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Munter abgemischte Klassik-Hitparade im „Lausebengel“ mit Forelle Müllerin, belegten Stullen und Berliner Happen

© augustaleigh.com

Die edle Seite der Klopse: Hits der Berliner Küche, neu gecovert

Klopse, Eisbein, Broiler, Pfannkuchen – immer mehr Restaurants interpretieren die klassische Berliner Küche zeitgemäß. Ein Überblick.

Von Kai Röger

In das früher mal prunkvolle Stadtbad Oderberger Straße ist ein Hotel eingezogen, sein über verwinkelte Gänge erreichbares Restaurant befindet sich in den turmhohen Räumen eines ehemaligen Heizkraftwerkes. Auf drei Ebenen vermischen sich dort historische Elemente mit modernem Design, der Stilmix mit Neoninstallationen wirkt ein bisschen aufgesetzt, funktioniert aber: Die Geschichte des Ortes bleibt präsent, aber der Muff des vormals ruinösen Gemäuers ist einer lebendigen Atmosphäre gewichen.

Historisches Heizkraftwerk in neuem Gewand passt zu frisch renovierten Klassikern der Berliner Küche
Historisches Heizkraftwerk in neuem Gewand passt zu frisch renovierten Klassikern der Berliner Küche

© Oderberger/ promo

Die Küche unter Patrik Thiele, ehemals Souschef im „La Soupe Populaire“, folgt alldem und serviert frisch renovierte Klassiker: manchmal überambitioniert wie bei dem an sich sehr gut abgeschmeckten „Häckerle“ unter Apfelgelee und Kartoffelcrumble oder dem dekonstruierten Frikassee mit Hühnerleber und Morchelschaum, besser bei geradlinig und präzise abgeschmecktem Linseneintopf mit Belugalinsen und sehr guten Königsberger Klopsen (hier grüßt Tim Raue) mit Kapernbeeren, Roter Bete und einer leichten Sauce mit Süßwein.

Die Klopse von Patrik Thiele erinnern nicht von ungefähr an Tim Raues Vorlage: Thiele war lange Sous-Chef im "La soupe Populaire"
Die Klopse von Patrik Thiele erinnern nicht von ungefähr an Tim Raues Vorlage: Thiele war lange Sous-Chef im "La soupe Populaire"

© Oderberg/ promo

Klassiker zu modernisieren, ist keine leichte Aufgabe. Das Risiko, durch Kapriolen und Mätzchen die Erinnerungen an Kindheitsgeschmäcker grotesk zu verzerren, ist hoch. Man kennt das aus der Musikbranche, wenn die Hits der Jugendzeit mit Rumms und Tschingdarassa zu seelenlosen Glitzerzombies aufgeblasen werden.

Klassiker sind eine Herausforderung

Aber es gibt eben auch die Perlen: gut aufgelegte Coverversionen, denen es gelingt, die Essenz eines Liedes in einen neuen Kontext zu rücken und wiedererlebbar zu machen. Jede Zeit hat ihren Sound, die neuen Arrangements bescheren den großen und kleinen Melodien ein ewig verlängertes Leben. Genau das gilt auch für die Klassiker aus Omas Küche. Denn wie könnte sich ein Koch mehr profilieren als damit, einem Küchenklassiker mit individuellem Tuning einen eigenen, zeitgemäßen Dreh zu geben?

Der erfolgreichste Hit der Berliner Küche dürften nach Anzahl der Neuinterpretationen die Königsberger Klopse sein. In der „Kantine Kohlmann“ kommen sie sehr fluffig, als raffiniert mit Schnittlauchöl und frittierten Kapern abgemischte Version. Im „The Grand“ jazzt Tilo Roth Kaninchenklopse mit Foie gras in bombastische Höhen. Und im „Peter Paul“ werden sie als Tapas geradlinig in einem kurzweiligen Medley aus deutschen Klassikern zum Teilen serviert.

Königsberger Klopse zu modernisieren hat Tradition in Berlin

Die Wurzel der Klopse liegt in Ostpreußen, aber schon 1845 findet sich in Henriette Davidis’ Werk „Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feine Küche“ ein Rezept, das noch heute dem Berliner Standard entspricht: Gemischtes Hack, Eier, eingeweichte Brötchen und Sardellen (alternativ eingesalzener Hering) werden zu Klößen geformt und in einer mit Mehl gebundenen Kapernsoße gegart – ein zeitloser Gassenhauer, der nicht nur in Kantinenküchen rauf und runter gespielt wird. Michael Hoffmann coverte im „Margaux“ die Klopse schon um 2005 und hievte sie mit wenig mehr als herausragend guten Grundprodukten und handwerklicher Perfektion auf Gourmetniveau. Stefan Hartmann ergänzte das Arrangement zunächst in seinem besternten „Hartmanns Restaurant“, später als Küchenkonzepteur im „Hotel am Steinplatz“ um frittierte Kapern.

Klopse á la Tim Raue - jetzt in der Neuauflage in der "Villa Kellermann" in Potsdam
Klopse á la Tim Raue - jetzt in der Neuauflage in der "Villa Kellermann" in Potsdam

© Nils Hasenau/ promo

Die berühmtesten Klopse stammen von Tim Raue - Dank Barack Obama

Den größten Hit aber landete Tim Raue im „La Soupe Populaire“, indem er Zunge, Kalbsbries und Kalbskopf ins Spiel brachte und den Klops durch Senf- und Tabasco-Schärfe mit einem Uptempo-Beat unterlegte – ein Erfolgsrezept, das von Barack Obama geadelt wurde und gerade in der „Villa Kellermann“ in Potsdam die Wiederauferstehung feiert. Dort widmet sich Raue zusammen mit Statthalter Christopher Wecker einer Küche, die sich von Kindheitserinnerungen inspirieren lässt und Pichelsteiner Eintopf, Eisbein mit Sauerkraut und Bienenstich einer Generalüberholung unterzieht.

Der Broiler aus dem "Tisk": saftig und kross dank modernem Küchenhandwerk
Der Broiler aus dem "Tisk": saftig und kross dank modernem Küchenhandwerk

© juni-fotografen.de/ promo

Dieser Erfolgsspur folgen auch das „Tisk“ und das „Lausebengel“, bei deren Ausrichtung Kristof Mulack als Kücheninspirator mit viel Liebe zu Berliner Klassikern den Taktstock schwang: Der Broiler im „Tisk“ beweist eindrucksvoll, wie dank moderner Gartechnik ein hinlänglich erprobter Klassiker noch krosser und saftiger gelingt. Und im „Lausebengel“ werden nicht nur eine der besten Forellen „Müllerin Art“ und eine exzellente Currywurst serviert, sondern auch ein gelungenes Crossover zweier Ur-Berliner: der Kasseler-Kebap.

Endlich! Ein Döner Kebap mit hochwertigem Fleisch aus artgerechter Haltung im "Kebap with Attitude"
Endlich! Ein Döner Kebap mit hochwertigem Fleisch aus artgerechter Haltung im "Kebap with Attitude"

© Florian Kottlewski/ promo

Die Modernisierer machen auch vor Döner und Pfannkuchen nicht halt

So hat die neue Lust am Modernisieren endlich auch zwei Aushängeschilder der Berliner Küche erreicht, die dringend einer Renovierung bedurften: Der Döner erlebt im „Kebap with Attitude“ in einer, sagen wir, Folk-Version mit hochwertigem Fleisch aus artgerechter Haltung den Durchbruch ins seriöse Fach. Dazu gibt es noch einen Special-Remix mit Trüffel – Humor haben sie ja, die Hipster aus Mitte. Wie auch „Sugarclan“ aus Friedrichshain, die den Pfannkuchen als „Berliner“ in zig Versionen auf Neuzeit trimmen: Mit Rhabarber und Vanille-Grieß oder Kokos-Vanille mit Pfirsich erlebt der fettgebackene Klassiker ein funky Comeback, und „Omas Apfelkuchen“ mit Butterstreuseln ist eine würdige Reminiszenz an all jene, die zeitlose Vorlagen für spannende Coverversionen geschaffen haben.

Sie nennen die Pfannkuchen "Berliner", sonst aber machen sie vieles richtig: Sugarclan
Sie nennen die Pfannkuchen "Berliner", sonst aber machen sie vieles richtig: Sugarclan

© sugarclan/ promo

Adressen:

Oderberger
Die Klopse sind sehr gut, weil geschmacklich nah an der Vorlage. Bei manch anderer Neuinterpretation wird die Kreativschraube aber leicht überspannt.
Prenzlauer Berg, Oderberger Str. 57

Kantine Kohlmann
Nicht überkandidelte Neuinterpretationen von Senfeiern bis Currywurst und Bodenständiges wie Rauchkohl mit Bergkäse, Rehgulasch und Wurzelgemüsetatar in angenehm designtem Ambiente mit Patina. Nebenan Barbetrieb.
Kreuzberg, Skalitzer Str. 64

The Grand
Eigentlich liegt der Fokus auf Steaks, aber Tilo Roth genießt bei Vorspeisen und Zwischengerichten Beinfreiheit für kreative Ausflüge, Kaninchenklopse mit Foie gras inbegriffen.
Mitte, Hirtenstr. 4

PeterPaul
Cooler Laden mit geradlinig zubereiteten deutschen Klassikern im Tapasformat.
Mitte, Torstr. 99

Villa Kellermann
Oma-Küche im Raue-Style – großartig!
Potsdam, Mangerstr. 34

Tisk
Schick-legeres Bar-Restaurant mit auf gutem Niveau perfektionierten Berliner Klassikern.
Neukölln, Neckarstr. 12

Lausebengel
Angenehm gestylte Eckneipe mit Craftbier und punktgenau auf jetzt getrimmten Berliner Spezialitäten zum Nachbarschaftstarif.
Kreuzberg, Grimmstr. 21

Kebap with Attitude
Hier wird an einer nachhaltigen Zukunft des Döners geschraubt – sehr hip und mit steigender Tendenz nach oben.
Mitte, Gipsstr. 2

Sugarclan
Sie heißen „Pfannkuchen“ und nicht „Berliner“! Sonst aber haben sie hier vieles richtig gemacht und die neue Vielfalt macht Spaß.
Friedrichshain, Grünberger Str. 85

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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