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Kulturexperte, Autor und Musikliebhaber - in seinem aktuellen Buch „Das entfesselte Jahrzehnt“ analysiert Jens Balzer die 70er Jahre

© imago/Votos-Roland Owsnitzki

Mund PROPAGANDA - das Genuss Interview: Jens Balzer

Jens Balzer ist einer der profiliertesten Kulturautoren Deutschlands, sein aktuelles Buch „Das entfesselte Jahrzehnt“ analysiert die 70er.

Von Kai Röger

Ist essen pop?

Neuerdings wird sogar behaupte, twittern sei pop, dann ist es essen wohl auch.

Sie leben mit ihrer Familie in Prenzlauer Berg, sind Mitglied der „LPG“ und machen was mit Medien. Regt sich etwas bei Ihnen, wenn jemand die Klischeekeule über „den Prenlzberger“ schwingt?

Nö, ich ärgere mich eher über den Klimawandel, wegen dem es in meiner Dachgeschosswohnung mit den bodentiefen Fenstern im Sommer immer viel zu heiß wird!

In welcher Bar läuft gute Musik?

Ich gehe nicht in Bars wegen der Musik, sondern wegen der Schnäpse, am liebsten in die „Hausbar“. Ich empfehle den Rote-Beete- und Brombeer-Brand. Ganz Mutige fragen nach einem Erwin.

Und in Restaurants? Stört es Sie denn gar nicht, wenn überall Nouvel Vague, Yann Tiersen, Johnny Cash zum Essen läuft? Ich kann da ganz gut weghören. In der Hausbar läuft zum Beispiel immer Yello, The xx und The Doors, das find ich von der Mischung her gut.

Lieblingsrestaurant im Kiez?
Das Delizie d‘ Italia, vorzügliche Pasta, sehr guter Haselnuss-Schnaps; der eine gute, authentische Laden, den es im kulinarisch komplett ruinierten Kollwitzkiez noch gibt.

Und außerhalb von Prenzlauer Berg?
Den Kiez verlasse ich nur, wenn ich tanzen gehen will.

Ist man irgendwann nicht zu alt, die Nächte im Club abzuhängen? Ersetzt nicht gutes Essen irgendwann das Tanzen gehen? Selbst einige ehemalige Clubbetreiber haben inzwischen eigene Restaurants. 
Da gibt es kein Widerspruch. Es gibt nichts Schöneres, als zuerst gut zu essen und dann zum Tanzen in den Club zu gehen. Am Liebsten gehe ich donnerstags in die „Säule“ im „Berghain“

In Ihrem neuen Buch „Das entfesselte Jahrzehnt“ blicken Sie zurück auf die 70er Jahre und stellen sie in Bezug zu heute. Ein Rezensent sah in diesem Jahrzehnt sogar den „kulturellen Ursumpf“ unserer Gegenwart. Gilt das auch für kulinarische Dinge?
Die 70er sind kulinarisch widersprüchlich: Öko kontra industrialisiertes Aufwärmen. Es war der Beginn des Bio-Booms und von Woodstock kam die Urzündung des Müslis, weil dort in der Not alle damit versorgt wurden. Man ernährte sich so authentisch und gesund wie möglich. Auf der anderen Seite kamen ab da auch Mc Donalds und Tiefkühlgerichte in die BRD, Fernsehen wurde erst in den 70ern zu einem Massenmedium und so wurde auch das Essen vor dem Fernsehen zu einem Massenphänomen.

Woran erinnern Sie sich noch, was Sie damals gerne gegessen haben?
Wir hatten einen großen Garten; fast alles Obst und Gemüse, das es zu essen gab, haben meine Eltern selbst angebaut und für den Winter eingeweckt und eingelegt. Bio ohne „LPG“. Das Beste waren die Gewürzgurken meiner Mutter. Bis heute bin ich ein großer Gurken-Fan. Gibt es in der Hausbar auch als Gurkenschnaps.

Delizie d'Italia, Kollwitzstr. 100, Prenzlauer Berg

Hausbar, Rykestraße 54, Prenzlauer Berg

Berghain, Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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