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Mittagstisch: Asako Iwama und Lauren Maurer kochen fürs Team.

© Christian Uchtmann und María del Pilar García Ayensa, Studio Olafur Eliasson

Olafur Eliasson: Eliassons Kochstudio

Im Studio von Berlins bekanntestem Künstler schnippeln zwei Köchinnen für 75 Mitarbeiter – biologisch, vegetarisch. Denn für Olafur Eliasson ist Küche auch Inspiration. Nun ist daraus ein Buch entstanden.

Der Tisch ist voll. Zehn Meter ist die Tafel wohl lang, daneben steht noch eine kleinere – und trotzdem ist jeder Platz belegt. Das Publikum: jung, die Stimmung: fröhlich, das Essen: köstlich. Die Mittagspause lässt sich im Studio Eliasson niemand entgehen.

Also gehen wir in die Küche, eine halb offene Box inmitten des riesigen Raums der früheren Brauerei in Prenzlauer Berg, und setzen uns an den Chef’s Table, wie er in Restaurants heißt. Hier ist es mehr ein Tischchen. Die beiden Köchinnen setzen sich dazu, schöpfen sich beherzt Rote Bete, Kichererbsen, Schwarzkohl und Salsa Verde auf den Teller. Ein farbenprächtiges Ensemble, apart gewürzt, mit Knoblauch und Rosinen, getrockneten Tomaten und gebratenen Zwiebeln. Asako Iwama und Lauren Maurer haben Hunger. Sportlich nennen sie das vegetarische Kochen für 80, 90 Leute, „sehr sportlich“. Berge von krisseligem Kohl zu schnippeln und interessant zu würzen, ist aufwendiger, als einen großen Braten in den Ofen zu stellen.

Die Küche, das Kochen und Essen, für Olafur Eliasson, den vielleicht bekanntesten Künstler Berlins, Sohn eines Kochs und Bruder einer Köchin, ist das „ein Herzensthema“. Das hat er jetzt auch mit einem Buch dokumentiert: „The Kitchen“, Band fünf seiner Reihe „TYT (Take Your Time)“. Ein Gemeinschaftswerk – so wie das gesamte mehrstöckige Studio, in dem Architekten und Grafiker arbeiten, Lektoren und Handwerker, Presseleute und Filmemacher. Ein Bereich geht in den anderen über, über der Tafel hängen wechselnde Skulpturen, im oberen Stock sitzt das Institut für Raumexperimente, das Eliasson als Professor der UdK gründete und das in dieser Woche nach fünf Jahren seinen Abschluss feierte. Mit Speisen aus der Studioküche, versteht sich. Das ganze Atelier ist ja nichts anderes als ein Raumexperiment, ein Labor wie die Küche. Entworfen hat sie der hauseigene Architekt, die Handwerker haben sie gebaut.

Das Küchen-, Koch- und Künstlerbuch auf mattem Papier, fast mehr Objekt als Buch, hat Eliasson gemacht, um festzuhalten, was hier in den letzten Jahren entstanden ist: Gedanken – philosophische, künstlerische, naturwissenschaftliche, politische – Skizzen, Rezepte, Fotos von Gerichten und Aktionen, Kunstwerken und gemeinsamen Essen. Um etwas zu haben, was er verschenken kann, nicht nur an Freunde, sondern auch Fremde: So wie er Leute gern zum Mittagessen einlädt, weil es die einfachste Art ist, den Geist des Studios zu vermitteln. Dass man den dicken Band auch kaufen kann (über die Buchhandlung Walther König, in Berlin zum Beispiel an der Museumsinsel, Burgstraße 27, und in zahlreichen Museen) steht im Hintergrund. Dass es englisch ist, versteht sich von selbst.

Der Isländer spricht Deutsch beim Interview, er ist so international wie seine Mannschaft: als Kind dänischer Eltern auf Island aufgewachsen, zog er vor 20 Jahren zu seinen Galeristen NeugerRiemschneider an die Spree, pendelt heute zwischen Berlin und Kopenhagen, wo seine Familie lebt, und wo er im Sommer eine große Ausstellung im Museum Lousiana eröffnet, wenn er nicht gerade in der Welt unterwegs ist. Angesichts des unruhigen Lebens legt Eliasson zu Hause großen Wert auf ritualisierte Essenszeiten: um den Kindern ein Gefühl von Kontinuität zu geben.

Englisch ist die lingua franca im Atelier, auch für Asako Iwama und Lauren Maurer am Herd, an dem sie seit 2005 stehen. Die Japanerin und die Amerikanerin, lebhafte Wortführerin die eine, zurückhaltend die andere, ergänzen sich gut. Iwama ist eigentlich Künstlerin, Maurer hat einige Jahre ein Restaurant in Prenzlauer Berg geführt.

Eliasson schätzt das „Kochen als Herstellung von Wirklichkeit, als Entmystifizierer“, damit ein wichtiges Gegenwicht zur Kunst. Früher haben die Mitarbeiter das selbst übernommen, aber je größer das Studio wurde, desto mehr Zeit brauchten sie zum Schnippeln. Zeit, die dann bei der eigentlichen Arbeit fehlte. Heute müssen sie nur noch aufräumen; das läuft reihum und nach Plan, so, dass immer Leute aus unterschiedlichen Abteilungen in einer Gruppe zusammenarbeiten, Kontakt halten. Für die Köchinnen eine so einfache wie geniale Idee, genau wie die Umstellung vom Selbstbedienungsbuffet zu den großen Schalen auf dem Tisch, die den Aspekt des Teilens betonen.

Der gesellige Aspekt ist für Eliasson zentral: „Das Essen als sozialer Klebstoff.“ Die gemeinsame Pause um eins als Freiraum und Zäsur, die dem Arbeitstag Rhythmus gibt. Die Tafel trägt wesentlich dazu bei, die familiäre Atmosphäre des Studios trotz seiner Größe zu bewahren.

Wäre das Wort nicht so abgedroschen, man würde Olafur Eliasson einen Renaissancemenschen nennen. Der 46-Jährige drückt es einfacher aus: „Alles hängt mit allem zusammen.“ Politik, Moral und Umweltbewusstsein, Natur, Kochen und Kunst. In seinen Arbeiten spielen die Elemente, wie das Wasser, eine zentrale Rolle. Und vor allem das Licht.

Ein immaterielles Etwas, das beim Essen Form annimmt. Die Pflanzen, die hier zum Teil in Beeten vor der Haustür und im Garten auf dem Dach wachsen, so Eliasson, wachsen doch nur dank der Sonnenstrahlen: „Wir essen praktisch Licht.“ Solche Gedanken gefallen ihm, weil sie das Spirituelle mit dem sehr Realen verbinden. Das Wachsen, Essen und Verdauen als ewiger Kreislauf, wie er sich in den Spiralen niederschlägt, die in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder auftauchen, auch im Kochbuch.

Die Mitarbeiter müssen fürs Essen nicht zahlen. Der Chef wiederum freut sich, dass alle schneller an den Arbeitsplatz zurückkehren, als wenn sie rausgingen. Das tun sie nur montags: Dann bleibt die Küche kalt, werden die Zutaten vom Bioladen und -Bauernhof angeliefert, gegärtnert und geputzt.

Eine schöne Erscheinung kommt mit schmutzigen Tellern und leeren Schüsseln in die Küche und strahlt: „It was sooo good!“ Ob alle die Köchinnen lieben? Iwama lacht: „Meistens.“ Außer es ist zu scharf oder mit zu viel Koriander gewürzt. Oder die Sehnsucht nach Fleisch wird übermächtig.

Eliasson ist Philosoph und Pragmatiker. Der Entschluss, nur mit biologischen Zutaten zu kochen, führte zur Entscheidung, auf Fisch und Fleisch zu verzichten: In Bioqualität wäre das für so viele Leute zu teuer. Im Sommer wird mal gegrillt, den Barbecue hat ein Mitarbeiter gebaut. Es lagen auch schon Eliassons eigene Lämmer auf dem Rost. Nach der großen Finanzkrise, die Island als Erstes traf, hat er mit Freunden zusammen eine Schafherde gehabt, „wir dachten, wir können die Wirtschaft so retten“, Eliasson lacht, „dann hat sie uns überholt“.

Auch an seinen Köchinnen, denen er freie Hand lässt, gefällt ihm, dass sie realistisch und kreativ sind, „wahnsinnig gut kochen“, aber so, dass man nichts wegschmeißen muss. Bei vielen der Rezepte im Buch, jeweils mit Angaben für sechs oder 60 Esser, haben Asako Iwama und Lauren Maurer es so gemacht wie mit Töpfen und Pfannen, denen Kollegen die nötigen Griffe angeschweißt haben: Sie haben sie zum Teil aus Kochbüchern von Studiokollegen übernommen und den eigenen Bedürfnissen angepasst.

Die Salsa Verde etwa stammt von Alice Waters. Die Kochrevolutionärin und Food-Aktivistin aus Kalifornien hat hier ebenso schon am Herd gestanden wie René Redzepi, der vielleicht berühmteste Koch der Welt. Mit beiden ist Eliasson befreundet, ihre Haltung ist seiner verwandt. Dass Redzepi in seinem Kopenhagener Noma zum Beispiel „extrem ambitioniert, auch elitär arbeitet, und mit so was Einfachem wie Karotten die unglaublichsten Sachen macht“. Von den Köchen fühlt der Künstler sich inspiriert.

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