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Auch wenn Goethe sie nicht mochte: Klöße sind großartig.

© picture alliance / ZB

Klöße: Weimarer Klassiker

Ohne Kloß nix los. Wenn zu den Festtagen die Gans auf den Tisch kommt, dürfen die Kartoffelkugeln nicht fehlen. Ein Report aus Thüringen.

Knödel oder Kloß, das ist zurzeit die große Frage. Eine Glaubensfrage, genau wie beim Kartoffelsalat: Die einen schwören auf Mayonnaise, die andern auf Essig und Öl. Die einen auf Semmeln, die andern auf Kartoffeln. Ich gehöre zur Kloßfraktion. Semmelnknödeln (so heißen sie seit Karl Valentin) sind meist schwer und kompakt, wie ein Laib Brot, noch dazu ein altes, auf die Größe einer Boulekugel zusammengeschnurrt. So liegen sie auch im Magen. Bei uns gibt’s zur Weihnachtspute immer Klöße. So gut wie roh: die Klassiker aus Thüringen.

Da es sich hier um eine Glaubensfrage handelt, war es wohl nicht zufällig ein Pfarrer, der als Erster ein Rezept für den Thüringer Kloß aufschrieb, um 1810 herum. Da war die Kartoffel in Deutschland noch ein ziemlich junges Gemüse, für dessen Anbau sich der Alte Fritz und Karl August von Sachsen-Weimar, Goethes Freund und Förderer, starkmachten.

200 Jahre später ist es nun ein selbst ernannter „Kloß-Pfarrer“, der der Thüringer Spezialität zu ähnlichem Ruhm wie der Bratwurst verhelfen will: Matthias Gose, von Hause aus Historiker, bietet einschlägige Kochkurse an, ist Mitglied des „Freundeskreises Thüringer Klöße“ und hat gerade zusammen mit Torsten Laudien das „Kleine Thüringer Kloßbuch“ verfasst. Ein echter Fan.

Natürlich gibt es das Büchlein in der „Kloß-Welt“ in Heichelheim zu kaufen. Der Ort vor den Toren Weimars ist so etwas wie die Hauptstadt der Kartoffelkugel, hier wird sie in der „Ablig Feinfrost GmbH“ millionenfach produziert, verpackt und schockgefroren, hier wird sie verkauft und serviert und im angeschlossenen Museum geehrt. Das hat die Ministerpräsidentin persönlich 2011 eröffnet.

In diesem kulinarischen Heimatmuseum findet man so ziemlich alles, was es zum Thema gibt, von der Ansichtskarte bis zur Kartoffelpresse – Trauerklöße und DDR-Comics, Kloßmarie und Rezepte, einen begehbaren Kloß und eine hölzerne Kugelbahn, die den ganzen langen Prozess demonstriert: Das Waschen und Schälen, das Reiben und Pressen, das Kochen und Mischen, das Formen und Sieden und schließlich das Essen. Eine Kloßkochschule gibt’s (auf Anfrage) natürlich auch.

Ohne Manfred Krug wär’ das alles nicht passiert. Auf der verzweifelten Suche nach einer Kartoffelkloßpresse, nachdem seine alte kaputtgegangen war, kam der Schauspieler 1995 am Stand der Firma auf der Grünen Woche vorbei: Im Westen fand er partout keinen Ersatz. Und Weihnachten ohne Thüringer Klöße ist für Familie Krug offenbar wie für andere Ostern ohne Eier. Also schalteten die Heichelheimer eine Suchanzeige. Daraufhin bekamen sie so viele Quetschen zugesandt, dass sie nicht nur Manfred Krug eine überreichen konnten, sondern beschlossen, eine Ausstellung aufzubauen, die im Laufe von fast zwei Jahrzehnten zur ganzen „Kloß-Welt“ wuchs. An deren Eingang der Brief des Schauspielers hängt, in dem er sich „von ganzem Herzen“ bedankt. Im neuen Onlineshop ist die Kloßpresse der größte Renner. Selbstmachen ist wieder angesagt.

Da in Weimar und Umgebung kein Weg an Goethe vorbeiführt, steht der alte Geheimrat natürlich auch hier – als Pappaufsteller – zum Empfang bereit. Dabei gehörte er, was nicht verschwiegen wird, gerade nicht zu den Fans des „Kließes“. Der Schriftsteller war italophiler Hesse und Bewunderer der feinen französischen Küche. Von Thüringer Kost hielt er nicht viel, von den Klößen noch weniger. Sie waren ihm zu roh. Seine Abneigung führte zu Tränen bei der Schwiegertochter und zur Kündigung der Küchenhilfe. Die war in ihrem Stolz gekränkt.

Goethes Vorwurf an die Thüringer: „Dass sie die Natur nehmen und die Notwendigkeit der Kunst außer Acht lassen.“ Was nur beweist, dass der Dichter keine Ahnung hatte. Weil er selbst nie in der Küche stand. Die Herstellung des Thüringer Kloßes ist eine hohe Kunst. „Ein Sonntag ohne Klöße/verlöre viel von seiner Größe“, heißt es hier. Ein Festtagsessen ist der „Gleeß“ schon allein deshalb, weil kein Mensch an einem ordinären Montag Zeit hätte, ihn zu produzieren. Denn das braucht Zeit, Kraft und guten Rat. Voilà:

Gebot Nummer eins: Mehlig sei die Kartoffel. Da der Thüringer Lehmboden besonders stärkehaltige Erdäpfel gedeihen lässt, wurde der fast rohe Kloß hier und nicht anderswo geboren. Die kleisternde Stärke ist es nämlich, die ihn – ganz ohne Ei – zusammenhält.

Gebot Nummer zwei: Die Mischung muss stimmen. In einem Thüringer Kloß stecken zwei Drittel rohe, ein Drittel gekochte (natürlich geschälte) Kartoffeln. Dazu ein wenig Salz. Das war’s. Wie fein man die Kartoffeln reibt, ist Geschmackssache. Der rohe Anteil verleiht dem „Hütes“ oder „Hebes“, wie er auch genannt wird, auf jeden Fall seinen rauen Biss. Genau das Richtige für Reibekuchenfans.

Gebot Nummer drei: Pulvertrocken muss die geriebene Masse sein. Dazu braucht man starke Muskeln oder, siehe oben, eine Kartoffelkloßpresse. In der Heichelheimer Ausstellung stehen verschiedene Exemplare. (Ein eigenes Kloßpressemuseum gibt es übrigens auch, in Großbreitenbach.) Pfiffige Menschen behelfen sich mit Wäscheschleuder oder Entsafter. So oder so sollte man die geriebenen Kartoffeln vorher in ein Leinensäckchen füllen. Und die kostbare Pressflüssigkeit auffangen! Denn die Stärke, die sich nach einer Weile absetzt, kann man zur Masse geben, dann klebt’s noch besser. Und jetzt das Ganze schön auflockern.

Gebot Nummer vier: Die gekochten, gestampften Salzkartoffeln müssen noch heiß mit den rohen vermischt werden. Und zwar schnell und kräftig, damit die Masse „vorkleistert“. Am besten macht man das mit dem „Zwirl“, wie der aus Weihnachtsbaumresten geschnitzte fünfarmige Quirl heißt. Fans schwören darauf. Mit feuchten Händen Klopse formen und schön glatt streichen.

Gebot Nummer fünf: Leicht und locker sei der Kloß. Dafür hatte der Thüringer eine geniale Idee: In Butter oder Schmalz geröstete Weißbrotwürfel werden in die Mitte gedrückt. Dadurch entsteht im Innersten ein Hohlraum, der nicht gegart werden muss. Ansonsten finge der Kloß womöglich an, von außen zu zerfleddern und zäh zu werden, während er innen noch gar nicht durch ist. Außerdem sorgen die Bröckchen für einen knusprigen Kontrast.

Gebot Nummer sechs: Er soll im Salzwasser ziehen, nicht kochen! Sonst zerreißt es den empfindsamen Kloß. Damit er blütenweiß bleibt und nicht grünlich anläuft, geben manche Köche Essig ins siedende Wasser. Oder Schwefel in die Kartoffelmasse. Am besten testet man diese erst mal mit einem Probekloß: Wenn er im Wasser auseinanderfällt, mit etwas Kartoffelstärke nachhelfen. Er ist fertig, wenn er oben schwimmt. In der Regel dauert das nur zehn Minuten.

Gebot Nummer sieben: Heiß sei er. Abgießen und dampfend servieren.

Gebot Nummer acht: Der Kloß muss schwimmen. Die Soße ist wichtiger als das Fleisch. Denn das ist ja das Beste an ihm: dass er ein „Saucenauftunkwunder“ ist, wie der Physiker Thomas Vilgis ihn nennt. Die Flüssigkeit, die den Kartoffeln entzogen wurde, wollen sie jetzt wieder haben, der Kloß saugt die Soße auf wie ein Schwamm. Neben Ente und Gans sind Sauerbraten, Gulasch und Rouladen denn auch Lieblingsbeilagen. In Thüringen kann man sich den „Hebes“ auch nur mit Soße, ohne Fleisch bestellen. Satt wird man auf jeden Fall. Im Gasthaus zum goldenen Einhorn in Mechelroda, dem berühmtesten aller Kloßrestaurants der Gegend („Nido“ und Johann Lafer waren auch schon da) wird zum pfundschweren Kloß nach Bedarf Soße nachgegossen.

Vielleicht erklärt dies Goethes Abneigung auch etwas besser. „Die Welt ist wie ein Sardellensalat“, lautete die Philosophie des Dichterfürsten, „er schmeckt uns früh, er schmeckt uns spat.“ Und zu Sardellen, überhaupt Fisch passen weder Soße noch Kloß. Einzige Ausnahme: Der Silvesterkarpfen.

Gebot Nummer neun: Nicht schneiden – reißen! Wer sich dem Klops mit dem Messer nähert, begeht einen Fauxpas. Man reißt ihn mit der Gabel auseinander. Was natürlich nur geht, wenn er zart ist.

Gebot Nummer zehn: Man muss den Kloß nicht selber machen. „Lieber Gott, nein!“, ruft Carmen Krüger, die Königin des Berliner Gänsebratens. Das Klößemachen sei eine Kunst, zu der viel Übung gehört. „Die Thüringer machen das nebenbei, aber wir doch nicht. Das muss sich niemand antun.“ Die Köchin greift zu den (sächsischen) Klößen von Friweika, deren Fertigkloßteig auch im großen Tagesspiegel-Test vom Oktober als Sieger abschnitt (gefolgt von den beiden Thüringer Herstellern Henglein und Landmanns). „Die kann keener besser machen.“

In Weimar greift man natürlich zu den tiefgekühlten Heichelheimer Sonntagsklößen, die man auch in Berliner Supermärkten wie Edeka, Rewe und Kaufland findet sowie in immer mehr Bioläden. Sie kommen ohne Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe aus, auf jeder Tiefkühlpackung steht nicht nur die Kartoffelsorte, sondern auch der Name des Bauern, der sie gesät und geerntet hat und das – Thüringer – Feld, auf dem er das tat. Auf du und du mit deeinem Kloß.

Und zum Nachtisch gibt’s die Hymne des 14-jährigen Fritz: „Thüringer Klöße, die mag ich sehr/Ich bin danach ganz süchtig.“ Fast vier Millionen Menschen haben sich den trashigen Schmachtfetzen auf Youtube schon angesehen. Den sollte man sich nicht entgehen lassen.

Kloß-Welt, Hauptstraße 3, Heichelheim. www.thueringer-kloss-welt.de

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