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Die Restaurantkritik: Irma la Douce: Gehoben-frankophile Küche mit Stil

Ein hoch ambitioniertes Tüftler-Team kocht hier mit klarer Linie und auch das Interieur hebt sich angenehm vom Chic der Potsdamer Straße ab.

Der Name des süßen Straßenmädchens Irma la Douce aus Billy Wilders Komödie von 1963 passt gut zu einem Restaurant in der Potsdamer Straße, die bei aller Gentrifizierung einen leichten Anstrich von Rotlicht immer noch in sich trägt. Den schlauchigen Raum mit den auffälligen Lampen unter der Decke und den vielversprechenden hohen Weinschränken ergänzt nun eine große Terrasse mit weiß gedeckten Tischen, die in seltsamem Kontrast stehen zum Shabby Chic vieler Passanten.

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Wir fanden ein trotz des Namens sehr männlich geprägtes Restaurant, sowohl beim ersten Besuch vor Corona als auch danach: Das Team um Betreiber Jonathan Kartenberg bringt viel Erfahrung mit aus der gehobenen Gastronomie. Küchenchef Michael Schulz kommt aus dem „Golvet“, hat aber auch schon im „Rutz“ und im „Vau“ gekocht, Restaurantleiter Sascha Hammer war vorher Sommelier im „Volt“.

Maskulines Team mit Fingerspitzengefühl: Küchenchef Michael Schulz, Chef Jonathan Kartenberg, Restaurantleiter Sascha Hammer
Maskulines Team mit Fingerspitzengefühl: Küchenchef Michael Schulz, Chef Jonathan Kartenberg, Restaurantleiter Sascha Hammer

© White Kitchen/promo

Die ostergrasgrüne mousseweiche Kräuterbutter zum köstlichen warmen, hausgemachten Brot gibt es noch. Beim ersten Mal gefiel uns das wohlschmeckende Eis, aus Rapsöl zum Beispiel, aus Hafer oder aus Entenleberterrine. Mit „Kaffeemutzen“, dunkelbraunen Quarkbällchen in der Größe von Marzipankartoffeln, begleitete es die im Normalzustand servierte Terrine; die erstaunliche Apfelkreation dazu bestand aus zwei Rechtecken, gefüllt mit sehr hellem Apfelmus, großzügig mit Crumble bestreut (21 Euro).

Die Küche zeigt auch in der Krise hohen Anspruch an sich

Superzart gegarter Lachs, nicht zu viel davon, aber hinreißend schmelzig, wurde am Tisch mit einem Dashi, einer japanischen Fischbrühe, übergossen (19). Rasch war klar: Hier ist ein hoch ambitioniertes Tüftler-Team am Werk.

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Die Karte hat sich seitdem nicht grundlegend verändert. Die schlanke Rinderbratwurst wird noch als Zwischengang angeboten – mit variierten Zutaten. Sie trug drei zarte Tupfer vom violetten Senf, die offensichtlich aus der Schule kamen, nach der man Essen eher ahnen als damit die Zunge beschweren soll.

Spürbarer waren die exzellent gewürzten Kartoffelwürfel und das Carpaccio vom Kalbskopf dazu (18 Euro). Der Hauptgang mit sehr saftigem Bresse-Huhn in der Hauptrolle und Ragout als Begleitung war etwas weniger verästelt. Auf der saisonalen Karte glänzte bei unserem zweiten Besuch nach dem Shutdown marinierter und erstaunlich knuspriger Pulpo mit Chili, Zitrone und Oliven (15).

Knuspriger Pulpo mit Zitrone, Chili und Oliven
Knuspriger Pulpo mit Zitrone, Chili und Oliven

© Elisabeth Binder

Konzentration auf das Wesentliche

Großgarnelen waren optisch zu einer Art Hütte zusammengefügt um eine Insel aus lauwarmem Ratatouille-Salat herum (23 Euro). Dazu passten kleine Auberginen-Stege. Das schmeckte gut und wies in eine neue Richtung: klare Linien statt komplizierter, fragiler Kunstwerke.

Deren Zeit ist wohl erst mal vorbei in einer Ära, die der Konzentration aufs Wesentliche zu einem Comeback verholfen hat. Am besten war die Bouillabaisse (43 Euro) aus dem saisonalen Angebot, aufgegossen am Tisch mit einem Fond, der aussah wie Bratensauce und einen unglaublich intensiven Krustentier-Geschmack in sich barg. Feine kleine Muscheln, ein Stückchen Loup de Mer, Rotbarbe, Pulpo, Garnelen, teils mit Schale, was das Essen nicht einfacher macht. Dazu gab es Croutons mit Sauce Rouille, erfrischenden Salat aus feinen Fenchelstreifen und Orangenfilets sowie kräftigen Kartoffel-Oliven-Stampf. Spezialitäten der Saison gibt es leider nur an bestimmten Tagen, am besten vorher nachfragen.

Bester und exklusivster Gang: die Bouillabaisse
Bester und exklusivster Gang: die Bouillabaisse

© Elisabeth Binder

Die umfangreiche Weinkarte lädt man sich hier aus hygienischen Gründen per QR-Code aufs Smartphone. Eine Seite allein ist dem Prestige-Champagner gewidmet, für den man auch mal einen halben Tausender loswerden kann. Es gibt aber auch ordentliche offene Weine wie Cuvée Irma von Hensel in der Pfalz (0,1 für 5 Euro) – eine Einladung für sparsame Nachbarn. Denn hier fehlen betuchte Touristen, pilgernde Foodies und reisende Geschäftsleute offensichtlich besonders schmerzlich. Das beabsichtigte Spiel mit den Kontrasten zwischen den Abgründen der Potsdamer Straße und der Haute Cuisine hätte gerade bei solchen Gästen durchaus Funken sprühen lassen können. Corona hat es zum Spiel mit dem Feuer gemacht.

- Irma la Douce, Potsdamer Straße 102, Tiergarten, Tel. 23 00 05 55, geöffnet Mo – So ab 18 Uhr, irmaladouce.de

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