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Rebecca Clopath hat sich als „Naturköchin aus Leidenschaft“ neu erfunden und pflegt in Workshops im schweizerischen Lohn eine ultrakonsequente Regionalküche.

© Claudia Link/promo

Moderne Schweizer Küche: Friede, Freude, Eierkuchen

Rebecca Clopath ist eines der größten Kochtalente der Schweiz. Aber statt in der Spitzengastronomie Karriere zu machen, wurde sie zur „Naturköchin“.

Wie alle modernen Deutsch-Schweizer beherrscht auch Rebecca Clopath mindestens zwei Sprachen: ein außerhalb ihrer Heimat praktisch unverständliches Schwyzerdütsch – und charmant schweizerisches Hochdeutsch. Und mit diesem Hochdeutsch stellte die 29-jährige Bäuerin und Köchin beim Tagesspiegel-Blind-Date im Rahmen der „eat!Berlin“ auch ihre eigenwillige Küche vor, die dem Zeitgeist der strikten Regionalität folgt, aber wegen ihrer spezifisch schweizerischen Eigenschaften auch etwas ganz Besonderes ist. Die Schweiz ist wegen ihrer speziellen politischen und wirtschaftlichen Situation kulinarisch kaum auszurechnen: Es gibt viele moderne Weltklasserestaurants in den Städten und an anderen Touristenzielen, aber auch das klassische Geschnetzelte oder die Fondue- und Raclette-Tradition werden immer noch liebevoll gepflegt. Dann gibt es auch komplett entlegene Ecken, vor allem in den Bergen, wo schon vor langer Zeit die moderne Nova-Regio-Küche praktisch erfunden wurde, nur dass sie damals noch als schrullige Außenseiterei galt.

Die Jungköchin lernte Oskar Marti in der "Moospinte"

Zwei dieser Plätze haben das kulinarische Schicksal von Rebecca Clopath bestimmt. Die talentierte Jungköchin landete nach der Schule als Au-pair bei einer Tessiner Winzerfamilie, begann dann mit 13 Jahren – ginge das in Deutschland überhaupt? – in der „Moospinte“ von Oskar Marti in Münchenbuchsee zu arbeiten, der als „Chrüter-Oski“ landesweit berühmt war, eine Art René Redzepi des 20. Jahrhunderts, viel gelobt, aber praktisch nie nachgeahmt.

Aus dem Stand schaffte Clopath 2008 den dritten Platz bei der Berufsmeisterschaft „Swiss Skills“, gewann 2010 mit der Juniorennationalmannschaft ihres Landes zweimal Gold und den Gesamtsieg bei der WM in Luxemburg.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon bei einem weiteren Schweizer Küchenpionier angeheuert, bei Stefan Wiesner in Escholzmatt, dem „Hexer aus dem Entlebuch“, der die Idee einer Küche der unmittelbaren Region und der streng gefassten Saison in geradezu alchimistische Höhen trieb und sich dort mit anderen gastronomischen Eigenbrötlern wie Marc Veyrat oder Michel Bras traf. Deren Arbeit war es, die auf Umwegen die Grundlage für das skandinavische Küchenwunder legte und die überzüchtete Selbstzweck-Artistik der „Molekularküche“ zu überwinden half.

Die talentierte Jungköchin entschied sich gegen die Spitzengastronomie

Rebecca Clopath, mit Anfang 20 mittendrin, hat sich damals vermutlich kaum Gedanken über all das gemacht. Denn das „Rössle“, ein windschiefes Gasthaus in einer touristisch kaum genutzten Region hoch oben in den Bergen hinter Luzern, arbeitete in erster Linie für die Nachbarn, die hier ihren Stammtisch hatten und vor allem Wiesners ausgezeichnete Würste lobten. Das Gourmet-Stübchen, für das sie Verantwortung trug, ist nur ein schlichtes Zimmer, und wenn die Faschingszeit kam, dann tapezierten die Kinder aus dem Ort die Wände weiß, hängten Alien-Masken auf, und Wiesner am Telefon sagte: „Ach, wollen Sie nicht lieber an einem anderen Tag kommen?“

Nur gut, dass sich dann doch der Guide Michelin einfand und einen Stern vergab, gut, dass ein Buchverlag die Rezepte dieser versponnenen, kaum anderswo reproduzierbaren Küche und die Ideenwelt ihres Schöpfers in prächtigen Bildbänden festhielt. Denn das transportierte den Ruf des „Rössle“ in die Szene und schaffte so vermutlich erst die Grundlage für weitere Experimente mit dem Thema Regioküche. Rebecca Clopath fungierte mehrere Jahre als Küchenchefin, hielt dem Patron den Rücken frei und lernte all seine wundersamen Tricks: Wenn es schneite in den Bergen, dann zündeten sie ein Holzfeuer an, hielten eine große Paella-Pfanne daneben und fingen den buchstäblich geräucherten Schnee darin ein, was eine Suppe ergab, die nach Speck schmeckte, ohne dass welcher auch nur in der Nähe war. Oder der Holzkohlensenf! Eine wunderbare Szene in einer TV-Doku über Wiesner zeigt, wie leibhaftige Köhler aus den Wäldern des Entlebuch zum ersten Mal diese Komposition kosten, die auf ihrer Arbeit beruht. „Jo“, sagt einer trocken, „scho guet.“

Die junge Köchin hätte sich also vermutlich ihren neuen Arbeitsplatz im ganzen Land aussuchen können, tat dann aber das Gegenteil: Sie verabschiedete sich vom Restaurantleben und entschied, auf den Bauernhof ihrer Familie im Engadin zurückzukehren, nicht als Jungstar, sondern als Lernbäuerin – „um meinen persönlichen Kochstil und mein Wissen zu erweitern“. In die allgemeine Verblüffung der Branche hinein sagte sie kategorisch: „In der Spitzengastronomie wird man mich nicht mehr finden.“ Sie sei dafür zu friedliebend, kenne niemanden, der längere Zeit ein Restaurant und keine Lebenskrise habe. Drei Tattoos auf den Fingern der linken Hand, ein Peace-Zeichen, ein Smiley und ein Stück Torte, erinnern sie ständig an ihr Lebensmotto, tatsächlich: Friede, Freude, Eierkuchen ... Statt den Tag am Herd zu verbringen, pflanzt sie nun und erntet, zupft Löwenzahn und Disteln, beobachtet Sonne und Wind und dirigiert die Helfer; näher als sie kann man dem viel beschworenen Motto „Farm to table“ nicht kommen.

Sechs Stunden Naturführung und ein Menü für zwölf Gäste

Das Dorf Lohn, 1600 Meter hoch zwischen Via Mala und San-Bernardino-Pass, liegt in einer urtümlichen, mystischen Landschaft. Es hat knapp 50 Einwohner, eine Kirche und einen Krämerladen, beste Voraussetzungen also, um aus der öffentlichen Wahrnehmung komplett zu verschwinden. Doch daran liegt Rebecca Clopath nun auch wieder nicht. Als Kind des 21. Jahrhunderts nutzt sie natürlich die Möglichkeiten von TV und Internet, um eine beachtliche mediale Präsenz zu erreichen, ohne die wohl auch ihr Auftritt in den Berliner „Sarotti-Höfen“ kaum denkbar gewesen wäre.

Und ein paar Gäste hat sie ja trotzdem droben in Lohn. Das kleine Hofcafé ist allerdings nur dienstags und sonnabends am Nachmittag geöffnet. Das exklusivste Angebot sind die „Esswahrnehmungen“, die sie an mehreren Tagen im Frühjahr und Herbst anbietet – sechs Stunden mit Naturführung, persönlichen Geschichten und Menü für zwölf Gäste. Es beginnt mit einem kräuterigen Aperitif am Feuer vor dem Haus, dann folgen zum Beispiel Hanfravioli mit Brennnesselspinat, wilder Lauch mit Thymian vom Feuerring und eigenem Rahmquark, Ziegentrockenfleisch, Spargel aus der Kohle oder ein Fünferlei vom Löwenzahn, alles so finessenreich zubereitet und angerichtet, dass es in stilistisch ähnlich orientierten Top-Restaurants leicht bestehen könnte. Nur so, sagt sie, könne sie ihren Gästen glaubhaft erzählen, wo etwas gewachsen ist und wie sie es zubereitet.

Rebecca Clopath ist ehrgeizig, das haben auch die Gäste in Berlin gemerkt. Aber es geht ihr nicht um Ruhm und Reichtum und Medienresonanz, sondern um die Perfektionierung eines Ideals. Von solchen Menschen lebt die moderne Küche.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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