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Die Restaurantkritik: Clärchens Ballhaus – bodenständige Küche in Bestform

Der neue Koch kommt aus der Spitzengastronomie, aber er versteht, die Tradition des Hauses zu wahren, und serviert mit einfachen Mitteln große Küche.

Von Kai Röger

Das „Clärchens“ ist eine der raren Kultstätten in Berlin, die über Generationen ihre Anziehungskraft bewahrten – vor allem als Tanzwirtschaft. Stolz verkündet das Transparent über dem Eingang zum Ballsaal: „100 Jahre Hochbetrieb!“ Erst mit der Coronakrise kam dieser zum Erliegen.

Seit Juli hat Clärchens Ballhaus unter neuer Führung wieder geöffnet. Der Caterer Berlin Cuisine ist sensibel vorgegangen, hat kaum wahrnehmbar modernisiert, die Patina und der ruinös-mondäne Charme blieben erhalten. Maßgebliche Veränderungen sind einzig aus der Küche zu vermelden. Die steht jetzt unter der Leitung von Simon Dienemann, der als zweiter Mann bereits unter Kolja Kleeberg und Tim Raue diente, zuletzt im „Cell“ eine hochtechnisierte, extrem verkopfte High- End-Küche vertrat.

Einfach und gut: Rollmops mit süß-sauer eingelegten Zwiebeln
Einfach und gut: Rollmops mit süß-sauer eingelegten Zwiebeln

© Kai Röger

Im Clärchens macht Dienemann nun die Rolle rückwärts: Statt Fine Dining mit Menüzwang serviert er Berliner Klassiker wie Königsberger Klopse, Buletten, Blutwurst mit Kartoffelstampf und Zander auf der Haut gebraten. Das akkurat wie ein Kissen aufgeblasene „Bühler Schnitzel“ (23,90 Euro) kürt er sogar zu „Clärchens Spezialität“. Die Zeichen stehen also auf handfeste Küche ganz im Stile der früheren Bewirtschaftung. Allein deren Pizza ersetzt er durch knusprig aussehende Flammkuchen, mal mit grünem Speck, Birne und Rucola (10,90 Euro), mal mit Pfifferlingen, Frühlingszwiebeln und Gouda (12,90 Euro).

Puristisch gut: Radieschen mit Ziegenquark, würzigem Rapsöl und gerösteten Brotkrümel, die nach Koriander, Anis und Kümmel schmecken
Puristisch gut: Radieschen mit Ziegenquark, würzigem Rapsöl und gerösteten Brotkrümel, die nach Koriander, Anis und Kümmel schmecken

© Kai Röger

Dienemann scheint bemüht zu sein, niemanden auszuschließen – was ganz der Tradition des Hauses entspricht, das bei seinen Tanzabenden nie eine strenge Türpolitik verfolgte. Es gibt kleine Happen „Von der Theke“ oder „Zur Stärkung“, darunter ein stramm süßsauer austarierter Rollmops (1,50 Euro), Buletten (je 4 Euro) oder Spreewaldgurke mit frischem Meerrettich (3,50 Euro). Aber auch Überraschendes wie die „Radieserl“ (5,50 Euro) mit festem Ziegenquark, kräftigem Rapsöl und ausgebackenen Gewürzbrotkrümeln. Hier zeigt Dienemann, dass er mit einfachsten Mitteln Großes erreichen kann. Und dass er das Clärchens nicht in ein Trendrestaurant verwandeln will: Die Radieschen liegen mit ihren Wurzelenden auf dem Teller, alles wirkt so puristisch, dass man sich in einem Nova-Regio-Restaurant à la „Nobelhart & Schmutzig“ wähnen könnte. Aber der Snack kommt ohne Geschichten von Bauer und Ziege aus, er begeistert in stiller Einfachheit.

Sehr leicht mit viel Geschmack: Dienemanns locker interpretierte "schwäbische" Maultasche
Sehr leicht mit viel Geschmack: Dienemanns locker interpretierte "schwäbische" Maultasche

© Kai Röger

Als echte Vorspeise gibt es einen – kaum merklich – in Sherry gebeizten Hering auf Kartoffelpuffer (10,90 Euro) mit angenehmem Säurespiel, aber etwas schlaffen Kartoffelplätzchen. Herausragend dagegen die Schwäbische Maultasche (7,90 Euro) mit kräftiger Rinderbrühe. Wahrer der reinen Lehre mögen in der grob gehaltenen Kalbfleisch-Spinatfüllung und dem fluffigen Nudelteig ein Sakrileg sehen. Mir aber gefiel Dienemanns leichtere Version um Längen besser. Auch die auf Vorspeise gezielte Portionsgröße empfand ich nicht als Manko. Aber sie kann zu Irritationen führen: Bei Hausmannskost denkt man an Handwerkerportionen, die gibt es hier nicht.

Klopse in fein: mit süß-saurer Rote Bete, kräftiger Kapernsoße und Pankobrösel-Crunch - die Stilistik der Hochküche lässt grüßen
Klopse in fein: mit süß-saurer Rote Bete, kräftiger Kapernsoße und Pankobrösel-Crunch - die Stilistik der Hochküche lässt grüßen

© Kai Röger

Bei den Königsberger Klopsen (17,90 Euro) liegen drei kleine saftige Bällchen auf dem Teller. Dazu kräftig gebuttertes Kartoffelpüree und eine tüchtig mit Eigelb legierte Kapernsoße, dazu gibt’s süßsaure warme Rote-Bete-Würfel – keine Wundertat, aber angenehm mutig abgeschmeckt.

Von mehr als gutem Handwerk zeugt der vegane Gang „Gulaschkraut“ (17,90 Euro): Hier wird Spitzkohl nicht der Mode nach praktisch roh und stark verbrannt, sondern mürbe in einem nach Liebstöckel und Kümmel duftenden Gulaschsud mit krossen Bratkartoffeln und feinsinnig dressiertem Salat serviert. Ein guter Gang, der Vegetarier nicht abspeist.

Das "Gulaschkraut": hocharomatische vegane Küche ohne Trendgedöns (apart serviert: Salat und Bratkartoffeln, nicht im Bild zu sehen)
Das "Gulaschkraut": hocharomatische vegane Küche ohne Trendgedöns (apart serviert: Salat und Bratkartoffeln, nicht im Bild zu sehen)

© Kai Röger

Die Arbeitsteilung in der Spitzengastronomie hat vermutlich verhindert, dass aus Dienemann nicht nur ein guter Koch, sondern auch ein profunder Patissier werden konnte. Seine Desserts, Eis mit eingelegten Erdbeeren und Minze und Berliner Luft in roter Grütze (beide 5,90 Euro), sind üppig portioniert, bleiben aber unspektakulär.

Unspektakulärer Abschluss: Erdbeeren mariniert mit Minze und Holunder, dazu gibt es Milcheis
Unspektakulärer Abschluss: Erdbeeren mariniert mit Minze und Holunder, dazu gibt es Milcheis

© Kai Röger

Die Weinkarte hat an Qualität gewonnen, sie bleibt rein deutsch und nicht abgehoben kalkuliert. Der Hauswein, ein Weißburgunder von Tesch, passt praktisch zu allen Speisen, der Preis von 26 Euro die Flasche (0,1l 4,50 Euro) tut noch nicht weh. In alter Tradition wird hier aber eh Bier getrunken, der halbe Liter vom Fass gerade noch unter 5 Euro, daran wird man sich auch andernorts gewöhnen müssen.

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Gelegentlich Livemusik aber der Schwof pausiert - ambitionierte Küche im Ballsaal unter der Diskokugel
Gelegentlich Livemusik aber der Schwof pausiert - ambitionierte Küche im Ballsaal unter der Diskokugel

© Kai Röger

Der Bruch bleibt also aus, die Tradition wird auf höherem Küchenniveau weitergeführt. Hochbetrieb herrscht nicht mehr wegen der Tanzabende – die sind im Ballsaal noch ausgesetzt –, sondern weil zwei schöne Terrassen zur Verfügung stehen. Auch der Saal selbst mit seinen weit auseinanderstehenden Holztischen und gelegentlicher Livemusik bleibt ein Anziehungspunkt.

– Clärchens Ballhaus. Auguststr. 24. Mitte, Mo–Do 17–23, Fr 17–1 Uhr, Sa 12–1 Uhr, So 12–23 Uhr, Tel. 555 78 54 40, claerchensball.haus

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