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Mein kulinarisches ABC: Ingrid Wiener: "Grammelknödel waren mein großer Erfolg"

Wer die Lieblingsspeisen der Künstlerin und Wirtin kennenlernen will, muss neues Vokabular lernen: Hákarl, Brimsen, G'selchtes erklärt sie hier

Ingrid Wiener, 78, ist schon vieles in ihrem leben gewesen: Performerin, Gobelinweberin, Traumzeichnerin, Wirtin, Köchin und Ikone. Gerade erschien ihr Künstlerinnenbuch "Durch die Kette sehen" über ihr vielfältiges Gesamtwerk (herausgegeben von Michaela Leutzendorff Pakesch).

ABC Wiener Online
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© Illustration: Suse Grützmacher

Mit ihrem Mann Oswald Wiener lebt die Stiefmutter von Sarah Wiener in der Südsteiermark. Uns hat sie ihre kulinarischen Favoriten und Erinnerungen verraten - in alphabetischer Reihenfolge.

AX BAX

Das „Ax Bax“ (ausgesprochen Ach Wach – griechisch so viel wie Ach…!) war unser drittes Lokal in Berlin, diesmal in Charlottenburg. Ich war müde vom Kochen und habe mir für jeden Tag nur ein Menü ausgedacht, das auf einer Warmhalteplatte ausgegeben wurde. Es waren hauptsächlich Suppen, Eintöpfe, etwa mit Kutteln, Gulasch jeder Art, aber auch Moussaka, gefüllter faschierter Braten, Zunge in Rahm, Lammeintopf… Unsere Stammgäste waren David Bowie und seine Freunde – und die Künstler, die auch immer ins „Exil“ kamen.

Ingrid Wiener, 78 - Künstlerin, Wirtin, Köchin, Ikone.
Ingrid Wiener, 78 - Künstlerin, Wirtin, Köchin, Ikone.

© Josepha Pakesch / promo

BRUCKFLEISCH

Eine meiner Lieblingsspeisen, die es jetzt nicht mehr gibt. Darin war alles, was es im Tier an Innereien gab – außer Herz, Leber, Nieren, Bries und Milz gab’s auch noch die Aorta und Kronfleisch (das Muskelfleisch im Zwerchfell des Rinds). Es wird alles klein geschnitten, mit Zwiebeln und Wurzelwerk samt Zitronensaft und Gewürzen im eigenen Saft weichgedünstet und mit Rotwein und Suppe aufgegossen. Irgendwo habe ich gelesen, dass der Name daher kommt, dass es auf Brücken verkauft wurde.

CLAIMS CAFÉ

So hieß unser Lokal in Dawson City, einer alten Goldgräberstadt im Yukon an der Grenze zu Alaska. Unsere Gäste waren hauptsächlich Goldgräber. Ich hatte damals (1986 bis ’88) jeden Tag eine neue Speisekarte, aber das Wiener Schnitzel und Schweinsbraten waren fast immer dabei. Wir hatten die erste Espressomaschine in einem Umkreis von 500 Kilometern. Ich werde nie vergessen, wie ein italienischer Goldgräber in Tränen ausgebrochen ist, nachdem er einen Espresso getrunken hatte. Auch sind die Alaskaner oft mit ihren kleinen Flugzeugen eingeflogen, um sich einen Apfelstrudel zu holen.

DOBOSTORTE

Eine meiner Lieblingstorten. Ich glaube, sie ist benannt nach dem Erfinder der Buttercreme, Josef C. Dobos (1847–1924).

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© Illustration: Suse Grützmacher

Er wollte eine Torte kreieren, die länger haltbar ist. Die Lagen von Biskuitteig mit dünnen Schichten Buttercreme machen die Torte saftig und verhindern, dass sie in der Mitte einsinkt.

EXIL

Ein Wirtshaus, wie wir – Michel Würthle, Oswald Wiener und ich – es immer haben wollten. Michel hatte die Räume in Kreuzberg gefunden und uns überredet, mitzuarbeiten. Oswald war nicht sehr begeistert, ich fand es aufregend. Michel hatte seine griechische Freundin Katarina mitgebracht, und da mein Kochen noch nicht perfekt war, hat Katarina ihre Mutter in Syros angerufen und nach Rezepten gefragt. So hat es neben dem Wiener Schnitzel eine Anzahl griechischer Speisen gegeben. Meine Moussaka wurde ein großer Hit nicht nur bei den griechischen Freunden von Katarina, die allmählich alle angereist kamen. West-Berlin war Anfang der 70er Jahre für Hollywood ein Knotenpunkt, da das Filmen billig war. Somit hatten wir all die berühmten Schauspieler zu Gast, wie Peter O’Toole, James Mason und Kim Novak, und (nicht nur die Berliner) Künstler von Markus Lüpertz und Dieter Roth bis Martin Kippenberger und Georg Baselitz. Auch ich wurde von Victor Mature eingeladen, in einem seiner Filme mitzuspielen. Es war eine lustige Zeit, wir waren zusammen mit unseren Kellnern (darunter Bruno Brunnet, der später die Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin gründete) wie eine große Familie. Es war auch wichtig, dass wir, die wir ja nebenbei an unserer Kunst arbeiteten, finanziell unabhängig waren.

FRITTATEN

Sie sind nicht nur in der Rindssuppe gut! Weil man mit dem Teig in verschiedenen Variationen wunderbare einfache Speisen erfinden konnte, hatte ich große Freude damit. Der Teig ist einfach: Mehl, Eier, Milch und Salz verrühren. Danach können die Eierkuchen gefüllt mit allem Möglichen im Rohr oder in der Pfanne überbacken werden.

GRAMMELN

In Deutschland Grieben genannt. Grammelknödel mit verschiedenen Beilagen waren ein großer Erfolg bei unseren Gästen. Es gab zwei verschiedene Arten: Kartoffelknödel mit Grammeln gefüllt, dazu gab es dann verschiedene Arten von Kraut oder Salat; und Semmelknödel mit Grammeln, die man praktisch zu jeder Art von gedünsteten Speisen servieren konnte.

Wiener ABC
Wiener ABC

© Illustration: Suse Grützmacher

HIRN

In West-Berlin wurden zu dieser Zeit keine Innereien gegessen. Ich hatte zum Glück einen Fleischer, der mir die besorgen konnte und auch Gast bei uns war. Meine Kutteln musste ich unter einem Fantasienamen anbieten, sonst hätte sie keiner als Köstlichkeit entdeckt. Hirnvariationen habe ich einige erfunden, sie wurden mit großer Begeisterung gegessen. Als Vorspeise servierte ich gerne kaltes Hirn in Zitronensauce. Der Klassiker „Hirn mit Ei“ wurde bei mir in verschiedenen Variationen angeboten von Hirnstrudel bis zu den Schinken-Hirn-Fritatten.

 ABC Wiener Online
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© Illustration: Suse Grützmacher

ISLAND

1975 gründeten Oswald und ich zusammen mit einem isländischen Freund ein isländisches Reiseunternehmen in Berlin: „Oeraefi“. Es war eine tolle Zeit mit vielen neuen Koch- und Esserfahrungen. Das werde ich nie vergessen: in einem Landrover zu sitzen, an einem Hákarl zu nagen und den schrecklichen Geschmack mit einem Brennivín zu löschen. Der Hákarl war ein isländischer Haifisch, der in alten Zeiten, wie man uns erzählte, vergraben wurde und regelmäßig mit Urin getränkt, damit er nicht verrottete. Zum Glück kamen nicht viele Gäste zu uns, denn ich wusste einfach nicht, was ich kochen sollte. Außer Lamm gab es fast nichts. Der Fisch war grade ausgefischt, und wir mussten bis Rejkjavík fahren, um einzukaufen. Alkohol gab’s auch nur im Áfengisverzlun ríkisins, dem staatlichen Laden.

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© Illustration: Suse Grützmacher

Einmal war Max Frisch zu Gast mit einem Freund, und Oswald hatte sich etwas Besonderes ausgedacht: eine Reise über das Meer zu einer unbewohnten Insel. Ich hatte zu meiner Freude immerhin einige Steaks bekommen, allerdings von einem Pferd. Auf der Insel gab es eine kleine Hütte, und wir konnten uns mit unseren Schlafsäcken einrichten. Es waren zwei Tage geplant, und ich war zuversichtlich, genug Essen dafür zu haben. Leider waren für Max und seinen Freund Pferdesteaks eine Zumutung, und somit war ich etwas unglücklich. Dann kam noch schlechtes Wetter, und wir konnten nicht planmäßig abgeholt werden. Max und sein Freund haben mir gezeigt, welche Gräser essbar waren, so habe ich Brennnesselspinat etc. gemacht. Für mich alles sehr peinlich, aber so lernt man eben.

JIRSCHI

Er war mein tschechischer Koch im „Exil“, und von ihm habe ich gelernt, wie man einen guten Schweinsbraten macht. Erstens darf das Fleisch nicht zu mager sein – am besten einen fetten Schopfbraten mit viel Knoblauch, Kümmel, Salz und Pfeffer am Tag vorher marinieren und dann bei mittlerer Hitze ziemlich lang im Rohr braten und immer wieder aufgießen. Das klingt einfach, aber ich hatte ja nie kochen gelernt, und Jirschi war sozusagen mein Meister in den einfachen Gerichten.

KOSTAS

Kostas Cassambalis war unser Kellner im „Ax Bax“ und hat jetzt das Restaurant „Cassambalis“ in Berlin, auch als „Merkels Grieche“ bekannt. Wir sind immer noch mit ihm befreundet, ich liebe seine griechischen Vorspeisen und verstehe Frau Merkel gut.

LIPTAUER

Damit konnte ich meine kanadischen Gäste im „Claims Cafe“ begeistern, obwohl ich einen Frischkäse dazu nehmen musste, da es im Yukon keinen Quark gab, geschweige denn Brimsen. In Wien wird Butter mit Brimsen (Schafskäse) vermischt, fein gehackte Kapern, Sardellen und Schalotten, eine Prise Kümmel, etwas Senf, Knoblauch zerdrückt und mit Salz und Paprika nach Geschmack verrührt – falls zu trocken, etwas Öl oder Bier hinzufügen. Auf dunkles Brot streichen und mit Schnittlauch und eventuell gehacktem Ei servieren.

MATALA

Das war unser erstes Lokal in Berlin. Ich hatte keine Ahnung vom Kochen, und meine Mutter schickte mir das „Kronen-Zeitung“-Kochbuch. Ich habe es noch immer und schau gelegentlich rein. Allerdings war meine Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin, eine Köchin von Beruf, und somit wusste ich, wie’s schmecken sollte. Meine Lieblingsspeise als Kind bei Oma war Kartoffelsuppe mit Steinpilzen, das gab es oft nach dem Krieg – Kartoffeln holte Opa mit dem Rucksack beim Bauern und die Pilze im Wald.

NOCKERLN

Auch eine Speise, mit der man viel erfinden kann, aber Eiernockerln hab’ ich doch noch am liebsten. Das konnte meine Oma – es ist das Einfachste, aber man muss es können. Die Nockerln dürfen nicht zu hart sein und die Eier nicht zu trocken.

OCHSENSCHLEPP

Noch eine Lieblingsspeise – man kann nicht viel falsch machen, und es schmeckt immer gut. Der Schwanz vom Ochsen wird in Stücke geschnitten und gedünstet mit Weißwein, Wurzelwerk, Zwiebel, Lorbeerblatt, Pfefferkörnern, Nelken, Thymian, dazu Nockerln oder Knödel.

PARIS BAR

Michel Würthle hat nach dem „Exil“ und dem Anfang des „Ax Bax“ die „Paris Bar“ übernommen und gleich einen großen Erfolg gehabt. Bei meinen Berlinaufenthalten aus dem Yukon wurde ich oft eingeladen, ein paar Tage dort zu kochen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe auch noch einiges vom damaligen Koch gelernt. Vor allem, nicht die Nerven zu verlieren...

QUARGEL

Das ist ein Käse, der mir im Ausland immer abgegangen ist. Vor allem esse ich ihn so gerne, weil er fettlos ist und nicht dick macht. Es ist ein kleiner runder, stark riechender Käse, der berühmteste ist der Olmützer Quargel – ein Sauermilchkäse mit Rotschimmel. Man soll ihn abliegen lassen, bis er weich ist und ordentlich riecht, dann auf ein Roggenbrot mit Butter legen und mit Kümmel und mildem Paprikagewürz und eventuell etwas Jungzwiebel bestreuen. Herrlich.

RESTLESSEN

In den Restaurants haben wir samt den Kellnern immer alles aufgegessen, was noch nicht verkauft war, damit ich am nächsten Tag wieder etwas Neues auf die Speisekarte setzen konnte.

SULZ

Ich mache jetzt ganz viel Sulz, in Deutschland Sülze genannt. Bei uns in der Steiermark werden noch Schweins- und Kalbsfüße verkauft, und so kann man aus allem ein Sülzchen machen, das auch noch schön aussieht.

TOPFENHALUSCHKA

Eine Speise, meist aus Topfen (Quark), Nudelteig in unregelmäßigen Flecken, Sauerrahm, Speck, Grammeln (Grieben) und Gewürzpaprika. Man kann das variieren. Wichtig ist, den Topfen mit dem Nudelteig und Rahm zu vermischen und zwischen diesen Schichten den Speck oder Schinken oder was immer verteilen und im Backrohr überbacken.

UHUDLER

Das ist eine wilde rote Traube, aus der auch Wein gemacht wird. Im Burgenland hat fast jeder Bauer vor seinem Haus einen Uhudler-Weinstock.

VENEZIANISCHE EIER

Das sind zwei Eier im Glas, das heißt, man kocht die Eier sechs Minuten, gibt sie kurz ins kalte Wasser, danach schält man sie und legt sie in ein passendes Glas. Gleichzeitig röstet man eine kleine, in Scheiben geschnittene Zwiebel in Butter und legt die gerösteten Zwiebel über die Eier. Auch diese Art kann man variieren, indem man Sardellen oder Kaviar auf die Eier gibt. Das ist dann russisch ...

WURSTSCHÜSSERLN

Pariser Wurst einen halben Zentimeter dick schneiden und ungeschält rasch auf beiden Seiten anbraten, wobei sie sich schüsselförmig wölbt. Mit beliebigem Gemüse füllen – zum Beispiel jungen Erbsen, Spinat etc. – und ein Spiegelei obenauf setzen. Mit Kartoffelschmarren oder Salat servieren.

XÖCHTS

Wienerisch für Pökelfleisch. Geselchtes, wie es auch heißt, ist in jeder Form in der Wiener Küche vorhanden. Die Schinkenfleckerln sind vielleicht das Bekannteste, sie schmecken mir auch am besten. Das ist klein gewürfeltes Geselchtes, abgeröstet mit etwas Zwiebel und Knoblauch und vermischt mit kleinen Nudelflecken.

YUKON TERRITORY

Dort lernte ich, Wildlachs vorzubereiten und im „Claims Cafe“ zu braten. Zehntausende von Lachsen schwammen den Yukon River rauf, und es waren so viele, dass sie als Hundefutter verwendet wurden. Jetzt ist alles vorbei, der Lachs wurde bereits vor der Mündung ausgefischt. Diesen Lachs werde ich nicht vergessen, er war wunderschön und hat auch gut geschmeckt. Seither esse ich kaum noch Fisch.

ZÜNGERL

Jede Art von Zunge ist für mich eine Delikatesse – der Geschmack und die Konsistenz des Fleisches sind delikat. Ich esse sie in jeder Form, zum Beispiel als gepökelte Kalbszunge, kalt in Essig und Öl. Oder frische Rinderzunge in pikanter Sauce mit Sardellen, Zwiebel und Zitrone. Auch ein Schweinszüngerl kann wunderbar schmecken.

- Lust auf mehr kulinarisches ABC? Was Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen über ihre Liebe zum Essen verrät, finden Sie hier. Was Regisseurin und Autorin Doris Dörrie am liebsten knuspert, erzählt sie hier.

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