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Köstlicher Dip. Autorin Anissa Helou macht Laban (oder Labneh) selber her und macht einen Dip daraus: Schafs- oder Ziegenmilchjoghurt abtropfen lassen, bestes Olivenöl, Estragon und Knoblauch dazu und das Ganze mit Sesam bestreuen. Eines der Rezepte aus ihrem Buch, die gleich Lust auf den Sommermachen.

© Kristin Peters / at-Verlag / promo

Orient opulent: Ein Buch feiert die islamische Länderküche

Die preisgekrönte Kochbuchautorin Anissa Helou, Libanesin und Wahl-Britin, bringt mit Rezepten und Geschichten ihre Heimat nach Europa.

Feministin, das war es, was Anissa Helou als Teenager werden wollte. Eine wie Simone de Beauvoir, deren Bücher die Tochter einer Libanesin und eines Syriers angefeuert hatten. Oder eine arabische Marie Curie. Kochen? Bloß nicht! Die Beiruterin zog hinaus in die Welt und die Unabhängigkeit, arbeitete für Sotheby’s und als Kunstberaterin in Kuwait. In London, das sie zu ihrer kosmopolitischen Basis machte, erklärte sie ihrem Freund als Erstes, sie werde weder kochen noch Knöpfe annähen. Bis die beiden eines Tages zu einer, wie Helou sagt, „glamourösen Freundin“ eingeladen waren, die ein Festmahl auftischte. Helous Freund war beeindruckt. „Ich guckte die beiden an und dachte, gut, vielleicht sollte ich es doch probieren.“

Früher hat die Wahl-Britin Anissa Helou Kunst verkauft. Heute gilt sie als Kapazität, wenn es um die Kultur des Essens geht.
Früher hat die Wahl-Britin Anissa Helou Kunst verkauft. Heute gilt sie als Kapazität, wenn es um die Kultur des Essens geht.

© Kristin Peters / at-Verlag / promo

Helou und der Herd

Also lud sie selbstbewusst 30 Freunde zum Essen ein, obwohl es erst das zweite Mal in ihrem Leben war, dass sie überhaupt kochte. „Und das zu einer Zeit, als ich meine Mutter nicht anrufen und um Rat fragen konnte. Der Bürgerkrieg war auf dem Höhepunkt, es gab keine Möglichkeit, zu kommunizieren.“ Das libanesische Dinner wurde ein Hit. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen ihr und dem Herd. Wobei sie bis heute nach eigener Aussage nicht im Alltag kocht, nur für Gäste oder ihre Arbeit. Auch als preisgekrönte Kochbuchautorin will sie sich auf keinen Fall domestizieren lassen.

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Ob die Initiation sich so zugetragen hat? Nobody knows. Es ist auf jeden Fall eine gute Geschichte – und Anissa Helou eine begabte Erzählerin, lebhaft und lustig, auch beim Facetime-Interview. Inzwischen lebt die Libanesin mit britischem Pass auf Sizilien. „Es ist wie zu Hause, die Landschaft, die Rolle des Essens, die Warmherzigkeit der Menschen, alles hat mich an meine Heimat erinnert. Aber ohne all die Probleme.“

Esskultur und Gastfreundschaft

Beim Gespräch hält die muntere 68-Jährige mit dem imposanten Lockenschopf ihr Handy hoch, zeigt den Blick aufs Meer, den strahlend blauen Himmel. Fast könnte man das Umziehen – zwischendurch hat sie auch in Paris gelebt, wo sie einen Antiquitätenladen betrieb – für eine Art Sport halten. „Ich mach’ mir das Leben gern interessant. Zum Beispiel, indem ich die Atmosphäre wechsle.“ Als Christin ist die heutige Atheistin in einem muslimischen Viertel Beiruts aufgewachsen, zum Ramadan brachten die Nachbarn immer Süßigkeiten vorbei. Nach 9/11 kam sie ins Grübeln. Muslime wurden von vielen nur noch als Bedrohung wahrgenommen, der Islam verteufelt. Sie wollte dem etwas entgegenhalten: die ausgeprägte Esskultur und Gastfreundschaft.

Des Orients ganze Fülle. Anissa Helou zeigt in ihrem Buch auch Eindrücke von ihren Reisen, etwa diesen Obst- und Gemüsestand in Dubai.
Des Orients ganze Fülle. Anissa Helou zeigt in ihrem Buch auch Eindrücke von ihren Reisen, etwa diesen Obst- und Gemüsestand in Dubai.

© Anissa Helou / at-Verlag / promo

„Das Leben – Ein Fest“ hat sie ihr opulentes „Kochbuch der islamischen Welt“ genannt. Wie sich so unterschiedliche Kulturen, von der Türkei bis Indien, vom Iran bis Marokko, von Indonesien bis zum Jemen unter einen Deckel bringen lassen? Helou entschloss sich, ihren Band nicht nach Regionen zu sortieren, auch nicht nach Gängen, sondern nach den Speisen, die man überall in der islamischen Welt findet, angefangen beim – meist flachen – Brot über Kebabs bis zu den Süßigkeiten.

Ein Gespräch über Klöße

Von ihren ausgedehnten Reisen auch für dieses Buch bringt Helou nicht nur Rezepte und Zutaten, sondern auch Geschichten und Freundschaften mit. „We hit it off immediately“, wir haben uns sofort gut verstanden, sagt sie immer wieder. Wo immer Helou jetzt hinkommt, ob nach Indonesien, Hong Kong oder an den Golf, sie wird schon erwartet. Das ist auch eine Voraussetzung ihrer Recherchereisen, „dass ich mich wie eine Insiderin fühle“. So bittet sie alle, die sie kennt, um eine Einführung. Furchtlos, wie sie ist – nur um Mali und Algerien hat sie einen Bogen gemacht –, redet sie überall mit den Leuten.

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Auch an kurzen Begegnungen kann sie sich erfreuen, etwa mit dem distinguierten Gentleman, der sich auf einem Markt in Usbekistan angeregt mit einem Bäcker unterhielt. Mit den beiden hat sie sich dann ihrerseits angeregt über Klöße und die Dekoration von Brot unterhalten. „Wunderbare 15 Minuten, die ich mit mir unbekannten Menschen verbracht habe.“

Shlada del Ful heißt dieser Salat von frischen Favabohnen in Marokko. Dort schält man die Bohnen nicht, Anissa Helou tut das aber. "Sie sehen dann noch dekorativer und frischer aus", schreibt sie.
Shlada del Ful heißt dieser Salat von frischen Favabohnen in Marokko. Dort schält man die Bohnen nicht, Anissa Helou tut das aber. "Sie sehen dann noch dekorativer und frischer aus", schreibt sie.

© Kristin Peters / at-Verlag / promo

Wieder zu Hause, ist das Einzige, was sie sich selber regelmäßig zubereitet, Eiscreme. In Sizilien?! Helou ist selbstbestimmt, auch auf diesem Gebiet. „Ich bevorzuge mein eigenes.“ Arabisches Eis, mit anderer Textur, nicht so süß und mit Biomilch. Was sie immer hineingibt, sind Orangenblüten- und Rosenwasser. „Meine europäischen Freunde erinnern die an Seife. Für mich haben sie etwas Magisches.“ Wenn der eindringliche Duft ihr in die Nase steigt, ist das „ein Madeleine-Moment“. „Wir benutzen die ja praktisch in allen Süßigkeiten. Ein Milchreis ohne Rosenwasser ist langweilig. Wenn ich es dazu gebe, wird es etwas Besonderes, Geheimnisvolles.“

Essen ist Identität

Früher sah auch ihr Zuhause ein wenig aus wie 1001 Nacht, voller Artefakte, alter Schüsseln und Möbel. Die hat sie alle aus ihrem Leben geschmissen und verkauft, als sie das Kochen zum Beruf machte. „Ich mag Ordnung. Noch ein Grund, warum ich aus dem Libanon weg bin.“ Sie hat's gern akkurat. Also zog sie in ein Loft, dessen Zentrum die Küche stand. "Als ich beschloss, das Kochen zu meinem Beruf zu machen, habe ich auch beschlossen, mein Leben zu leeren und alles Zeugs rauszuschmeißen. " Ich habe nichts mehr! Nur noch Bücher", sagt sie und lacht. Aber ihr Hintergrund, der Umgang mit Kunst und schönen Dingen, hat ihr auch als Autorin geholfen. „Ich habe einen sehr ästhetischen Zugang zum Essen.“

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Und das hat für sie immer etwas mit Kultur zu tun, mit Identität, die sie bewahren möchte, indem sie die Rezepte aufschreibt. So hat sie es schon 1994 in ihrem ersten Buch, über die libanesische Küche getan, in dem sie die Gerichte ihrer Mutter festhielt. Auch die Großmutter war eine elegante Köchin, die syrische Tante dagegen bodenständig, die habe alles selbst gemacht, von der Butter bis zum Brot. Auch wenn Anissa Helou in jungen Jahren nicht mitgemacht hat, beobachtet hat sie die Frauen schon. „Ich esse wahnsinnig gerne", sagt sie. "Aber für mich ist die Beschäftigung auch ein intellektuelles Vergnügen."

Waisenkind zweier Länder

Selbst in Sizilien kann Helou das Essen ihrer Heimat nachkochen, an die Zutaten kommt sie schon ran. Was sie aber vermisst, ist die Atmosphäre, die gemeinsamen Mahlzeiten mit der Mutter, die immer noch in Libanon lebt, die Straßenhändler, die historischen Souks von Aleppo, die im Krieg, wie so vieles, zerstört wurden. Anissa Helou trauert um Syrien so sehr wie um Libanon. „Beide waren so schön, historisch so bedeutend, mit einem unglaublichen Erbe.“ Ein „Waisenkind zweier Länder“ nennt sie sich.

„Das Leben – ein Fest. Das Kochbuch der islamischen Welt“, Anissa Helou, at-Verlag 2020, 544 Seiten, 48 Euro
„Das Leben – ein Fest. Das Kochbuch der islamischen Welt“, Anissa Helou, at-Verlag 2020, 544 Seiten, 48 Euro

© at-Verlag

Doch das war für sie das Gute an England, ihrer langjährigen Wahlheimat: „Sie geben einem nie das Gefühl dazuzugehören. Wäre ich in die USA gegangen, wäre ich wahrscheinlich amerikanisch geworden. “ Und so stellt sie, die 2013 von einem Wirtschaftsmagazin zu einer der 100 einflussreichsten arabischen Frauen ernannt wurde, sich noch immer als Araberin vor – und bringt eine andere Welt nach Europa und die USA, mit ihren Rezepten und Geschichten. Im neuen Buch etwa erfährt man, wie sie einmal einen Kamelhöcker ergatterte, eine Delikatesse, die ihr als Frau in den Arabischen Emiraten vorenthalten werden sollte. Wie sie beim Schlachten des Tieres zuschaute, um den Höcker dann im Ofen mit Safran, Rosenwasser und B’zar zu schmoren. Das Leben – ein Fest.

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