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Essen wie Gott in Austria: bei FranzKarl im Bötzowviertel

© Mike Wolff

Eine Wienerin an der Spree: Naschmarkt Berlin

Kaiserschmarrn, Topfen, Obers – als Wienerin hat unsere Autorin Puderzucker im Blut. Hier zieht sie das Fazit einer süßen Recherche.

Wenn man wie ich aus Wien kommt, ist Berlin großartig. Keine falsche Freundlichkeit, keine pastellfarbenen Fassaden mit Schnörkeln, von denen man sich optisch überzuckert fühlt. Nur zwanglose Klarheit. Ich erinnere mich gut an meinen ersten Berliner Dialog. Ich kam vom Nachtzug aus Wien-West und wollte am BVG-Schalter eine Fahrkarte kaufen. Mir rutschte ein „Grüß Gott!“ heraus. Darauf die Frau am Schalter: „Ick grüß‘ keen Gott, denn der grüßt mir ja ooch nich.“ Da wusste ich: Hier bin ich richtig.

Dennoch kann Berlin für eine Wienerin furchtbar sein. Beim Essen nämlich. Genauer: bei den Süßspeisen. Für mich ist Süßes nicht einfach irgendetwas aus Zucker. Es ist eine Haltung zum Leben. Mehlspeisen, wie man in Wien sagt, sind nun mal Speisen, ob Marillenknödel, Topfengolatschen, Buchteln aus luftigem Hefeteig, mit Marmelade gefüllt. Mehlspeisen hat man früher an Festtagen gegessen, ob Kaiserschmarrn, Powidltascherl, Apfelstrudel. So wie die Schwaben die Maultaschen erfanden, um das Fleisch vor Gott zu verstecken, überschütteten die Wiener ihre Sünden mit Puderzucker und Vanillesauce.

Zu einer Wiener Kindheit gehörte es, mit der Patentante regelmäßig eine der Konditoreien aufzusuchen, die etwas wie „k.u.k.“ oder „Hofzuckerbäcker“ im Titel führen. Und dort die beste aller Mehlspeisen zu essen: die Kardinalschnitte. Gemacht aus Biskuit, süßem Eischnee und herber Kaffeecreme, bestäubt mit einer dicken Schicht Puderzucker. Das perfekte Zusammenspiel des Yin und Yang der Dessertküche: Fett und Zucker.

Berlin, die Stadt, die keinen Gott grüßt, kennt natürlich keine Kardinalschnitte. Wenn es, was selten ist, richtig gute Süßspeisen gibt, ist es meist französische Patisserie. Eine Zeit lang half mir das Café Einstein in der Kurfürstenstraße über die Runden. Der Kaiserschmarrn dort ist fluffig und nahrhaft. Dazu gibt es säuerliches Zwetschgenkompott, das von meiner Großmutter sein könnte. Deren Motto war übrigens: „Nur Männer, die Mehlspeisen mögen, sind gute Männer.“ Das Problem am Einstein war, dass es alle Exil-Wiener dorthin trieb. Die männliche Begleitung, mit der ich meinen riesigen Teller Kaiserschmarrn teilte (siehe meine Oma), wurde sofort nach Wien getratscht.

Inzwischen hat sich einiges getan. Es gibt den kleinen Restaurant-Laden „Felix Austria“ in Kreuzberg, wo man warmen Apfelstrudel bekommt oder Marillenknödel, mit süßen Semmelbröseln und zerlassener Butter. Und in Charlottenburg habe ich „Feines aus Österreich“ entdeckt, einen Stehimbiss. In einem Regal steht alles, was man als Wienerin braucht, Schokobananen, Manner-Schnitten, Pischinger Ecken.

Der Topfenstrudel ist ganz okay – und es gibt Punschkrapferl! Das sind mit rosaroter Glasur überzogene und in reichlich Rum getränkte Biskuitwürfel, bei denen einem sofort warm wird. Und die, glaubt man einem Satz, der Thomas Bernhard in den Mund gelegt wird, für einen bestimmten Typus Österreicher stehen: „Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken.“

Das süße Wien ist präsent in Berlin, nicht zuletzt in Form der Kette „Wiener Feinbäcker“. Wobei ich bis heute nicht verstanden habe, was daran wienerisch sein soll. Zum Sortiment gehören Schweinsohr oder Kokos-Quarkkuchen, auf einem Schild steht „Frische Schrippen“. Schrippen! Zwar bin ich nach 13 Jahren Berlin integriert und würde beim Bäcker niemals „Wecken“, „Semmeln“ oder gar „Kaisersemmeln“ bestellen, was Wolfgang Thierse uns aus dem Süden Zugezogenen unterstellt. Aber in einem Laden, der „Wien“ im Namen führt, langweilige Brötchen vorzufinden, löst bei mir das umgekehrte Wolfgang-Thierse-Gefühl aus: eine Schrippenkrise.

Ein anderes Problem sind in Berlin die Palatschinken, die ich am liebsten mit Topfen-Rosinenmasse gefüllt und im Rohr mit Milch überbacken habe. Im Sommer mit einer Kugel Vanille-Eis darin und geriebenen Walnüssen darüber. Nicht nur, dass es Palatschinken in Berlin meist nur auf Weihnachtsmärkten gibt und dann mit kaltem Apfelmus – sie werden einem auch stets als „der Palat-Schinken“ angepriesen. Als handele es sich um Fleisch und nicht um dünne Pfannkuchen, abgeleitet von den böhmischen „palacinky“.

Immerhin habe ich jetzt einen Konditorei-Ersatz gefunden, das „franz-karl“. Der Laden liegt im an Cafés nicht gerade armen Bötzowviertel, verborgen hinter einem Gerüst, das Haus wird gerade saniert. Ein heller Raum mit einem Tresen aus Beton, darauf eine Glasvitrine. Neben dem Schaufenster eine Sammlung aus Guglhupf-Formen, gegenüber ein Regal mit alten Porzellantellern. Man sitzt auf einer der schick abgeschabten Bänke, darauf liegen Kissen mit karierten Bezügen.

An die Wand ist mit schöner Schrift geschrieben, was Nicht-Österreicher immer schon wissen wollten, aber nie zu fragen wagten: „Rohrnudeln sind Buchteln“ – „Marillen sind Aprikosen“ – „Busserl sind kleine Gebäck-Küsse“ – „Powidl ist Zwetschgenmus“ – „Topfen ist Quark“ – „Obers heißt geschlagene Sahne“ – „Ribisel sind rote Johannisbeeren“.

Franz-Karl Kaufmann und seine Partnerin Nicole Böhme betreiben den Laden. Er ist Patissier aus Vorarlberg, trägt DJ-Ötzi-Bart und kariertes Hemd. Kaufmann hat viele Jahre in Hotels gearbeitet, in Amerika, Sri Lanka, den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Hyatt am Potsdamer Platz. Eine Zeit lang war er in Salzburg, da musste er ständig Salzburger Nockerl machen, aufgeschlagene Ei-Creme, zu Häubchen geformt und im Ofen herausgebacken.

Nicole Böhme kommt aus Hamburg vom Produktmanagment, im „franz-karl“ ist sie für das Betriebswirtschaftliche verantwortlich. Böhme, mit einer berufstätigen Mutter und den Torten von Coppenrath & Wiese aufgewachsen, weiß noch, wie sie mit Kaufmann in Berlin Kuchen essen war. Sie fand es okay, er rief bei jeder Torte mit Schokoladenüberzug: „Aber das ist doch keine richtige Sacher!“

Gemeinsam beschlossen sie, „Kuchenkultur aus Österreich“ nach Berlin zu bringen. Dazu gehören süß-sauer-mürbe Schnitten aller Art, je nach Jahreszeit mit Früchten, Kaufmann macht viel mit Esskastanien. Es gibt Dobos- und Prinzesstorte, New York Cheesecake und Linzer Torte mit ihrem schwer-nussigen Teig und der fruchtig-sauren Ribiselmarmelade. Als Wienerin bin ich kein großer Fan der oberösterreichischen Spezialität, aber mir fällt sofort der Reim ein, mit dem jedes österreichische Schulkind aufwächst: „Was sind aller Dichter Worte/ gegen eine Linzer Torte.“

Und natürlich „die Sacher“. Kaufmann macht sie, wie er es in der Ausbildung in einer Konditorei gelernt hat: mit Marillenmarmelade sowohl unter der Schokoladenglasur als auch in der Mitte. Sein Teig ist auf genau die Art trocken, dass das Ganze, wie es sich gehört, eine ordentliche Portion Sahne verträgt. Der Kaffee im „franz-karl“ ist von Bio Oval, es gibt ein Glas Leitungswasser dazu, wie in Wien. Und Samstagnachmittag macht Kaufmann Buchteln. Ich bekomme Heimweh, weil ich an die Buchteln aus dem legendären Wiener Café Hawelka denken muss.

Kuchenkultur, sagt Franz-Karl Kaufmann mit seinem breiten Vorarlberger Akzent, sei Qualität, Handwerk und Vielfalt. Die Vanillecreme kocht er selbst, den Teig für den Apfelstrudel zieht er von Hand. Böhme schnitzt die Äpfel. Charme und Schmäh gibt es zum Service gratis dazu. „Es fehlt in Berlin, dass einfach jemand einmal nett ‚Grüß Gott‘ sagt“, glaubt Kaufmann. Ich sage jetzt nichts, aber mir fällt ein, wie das österreichische Wort für „bezirzen“ lautet: „einkochen“. Und hin und wieder macht Franz-Karl Kaufmann Kardinalschnitten.

Felix Austria: Bergmannstraße 26, www.felixaustria.de; Feines aus Österreich: Leonhardtstraße 11; Franz-Karl: Bötzowstraße 15, Tortenbestellungen für Geburtstage etc. zwei Tage vorher möglich, www.kuchenkultur-franz-karl.de.

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