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Star-Köchin Sarah Wiener.

© Promo

Interview mit Sarah Wiener: "Ich habe immer versucht, gegen zu halten"

Sarah Wiener ist Köchin, Unternehmerin, Buchautorin und TV-Star. Im Interview spricht sie über guten Geschmack, Schulabbrüche, Fernsehköche und über den Sinn des Lebens.

Von Kai Röger

Es ist ein regnerischer, kühler Tag. Sarah Wiener sitzt auf der Bank vor ihrer Bäckerei in Mitte. Der Wind pfeift ihr um die Ohren, Regentropfen mogeln sich am Vordach vorbei und lassen die Kleidung klamm werden. Sie stört es nicht. Auch nach eineinhalb Stunden Gespräch wirkt sie gut gelaunt und vital. Der Interviewer dagegen wird eine fiebrige Erkältung davontragen. 

In Ihrer gerade auf DVD erschienenen „arte“-Reihe „Sarah Wieners Erste Wahl“ sind Sie auf der Suche nach …, nach was eigentlich?

Klingt jetzt platt, aber ich war auf der Suche nach dem ursprünglichen Geschmack und was Qualität eigentlich bedeutet. Und zwar diesmal bei Grundnahrungsmitteln. Es ist ja so, dass wir inzwischen überhaupt keine Ahnung mehr von Qualität, Anbau, Züchtung und Produktionsbedingungen haben. Das ist uns ein Mysterium.

Sie reisen zum Beispiel nach Semmering zu Familie Schneidhofer. Was macht deren Apfel zu etwas Besonderem?

Es ist nicht dieser eine Apfel. Es ist die Art, zu wissen, dass es Tausende von verschiedenen Apfelsorten gibt, global aber nur noch zwei Dutzend in den Handel kommen. Die Geschmacksvielfalt ist verloren gegangen. Durch den Anbau in riesigen Monokulturen, haben wir beim Apfel inzwischen eine Situation, wie bei der Massentierhaltung: Gezüchtet, gespritzt und gedüngt mit dem alleinigen Ziel einer hocheffizienten Ausbeute.

Aber der Normaleinkäufer will doch lieber den Industrie-Apfel haben, ohne Flecken, ohne dicke Schale, dafür glänzend, süß und lange haltbar. Stört sich daran nicht nur eine kleine Elite?

Der Großteil ist auch lieber eine Würzbrühe aus dem Labor als eine Rindsbrühe aus Knochen. Die Agrarindustrie hat unseren Geschmack verbildet und manipuliert. Sie hat uns eingeredet, dass ein Apfel ein von Wasser aufgeblähter, großer, roter und immer makelloser Apfel sein muss. Daran stört sich nur eine kleine Elite, das stimmt. Denn es ist immer eine kleine Schicht, die auf Qualität und Ernährung achtet. Es sind nicht die Reichen, es sind nicht die Armen. Es ist keine Frage von Geld, es ist eine Frage von Bildung. Aber die gute Nachricht ist: Jeder der möchte, könnte kulinarische Elite sein.

Ist es auch für jeden finanziell möglich, Teil der kulinarischen Elite zu sein?

Das ist die Gretchenfrage. Es kann doch nicht sein, dass die letzten Aufrechten, die die Insel des guten Geschmacks verteidigen, jetzt auch den Mist der anderen essen müssen, weil es eine egalitäre Gerechtigkeit geben soll, in der Teile der Menschheit nicht besser essen dürfen als andere. Sollen denn alle vergiftet werden? Wenn wir in einer Welt leben, in der sich nur Menschen ab einem gewissen Einkommen gesunde, gute und nahrhafte Lebensmittel leisten können, stimmt doch am System per se etwas nicht, dann brauchen wir eben einen Systemwechsel. Fest steht: Wenn wir nicht den wesentlichen Eckpfeilern unserer Existenz folgen, wird unsere Zivilisation untergehen.

Ist das nicht eine recht hoffnungslose Aussicht für uns Menschen?

Wir haben eine gewisse Grenze überschritten und alles Machbare gemacht, ohne zu fragen, ob das Machbare auch gemacht werden sollte. Wir sind so verhaftet in kleinen Strukturen, in Angst und unserem Schulsystem, wo niemand gefördert wird, frei und verrückt alles auch mal anders zu denken. Für mich hat der Mensch noch gar nicht angefangen zu denken. So wäre es doch vorstellbar, dass wir uns mit anderen solidarisch zeigen, dass wir Werte propagieren als Maximierung von Knete.

Sarah Wiener mit Apfelbauer Julius Schneidhofer Senior.
Sarah Wiener mit Apfelbauer Julius Schneidhofer Senior.

© Arte

Sie haben die Rudolf-Steiner-Schule in Wien besucht. Wie hat Sie das geprägt?

Wahrscheinlich war es eher so, dass mich meine Schulabbrüche und dass ich von Schulen geflogen bin geprägt hat. Ich konnte mich nicht unterordnen, nie einfügen. Das kann ich heute noch nicht. Wenn man frei von beruflichen Regeln aufgewachsen ist und keinen normierten Weg geht, dann ist es zwar mühsam, aber man lernt auch, seinen eigenen Weg zu gehen. Und der ist natürlich viel kreativer, krummer und schiefer, faszinierender als eine Kopie von anderen Wegen. Es macht auch viel mehr Spaß.

Sehen Sie sich als freien Geist?

Ich würde da jetzt schreiben „Wiener lacht“. Selbst ich bin ja geprägt durch die Erziehung. Aber wenn Sie fragen, bin ich vielleicht weniger Ängsten und Normierungen erlegen als andere, um es mal so zu sagen.

Das klingt aber sehr nach Waldorf …

Auch ich bin neidisch, eifersüchtig, gierig. Und denke: Wieso wurde der und nicht ich gefragt, wieso haben Kollegen von mir ein Schloss oder einen Hubschrauber und ich hab noch nicht einmal meine Wohnung abbezahlt. Was stimmt denn nicht mit mir, dass ich nicht Jaguar fahre und warum bin ich nicht jeden Tag bei irgendeinem öffentlichen Sender zu sehen. Das hat eine Zeit lang an mir genagt. Bis ich gesagt habe: Ich könnt es ja, aber da ist mir meine Freiheit und meine persönliche Art durchs Leben zu gehen wichtiger. Ich bin nicht gewillt, den Preis zu zahlen, den die anderen bezahlen. Ich bin nicht gewillt, mich so stark zu prostituieren. Aber es gibt sicher auch Dinge, die ich mache, weil ich heiß darauf bin. Da könnte man vielleicht auch sagen: hmmmhh …

So etwas wie bei „Kerner kocht“?

Nein. Das hat Spaß gemacht. Und als es keinen Spaß mehr gemacht habe, habe ich gekündigt. Weil es irgendwann weder anarchistisch, noch neu, noch besonders und unsicher mehr war. Irgendwann war es nur noch glatt gebügelt und jeder dachte: „Ich bin hier der Größte.“

Eine Testosteronstrotzende Männerrunde?

Es war schon immer eine Männerwelt und ich hab versucht, da gegenzuhalten. Dass ich dann gekündigt habe, ist ja auch das Eingestehen meines Scheiterns. Dass ich gesagt habe: Ich will nicht Staffage sein, während andere sich produzieren. Ich möchte da jetzt ausdrücklich niemanden angreifen. Die Kollegen werden ja auch gefordert von der Redaktion, dem Sender, den Zuschauern. Und offensichtlich haben mich die Leute ja auch nicht vermisst. Sonst hätte es ja einen Sturm gegeben: Wir wollen die Wiener wieder haben! Insofern bekommt jeder das, was ihm zusteht. Das ist eine grausame Erkenntnis.

Haben sie da Federn gelassen?

Ich habe da klar Federn gelassen. Aber nicht so, dass ich flugunfähig geworden bin. Das ist doch der Spaß am Leben, herauszufinden, wer man ist, was man kann und dann weiter machen. Was für ein erbärmliches Leben ist das, nur eine gute Rente zu hoffen, um dann reisen zu können und Shuffleboard zu spielen. Man könnte noch zwanzig, dreißig Jahre länger arbeiten. In dieser Zeit könnte man die Welt aus den Angeln heben.

Sarah Wiener fordert die Rente mit 77?

Es geht nicht um Rente. Es geht um Inhalt, um Sinnhaftigkeit. Es geht darum, wie du in dieser Welt stehst und ob du in dieser Welt stehst. Es ist sicherlich nicht der Sinn des Lebens, dass man als Rentner jeden Tag ins Freibad wackeln kann. Sicher, es schadet auch niemandem. Aber es verändert auch nichts, es macht die Welt nicht besser.

Was könnte unserem Leben Sinnhaftigkeit geben?

Ich denke, es ist das A und O unserer Zivilisation wie wir uns ernähren. Wenn wir nicht wissen, was wir essen, wie wollen wir dann jemals etwas anderes, komplexeres beurteilen können? Unser ganzes Leben besteht aus Stoffwechsel. Für mich ist Ernährung die Säule der Menschheit. Ich will jetzt nicht den blöden Satz sagen, Du bist was Du isst, aber so ist es.

Da ist wieder dieses elitäre Denken: Wenn einer nur minderwertige Lebensmittel isst …

Lassen Sie uns das doch durchspielen. Also, da ist jemanden, der nur Mist isst. Warum tut er das?

Erstens weiß er es nicht besser, zweitens schmeckt er es nicht und drittens sagt er: Bessere Lebensmittel sind mir den Preis nicht wert, weil ich es - siehe zweitens - nicht schmecke.

Wenn er es nicht weiß, sollte es da nicht Aufgabe der Gesellschaft sein, den Menschen über Ernährung aufzuklären?

Das machen Sie zum Beispiel in Ihrer Sarah Wiener Stiftung.

Eben. Ich bilde Lehrer und Erzieher aus. Aber nicht nur das, alles was ich mache, zielt auf die Rettung des guten Geschmacks hin. Aber zurück zur Elite, die sie ansprechen. Ich habe davon ein ganz klares Bild: Diese ganzen Subventionen, die für Massentierhaltung, Monokulturen, genmanipulierte Mikroorganismen in Baumwolle, Mais und Soja flächendeckend von wenigen weltumspannenden Großkonzernen durchgedrückt werden, wem dienen diese Dinge? Meinen Sie, die dienen dem Menschen? Oder den Tieren? Der Natur? So dumm kann doch keiner sein! Wir leben in einer Abwärtsspirale der Qualität. Mit einer Landwirtschaft, die nur noch minderwertige Lebensmittel - ich würde eher sagen Nahrungsmittel - produziert, damit sich auch der letzte Arbeiter, Verkäufer, Lkw-Fahrer oder Kleinbauer beim Discounter das Ein-Euro-Neunzig-Händl leisten kann. Das System ist krank, und ich will dieses System nicht mehr unterstützen.

Das heißt?

Wir kaufen nicht bei Großkonzernen, wir kaufen keine stark industrialisierten Lebensmittel, wir versuchen, die Landwirtschaft und den Handel zu dezentralisieren. Wieso muss es überhaupt Strukturen geben, die Milliardäre hervorbringt. Das ist unappetitlich, verwerflich und widerlich. Wer sind die reichsten Leute in Deutschland? Die Aldi-Brüder, die billigst produzieren, die eine Monopolstellung haben und mittelständische Betriebe, Tante Emma Läden und kleine Produzenten platt machen. Es ist doch ein Wahnsinn, dass Privatpersonen zu Milliardären werden und andere nichts zu Fressen haben, die aber dann genau in solchen Läden einkaufen müssen. Aber eben nicht frische Lebensmittel, sondern sterilisierte, giftige und minderwertige Nahrungsmittel.

Was ist denn zum Beispiel an einem zur Effizienz gezüchteten Apfel aus Monokulturen giftig? Ist das nicht ideologischer Dünkel?

Es gibt überhaupt keine Untersuchungen über die Kreuzkontaminationen und es gibt auch keine weltweiten Untersuchungen, die fragen, wie viele Pestizide sie aufnehmen dürften, können, sollten, damit unser Immunsystem ein Leben lang gesund bleibt. Für mich ist es mittlerweile ein Qualitätszeichen, wenn ein Apfel ein Wurmloch hat. Dann weiß ich, er ist nicht gespritzt, weil kein Wurm so blöd ist, in einen pestizidgetränkten Apfel zu beißen. Nur wir machen das. Uns fehlen die Antennen und uns fehlt die Sensibilität, unsichtbare und geruchslose Gifte zu erkennen. Wir wissen nicht, wie viele Stoffe ein Apfel enthält, wie viele 100, 1000 Stoffe und wie sie wirken. Wir wissen nichts über unsere Ernährung. Alles was wir wissen, ist der Stand unserer Wissenschaft.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie im nächsten Leben Bäuerin werden möchten. Warum nicht schon jetzt, andere machen es doch vor …

Weil ich noch nicht fertig bin. Weil es zu wenige Menschen gibt, die unbezahlt, Lobbyistenfrei und parteipolitisch ungebunden über diese Dinge erzählen können und die eine Position haben, dass man ihnen zuhört. Das Schwierige für mich ist, dass ich nichts ändern werde, wenn ich das so Allgemein sage. Ich bin leider keine Intellektuelle. Aber ich hoffe, dass auch wenn ich es so einfach sage, es in der Welt ist und vielleicht wird es dann wachsen, so wie ein Hefeteig. Damit die zwei, drei, die noch da draußen sind, nicht so allein sind, und dass die dann sagen: Lasst uns doch die Zukunft einmal so denken, wie wir sie wollen. Weil wir jetzt anfangen müssen, die Welt zu retten.

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