.

Allerdings gibt es für Puxisardinophile schlechte Nachrichten. Die Wissenschaftler Juan Zwolinski und David Demer vom amerikanischen Fischerei-Institut der Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) tun seit Jahren nichts anderes, als Sardinen in den Weltmeeren zu beobachten. Sie untersuchen den Fang in Schleppnetzen und stellen Berechnungen anhand von gefundenen Fischeiern an. Das Resultat: Die Sardine ist gefährdet. Zwar blieben die Schwärme immer mal wieder aus, um 1880 etwa, was im bretonischen Douarnenez mit seinen vielen Fischfabriken zu Massenarbeitslosigkeit und Armut führte.

Aber diesmal ist es schlimmer. Im Nordpazifik, wo die Fischereiflotten jedes Jahr bis zu fünf Millionen Tonnen aus dem Meer ziehen, schrumpfen die Bestände, und es kommen keine neuen nach. Es sind vor allem junge Fische in den Schwärmen, haben die Forscher festgestellt, und die legen weniger Eier als ältere. Ein Grund dafür liegt auf der Hand: Überfischung durch die industriellen Flotten.

Zudem haben Zwolinski und Demer beobachtet, dass die Sardinen nicht mehr nur in Schwärmen mit ihresgleichen unterwegs sind, sondern sich auch anderen Fischen anschließen. Und diese artfremden Fische fressen die Eier und Larven der Sardinen, was die Anzahl des Nachwuchses ebenfalls dezimiert. Warum Sardinen das tun, ist unklar. Vielleicht, weil sie zusammen mit anderen nicht so leicht von Raubfischen angegriffen werden, Schwarmintelligenz gewissermaßen. Kleine Fische, die sich zu Gemeinschaften zusammenschließen, um gegen die dicken Fische zu bestehen. Wenn das mal kein gutes Motiv für eine Sardinenbüchse ist.

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