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Beim Köchetreff "Future Tank" ging es um die Frage "Was essen wir 2030". Teamarbeit war gefragt, hier im Bild (v.l.) Tobias Held, Nils Henkel und Daniel Schmidthaler

© Kai Röger

Ist das die Zukunft der Küche? Teil 1: Köche am Rande der Apokalypse

Beim "Future Tank" erkochten Spitzenköche ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage "Was essen wir 2030?"

Von Kai Röger

Wenn jemand weiß, was Gäste gerne essen, und wie man ihre Wünsche erfüllt, dann sind es Köche. Ihr Gespür für das, was gefällt, entscheidet über ihren Erfolg. Besonders die Spitzengastronomie spielt in diesem Bereich eine Vorreiterrolle. Oft sind es deren Hochglanzküchen, in denen neue Kochtrends geboren werden, verfügen sie doch über Produkte und technische Mittel, auf die andere nicht oder noch nicht zugreifen können. Wenn man also wissen will, was wir in zehn Jahren wohl essen werden, liegt es nahe, die zu fragen, die an vorderster Front an der Zukunft der Speisen mitwerkeln. Genau das versuchten die Blogger des Online-Magazins „Sternefresser“ mit ihrem Koch- und Expertentreff „Future Tank“.

Den dystopischen Zukunftsprognosen von Überbevölkerung, Klimaerwärmung und Ressourcenverknappung begegneten die Köche mit Gerichten aus alternativen Eiweißquellen, Fleisch war tabu
Den dystopischen Zukunftsprognosen von Überbevölkerung, Klimaerwärmung und Ressourcenverknappung begegneten die Köche mit Gerichten aus alternativen Eiweißquellen, Fleisch war tabu

© Kai Röger

Die Zukunft wird nicht rosig - fürchten die Köche
Im Berliner Restaurant „Golvet“ traf sich im Herbst ein illustrer Kreis von Spitzenköchen, um Visionen zu erkochen und zu diskutieren – „Culinary Fiction“ könnte man diesen Blick in die gastronomische Zukunft nennen. Die scheint nicht besonders rosig zu sein, wenn man den Prognosen der versammelten Köche folgt: Überbevölkerung, Ressourcenknappheit und Klimawandel waren die beherrschenden Themen beim „Future Tank“. Fleisch war ein No-Go, vielmehr standen Fleischersatz und alternative Eiweißquellen bei allen Köchen auf dem Plan. Hausherr Björn Swanson versuchte zum Beispiel, aus dem veganen Hack von „Beyond Meat“ eine „Fake-Meat-Bouillon“ für eine in sich stimmige Kombination aus Kohl und Kürbis zu ziehen und zeigte damit eindrucksvoll, wo die Grenzen der Surrogatküche liegen: Schon bei der Zubereitung stöhnte sein Team, dass sich der Klops aus Erbsenprotein so gar nicht wie Fleisch verhalten wolle. Röstaromen ließen sich schwer, bouillonähnliche Aromen gar nicht reproduzieren. Pilze hätten wohl bessere Ergebnisse erbracht.

"Beyond" von Björn Swanson, Golvet, 1 Michelin-Stern: In sich stimmige Kreation aus Kürbis und Kohl, bei der die "Fake-Fleisch-Bouillon" die kochtechnischen Grenzen von Fleisch-Surrogaten offenbarte.
"Beyond" von Björn Swanson, Golvet, 1 Michelin-Stern: In sich stimmige Kreation aus Kürbis und Kohl, bei der die "Fake-Fleisch-Bouillon" die kochtechnischen Grenzen von Fleisch-Surrogaten offenbarte.

© Kai Röger

Soja und Algen ersetzen Fisch und Fleisch
Ganz anders der Ansatz von Nils Henkel, Zwei-Sterne-Filigrantechniker von der Burg Schwarzenstein im Rheingau, der schon seit Jahren in seinem vegetarischen Menü „Flora“ auf typische Ersatzprodukte verzichtet. Mit viel Handwerk emanzipiert er seine Gemüseküche von Fleischvergleichen. Sein Beitrag „Soja und Algen“ war von hohem Aufwand geprägt, die Liste aller Komponenten, von selbstgemachtem Seidentofu aus deutschen Bio-Sojabohnen über Dashi, Emulsionen, Gels und Biskuit auf Algenbasis bis zur Miso-Creme aus dem Schwarzwald, war lang, zeigte aber auch optisch, dass Gourmetküche mit Algen- und Sojaprodukten möglich ist, wenn man denn keine Mühen scheut.

Alles selbst hergestellt und gewohnt aufwendig in Szene gesetzt: Soja und Algen von Nils Henkel, Restaurant Schwarzenstein, 2 Sterne
Alles selbst hergestellt und gewohnt aufwendig in Szene gesetzt: Soja und Algen von Nils Henkel, Restaurant Schwarzenstein, 2 Sterne

© Oliver Wagner für sternefresser/ promo

Sebastian Frank verzichtet schon länger auf klassische Edelprodukt
Den souveränsten Beitrag zum Thema Fleischersatz liefert der Berliner Sebastian Frank: Seit Jahren umgeht er tierische Edelprodukte in seinem avantgardistischen Menü, ohne dass man etwas vermissen würde. Statt Brust und Filet verwendet er im „Horváth“ lieber die Haut und das Fett eines Huhns. Beim „Future Tank“ zeigte er erfolgreich, wie man mit gereiften Kräuterseitlingen und Pflanzenfetten sogar Gänselebercreme und Leberkäse nachbauen kann.

"Kräuterseitlinge und Apfelessig" von Sebastian Frank, Horváth, 2 Michelin-Sterne: die vegane Foie Gras aus fermentierten Kräuterseitlingen war eine fleischlose Weiterentwicklung eines Ganges aus seinem Menü, bei dem Frank bereits komplett ohne Leber dem umstrittenen Original sehr nahe kommt.
"Kräuterseitlinge und Apfelessig" von Sebastian Frank, Horváth, 2 Michelin-Sterne: die vegane Foie Gras aus fermentierten Kräuterseitlingen war eine fleischlose Weiterentwicklung eines Ganges aus seinem Menü, bei dem Frank bereits komplett ohne Leber dem umstrittenen Original sehr nahe kommt.

© Kai Röger

„In der Zukunft stehen uns nicht mehr so viele Luxusprodukte zur Verfügung, insbesondere Fleisch und Fisch gilt es adäquat zu ersetzen“, sagt Frank. „Durch die Ressourcenverknappung werden Ersatzprodukte wichtiger, die müssen aber aus dem gemacht werden, was ohne Aufwand im Überfluss bei uns wächst, also saisonale Produkte, die haltbar gemacht werden oder eben Kräuterseitlinge, die jeder selbst auf Kaffeesatz ziehen kann.“

Sebastian Frank aus dem Berliner „Horváth“ servierte beim „FutureTank“ die vegane Version eines Leberkäses auf Basis von Kräuterseitlingen, mit Rauch aromatisiertem Pflanzenöl, gerösteter Selleriesaat und Ingwersirup.
Sebastian Frank aus dem Berliner „Horváth“ servierte beim „FutureTank“ die vegane Version eines Leberkäses auf Basis von Kräuterseitlingen, mit Rauch aromatisiertem Pflanzenöl, gerösteter Selleriesaat und Ingwersirup.

© Kai Röger

Tobias Bätz aus dem mit zwei Sternen ausgezeichneten „Restaurant Alexander Herrmann by Tobias Bätz“ prognostizierte drastisch steigende Steuern auf CO2 und die damit verbundene Notwendigkeit zur Verringerung von Transportwegen. Seine Lösung: klimaneutrales Kochen, Verwendung heimischer Gemüse und müllvermeidende Kochtechniken. Wobei Bätz bei den „heimischen Produkten“ einen Trick anwendet, der durch seine Kooperation mit der Forschungseinrichtung „Klein Eden“ möglich wird: Die Aquaponikanlage des nahezu energieneutralen Tropenhauses ermöglicht den Anbau von Ingwer, Kurkuma, Galgantwurzel und sogar Kaffee, mit dem er einen Kürbis – „heimisches Superfood!“ – spannend in Szene setzte. Dass er dabei auch versuchte, Reste zu vermeiden und alle Teile der Pflanze irgendwie zu verwerten, führte allerdings zu einem Arbeitsaufwand, den kaum eine Küche wirtschaftlich wird leisten können.

Jemand, dem keine Mühen zu groß sind, einen Gedanken Wirklichkeit werden zu lassen, ist Andreas Rieger, noch bekannt als exponierter Autorenkoch im „Eins unter Null“, wo er drei Jahre lang die Küche geleitet hat. Seine Zukunftsprognose war extrem pessimistisch, sein Ansatz entsprechend radikal: Eine wiederverwendbare Bento-Box-ähnliche „Kapsel“ soll aus der Luft abgeworfen werden und Krisengebiete in einer Notsituation mit Nährstoffen versorgen können.

"Kürbis, Ingwer, Kurkuma, Galgantwurzel, Eigelb und fränkischer Kaffee" von Tobias Bätz, Restaurant Alexander Hermann by Tobias Bätz, 2 Michelin-Sterne: Klarer Vorteil für den, der ein Tropenhaus in der Nachbarschaft hat und daraus exotische Produkte aus praktisch klimaneutralem heimischem Anbau beziehen kann.
"Kürbis, Ingwer, Kurkuma, Galgantwurzel, Eigelb und fränkischer Kaffee" von Tobias Bätz, Restaurant Alexander Hermann by Tobias Bätz, 2 Michelin-Sterne: Klarer Vorteil für den, der ein Tropenhaus in der Nachbarschaft hat und daraus exotische Produkte aus praktisch klimaneutralem heimischem Anbau beziehen kann.

© Kai Röger

Die nötige Proteinbasis gewann Rieger aus Wasserlinsen, auch bekannt als auf dem Teich schwimmende Entengrütze. „Ein schnell wachsender Nährstofflieferant, einfach zu reproduzieren und vielfältig zu verwenden“, sagt Rieger. Und auch wenn seine grünen Konsistenzwunder dank geschmackvoller Toppings gut genießbar waren, wünscht man der Menschheit eine andere Zukunft als eine, in der sie auf Riegers „Kapsel“ angewiesen ist.

Notfallration für Krisengebiete: Andreas Riegers "Kapsel" mit dehydrierter Wasserlinse
Notfallration für Krisengebiete: Andreas Riegers "Kapsel" mit dehydrierter Wasserlinse

© Oliver Wagner für Sternefresser/ promo

"Culinars Fiction" zeugt von der Verunsicherung vieler Köche, was sie noch servieren dürfen

Vermutlich ist die düstere „culinary fiction“ keine allzu belastbare Zukunftsprognose, liegt es doch im Wesen jeder Dystopie, dass sie eher die Ängste der Jetztzeit spiegelt, als dass sie annährend vorhersagt, was tatsächlich dereinst eintreten wird. Allerdings offenbarte der Gedankenaustausch eine tiefsitzende Verunsicherung: Köche sind sich ihrer Vorreiterrolle bewusst. Sie wissen, dass von ihnen verlangt wird, auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zu reagieren, wenn sie nicht zu Zielscheiben ideologischer Anfeindungen werden wollen. Die Frage, die sie beschäftigte, war daher weniger, was ihre Gäste in Zukunft essen wollen, sondern eher, was Köche dann überhaupt noch servieren können oder dürfen. Sinnbildlich für dieses Dilemma war der drastische Beitrag von Daniel Schmidthaler aus der „Alten Schule“ in Fürstenhagen: „Bäume, so lange es sie noch gibt, Nüsse, Schweineblut“ beschwor ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in kompromisslose Ultraveganer und rücksichtslose Billigfleischesser herauf.

Zum Glück kommt es ja meist anders, als man denkt, was der Blick auf das artverwandte Genre der Science Fiction beweist: Allen B-Movies zum Trotz wurde die Menschheit bislang weder von Aliens noch von der atomaren Apokalypse dahingerafft, vermutlich bleibt ihr ein Steak aus Entengrütze auch erspart.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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