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Neuberliner. Evgeny Vikentev, Küchenchef im Restaurant "Hamlet & Jacks" in St. Petersburg, hat in Charlottenburg das Restaurant "Cell" eröffnet.

© promo

Kulinarische Entdeckungen in Berlin: Das jüngste Gericht

Levantinische Köfte, Pizza frittiert oder aus Sauerteig, scharfe Sichuan-Nudeln: Zehn empfehlenswerte Neueröffnungen für jede Gelegenheit.

In St. Petersburg ist das Restaurant "Hamlet & Jacks" eine sehr angesagte Adresse. Dessen Inhaber, der Koch Evgeny Vikentev, hat jetzt in Berlin das "Cell" in Charlottenburg eröffnet - und mit Küchenchef Simon Dienemann einen Experten für ausgefeilte Gourmetküche engagiert. Aber auch jenseits von Fine-Dining gibt es viel zu entdecken. Wir haben ein paar Neueröffnungen der letzten Zeit getestet, haben scharfe Nudeln probiert, ein frittiertes Snickers als Dessert genossen und haben uns angeschaut, wie jetzt in der ehemaligen "Restauration 1900" am Kollwitzplatz gekocht wird. Hier unsere Auswahl.

Liu Chuan Chuan Xiang & Nudelhaus - chinesisch

Brandneu und sensationell gut – sofern man mit der Schärfe klarkommt: Verschiedene handgezogene Nudelsorten unterschiedlicher Dicke und Konsistenz werden im Baukastenverfahren mit Chili-Öl-basierten Saucen, Frühlingszwiebeln und Koriander serviert. „Normalscharf“ bedeutet, dass sich nach dem zweiten Bissen ein Taubheitsgefühl im Gaumen einstellt, was nicht ungewöhnlich ist für die Sichuan-Küche. Statt eines Brennens schmeckt man dann die fruchtig-aromatische Chili, das knoblauchschwangere Öl und die ätherische Frische der Kräuter. Erst seit Kurzem geöffnet, aber mittags immer rappelvoll mit vorwiegend chinesischen Gästen. Warten lohnt sich, die Gäste bleiben nicht lang, das helle, vom Pandabären inspirierte Interieur tut da sein Übriges hinzu. Für Entdecker!

Mitte, Kronenstr. 72, tägl. 11.30–15 Uhr, Mi–So 15–22 Uhr

Malafritta - frittierte Pizza

Die Idee, eine Pizza zu frittieren, klingt pervers, ist aber original neapolitanisch. Populär wurde der Street-Food-Klassiker in der Nachkriegszeit, als das Holz zum Heizen der Pizzaöfen knapp wurde. In Berlin bekommt man ihn jetzt in einer Bude neben dem Netto. Dort blubbert Fett in einem großen Topf. Darin schwimmen die Teigtaschen, die mit Mozzarella, Tomate, Ragù und allerhand anderem gefüllt sind. Nach drei Minuten sind sie außen knusprig und innen weich. Vorsicht beim Reinbeißen! Ist sauheiß, diese Kalorienbombe. Wer danach noch Hunger hat: Ein frittiertes Snickers gibt’s als Dolce.

Kreuzberg, Kottbusser Damm 1, Di–Do 12–22.30 Uhr, Fr+Sa 12–23.30 Uhr

Streetfood-Klassiker neu entdeckt: Frittierte Pizza im "Malafritta".
Streetfood-Klassiker neu entdeckt: Frittierte Pizza im "Malafritta".

© promo/Malafritta

Mitu - italienisch

Ziemlich groß, mit langem Tresen und viel Platz, der sich aber selten füllt. An der Atmosphäre liegt es nicht, das hat schon viel von einer modernen Trattoria. Vielleicht ist es der selbst gesetzte Anspruch, beste Produkte so reduziert wie möglich zu präsentieren. Das greift bei Prenzlauer-Berg-Familien, die einfache Pizza suchen, noch nicht richtig. Schade. Allein der Schinken lohnt den Besuch: zart und nussig, man schmeckt die Qualität. Aber er kommt sehr puristisch daher, das irritiert vielleicht. Sperrig auch das andere Angebot: die Pizza eher eine fluffige Focaccia, die Bolo und Lasagne aus bestem Piemonteser Bio-Rind, aber etwas unterwürzt. Das gibt Raum, die Qualität zu schmecken – der Kenner wird es mögen. Dazu handverlesene Weine und sehr gutes Grillangebot.

Prenzlauer Berg, Danziger Str. 35, Mo–Sa ab 17 Uhr, miturestaurant.de

Cell - gourmet-flexitarisch

Das wird man eine Überraschung nennen dürfen: Da kommt Evgeny Vikentev, ein junger, in St. Petersburg offenbar berühmter Koch nach Berlin, eröffnet mit viel Geld ein schickes Restaurant – und haut dann nicht in den Kaviar rein, sondern lässt seine Leute streng gemüselastig und ausgetüftelt nach den Regeln der neuen Berliner Schule kochen, ein Menü halb, das andere ganz vegetarisch; ab und an kommen auch mal Curry oder geschärfte Barbecue-Aromen vor. Küchenchef Simon Dienemann lässt handwerklich natürlich nichts anbrennen, ist aber stilistisch erkennbar noch auf der Suche. Köstlich ist der rosa Hirschrücken mit Schwarzkohl, Kürbis und Mandarinen-Vinaigrette, und auch das knappe Steinpilz-Tiramisu mit Mirabellen setzt Dessert-Maßstäbe. Sommelier Pascal Kunert hat eine große Weinkarte zusammengestellt, die auf allzu Schräges verzichtet. Angenehme Atmosphäre, der vordere Raum sehr laut.

Charlottenburg, Uhlandstr. 172, Di–Sa ab 18 Uhr, cell.restaurant

Im Restaurant "Cell" in der Uhlandstraße in Charlottenburg kocht Küchenchef Simon Dienemann gemüselastig und ausgetüftelt nach den Regeln der neuen Berliner Schule.
Im Restaurant "Cell" in der Uhlandstraße in Charlottenburg kocht Küchenchef Simon Dienemann gemüselastig und ausgetüftelt nach den Regeln der neuen Berliner Schule.

© promo/Cell

Kokio - koreanisch

Wer das „Angry Chicken“ in Kreuzberg mag, wird das kleine, versteckt in einer Nebenstraße liegende „Kokio“ lieben: laut, aber weniger überdreht im Ambiente, dafür fokussierter auf etwas, was sich bei jungen Koreanern offensichtlich großer Beliebtheit erfreut – Chi-Maek, was so viel bedeutet wie Hühnchen und Bier. Womit das Angebot eigentlich schon beschrieben ist. Hühnchen (man bestellt ein ganzes oder ein halbes mit oder ohne Knochen) wird in handgerechte Teile portioniert, kräftig paniert und knusprig-saftig frittiert. Dazu wählt man eine Sauce, die darübergegossen wird. Ohne schmeckt das schon sehr intensiv, mit Yangnyum, der koreanischen Sweet-Chili-Sauce wird das Ganze zu einem nicht unattraktiven Aromen-Overkill. Bier oder Sake helfen beim Neutralisieren, allein die Saucen sind so klebrig, dass man die Finger kaum mehr vom Glas lösen kann. Sehr speziell!

Prenzlauer Berg, Hagenauer Str. 9, Di–Sa 17.30–24 Uhr, So 16–22 Uhr, kokioberlin.com

Hühnchen mit Aromen-Overkill. Das "Kokio" macht dem "Angry Chicken" geschmacksintensive Konkurrenz
Hühnchen mit Aromen-Overkill. Das "Kokio" macht dem "Angry Chicken" geschmacksintensive Konkurrenz

© promo/Kokio

Palsta - nordische Weinbar

Die Lage dieser Weinbar am Rande des Schillerkiezes ist phänomenal: Man läuft aufs Tempelhofer Feld zu mit seinen ehemaligen Rollbahnen und aktuellen Gartenprojekten. Genau dort passt das „Palsta“ auch hin, denn der Name ist finnisch und heißt: Schrebergarten. Da wächst Grünes, da trinkt man ein Glas zusammen, am liebsten so naturnah wie möglich. Die Weinkarte ist entsprechend dominiert von sogenannten Naturweinen, es gibt auch eine schöne Auswahl an Schäumern, ergänzt durch dänischen Cider, umsichtig eingeschenkt von der finnischen Wirtin Viivi Haussila-Seppo. Ihr dänischer Küchenchef Filip Sondergaard, der schon mit Victoria Eliasdottir im „Dottir“ als Souschef kochte, zaubert dazu wunderbare Tellerchen auf den Tisch, fermentiertes Gemüse, Fischfrikadellen mit Gurkensalat oder Garnelentatar mit Kohlrabi.

Neukölln, Oderstr. 52, Mi–So 15–23.30 Uhr, palstawinebar.de

Nordisch-gemüselastige Küche und Naturweine im „Palsta“ in Neukölln.
Nordisch-gemüselastige Küche und Naturweine im „Palsta“ in Neukölln.

© promo/Palsta

Simsim - levantinisch

Dienstagabend, Schneeregen, fieskalter Wind: Knallvoll ist es trotzdem, nur ein Platz an der Bar ist noch übrig im „Simsim“. Das heißt auf Arabisch Sesam – und Tahini, also Sesampaste, ist dann auch gleich satt im cremigen Hummus, in dem viel Zitronensaft die feiste Nussigkeit aufbricht. Eine raffinierte levantinische Küche serviert man in dem schwer angesagten Restaurant am Kollwitzplatz, wo gut 30 Jahre lang Königsberger Klopse und Eisbein die Karte prägten. Als die „Restauration 1900“ eröffnete, winkten noch Margot und Erich Honecker dem Festzug zur 750-Jahr-Feier Berlins. Heute gibt’s Köfte vom Holzkohlegrill. Wie alle Gerichte sind die eine Spur feiner gewürzt, ohne den wuchtigen Charme der Küche des östlichen Mittelmeers zu verleugnen. Wuchtig sind auch die Preise – die Köfte kosten 16 Euro. Besonders sind die komplexen und meist lang gereiften Weine des Chateau Musar aus dem Libanon.

Prenzlauer Berg, Husemannstr. 1, simsim-restaurant.de

Das "Simsim" in den Räumen der ehemaligen "Restauration 1900" am Kollwitzplatz tischt levantinische Spezialitäten auf und lädt seine Gäste zum Teilen ein.
Das "Simsim" in den Räumen der ehemaligen "Restauration 1900" am Kollwitzplatz tischt levantinische Spezialitäten auf und lädt seine Gäste zum Teilen ein.

© promo/Simsim

Bar Brass - Bistro im Skulpturenforum

In aller Stille hat an der Charlottenburger Spree ein Restaurant eröffnet, das gleich in vielfacher Hinsicht eine Entdeckung ist. Die „Bar Brass“ liegt im Skulpturenforum der Bildgießerei Noack, wo Kunstwerke von Anselm Kiefer, Tony Cragg oder Georg Baselitz, aber auch die Berlinale-Bären ihre endgültige Form annehmen. Man kann Kunst im Skulpturenmuseum und der Werkstattgalerie beschauen und danach im lichten Gastraum an Tischen Platz nehmen, die früher einmal Werkbänke der Bildgießerei waren. Dass zwischen der Metallschmelze und einem kühlen Bier kein weiter Weg liegen soll, war schon Maxime des Firmengründers Hermann Noack I. Daher richtete er, damals noch in Friedenau, im Keller des Nachbarhauses eine Kneipe ein. Hermann Noack IV. hat mit der „Bar Brass“ nun sein eigenes Bistro, in dem Kunst und Künstler, Kunstfreunde und Kulinariker zusammenfinden können. Küchenchef Reza Danabi kocht mittags ein günstiges Menü für 15 Euro und bietet am Abend eine schöne Auswahl an französisch regional inspirierten Vorspeisen und Haupttellern. Der Kalbskopf schmilzt zwischen weichen, knusprigen Graupen und eingelegten Radieschen, wunderbar saftig rollen sich Tranchen vom Iberico-Nacken neben wildem Broccoli und Blumenkohlmousse. Sorgfältige, noch wachsende Weinauswahl mit Interesse für Biodynamisches. Sehr angenehmer Service.

Charlottenburg, Am Spreebord 9, tägl. 10–23 Uhr, barbrass.de

Die „Bar Brass“ im Skulpturenforum der Bildgießerei Noack in Charlottenburg.
Die „Bar Brass“ im Skulpturenforum der Bildgießerei Noack in Charlottenburg.

© promo/Bar Brass

Barra - Weinbar

Kalte Abende liegen vor uns. Da wächst die Sehnsucht, unkompliziert einzukehren, am liebsten in eine Weinbar mit Küche. Dieses Genre treibt wunderbare Blüten. Jüngst ist das „Barra“ in der Neuköllner Okerstraße hinzugestoßen, keinen Kilometer vom „Palsta“ (siehe 6) entfernt. Dort ist das Team nordisch, im „Barra“ von der Brexit-Insel, beide Weinbars setzen auf Flaschen, die der Naturweinszene zuzurechnen sind. Im „Barra“ sitzt man gut, der aufmerksame Service lässt jeden Wein probieren und die Küche mit kleinen Tellern zum Teilen macht Freude. Der perlende Pet Nat aus Tschechien (eine Cuvée aus Müller-Thurgau, Riesling und Welschriesling) harmoniert mit Radicchio, Birne und Young-Buck, einem Blauschimmelkäse aus Nordirland. Frucht und Würze des roten „Sur le Fil“ aus Grenache und Syrah balanciert Winzer Thomas Jullien am Ventoux animierend aus, wunderbar zum Blood Cake. Die Kastaniensuppe mit Shimeji-Pilzen und Datteln wärmt wie ein Kaminfeuer. Die Produkte stammen von sorgfältig arbeitenden Produzenten, wie etwa die frei laufenden Bio-Hühner aus Uelzen, die zu Tandoori-Spießchen werden. Sehr entspannt, ohne jeden Schnickschnack. Eine Entdeckung ist auch der Baron Bigod, Britanniens einziger Rohmilch-Brie. Und bevor es irgendwann doch wieder hinausgeht, heben wir noch einen zarten Whisky, als Reverenz an die schottische Küchencrew. Die kommt von der Speyside, der Heimat eleganter Single Malts.

Neukölln, Okerstr. 2, Do–Mo, ab 18.30 Uhr, barraberlin.com

Gazzo - neo-neapolitanisch

Auf der Suche nach der besten Pizza Berlins wird man in diesem Kreuzköllner Ecklokal mit dem obligatorischen Neon-Schriftzug über der Tür nicht fündig. Wenn es um die derzeit angesagteste Pizza geht aber vielleicht schon. Eine angesagte Pizza, was soll das sein? Zum Beispiel eine aus selbst angesetztem Bio-Sauerteig, belegt mit angeröstetem Grünkohl, karamellisierten Zwiebeln und geräuchertem Filone-Käse – herzhafter ist die mit Salsiccia vom Schwäbisch-Hällischen Schwein auch nicht. Vorweg und danach wird die Regional-Karte gezogen, etwa mit Burrata und geradezu rauscherzeugendem Softeis von italienischen Exil-Büffeln, die in Brandenburg weiden. Selbst die Toilettensituation ist im „Gazzo“ hip, weil ironisch gemeint: Zu italienischen Opernarien starrt man auf eine Gardasee-Fototapete. Doch kaum hat man den letzten Schluck Naturwein (was sonst?) getrunken, kommt auch schon die Rechnung. Nach anderthalb Stunden muss der Tisch für die nächsten Gäste freigemacht werden – das ist der Preis des Hypes.

Neukölln, Hobrechtstr. 57, Di–So 17–22 Uhr, gazzopizza.com

Sauerteig-Pizza im "Gazzo" im Neuköllner Schillerkiez
Sauerteig-Pizza im "Gazzo" im Neuköllner Schillerkiez

© promo/Gazzo

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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