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Glasklar müssen sie sein, um Drinks richtig zu kühlen und angemessen zu verwässern: perfekte Eiswürfel.

© i-stock

Das Geheimnis cooler Drinks: Formel Eis

Der ideale Würfel ist frei von Luft, kristallklar und schmilzt nur langsam. Ein solches Wunder schaffen nur Profis – und Maschinen

Für einen kristallklaren Eiswürfel mit exakt fünf Zentimetern Kantenlänge braucht es zwei Pumpen, einen Kran, eine Motorsäge – und viel Geduld. Ehe Sezgin Albayrak, 40, und Sebastian Ebenberger, 41, mit ihrer Motorsäge einen 150 Kilo schweren Eisblock zerkleinern, muss also einiges passiert sein. Der gelernte Hotelfachmann und der studierte Künstler betreiben zusammen die „Eisfabrik“ in einem Gewerbegebiet in Alt-Tempelhof. Seit ein paar Jahren tüfteln sie schon an hochwertigem Eis und beliefern Bars in Berlin. Die Nachfrage steigt.

Heißkalte Mischung

Gleich tritt Ebenberger die tägliche Runde mit dem Lieferwagen an. Im Sommer ist nicht nur die Nachfrage größer, auch die Herstellung ist schwieriger. In den Produktionsräumen der „Eisfabrik“ ist es entweder ziemlich heiß, etwa da, wo die Hoshizaki-Maschinen übereinandergetürmt stehen, die die Eiswürfel mit einer Kantenläge von 3,2 Zentimetern frieren, und zusammen mit der Lüftung und der Klimaanlage einen ziemlichen Lärm veranstalten. Oder es ist ziemlich kalt. In der Eis-Kühlkammer stapeln sich die Zehn-Liter-Säcke bis zur Decke, in einer anderen stehen Eisblöcke, 150 Kilo schwer und kristallklar. Sie landen irgendwann, auf fünf Zentimeter Kantenlänge zugeschnitten, in den Tumblern der besten Bars.

Ein großer Eiswürfel schmilzt langsamer als mehrere kleine. Bartender wie Laura Maria Marsueschke von der „Thelonius Bar“ in Neukölln stecken am liebsten Prachtstücke von fünf Zentimetern Kantenlänge in den Tumbler.
Ein großer Eiswürfel schmilzt langsamer als mehrere kleine. Bartender wie Laura Maria Marsueschke von der „Thelonius Bar“ in Neukölln stecken am liebsten Prachtstücke von fünf Zentimetern Kantenlänge in den Tumbler.

© Ute Haufe / promo

„Eis ist eine total unterschätzte Zutat“, sagt Laura Maria Marsueschke. Sie betreibt die „Thelonious Bar“ in Neukölln. Dunkler Holztresen, goldene Wände, 120 Flaschen im Rückbuffet. Bei ihr gibt es keinen Rotationsverdampfer und keinen Sous-vide-Garer. Sie hat es gerne klassisch: gute Produkte, perfektes Handwerk, kein Hokuspokus. Was also muss ein Eiswürfel können?
„Kühlen und verwässern“, sagt Marsueschke. Und zwar beides im richtigen Maß. Und da kommt die Qualität des Eises ins Spiel. Denn den einen Drink soll er mehr verwässern, den anderen weniger. „Wenn ich einen , Old Fashioned’ rühre, brauche ich eine gewisse Dilution. Die verbreitert Spirituosen geschmacklich und öffnet die Aromen.“

Gut schütteln

Beim Rühren erreicht man den gewünschten Kältegrad nach einer Minute. Andere Cocktails kommen aus dem Shaker, etwa alle Drinks mit Zutaten, die sich schwerer verbinden lassen, also mit Sirup, Saft oder Eiweiß. „Das macht man 12 bis 15 Sekunden, wenn man gutes Eis hat, das nicht angetaut ist.“ Kälter wirds nicht, egal wie viel man schüttelt. Wieder anders ist es bei „Tiki Drinks“, da nimmt man das schnell schmilzende Crushed Ice, was Cocktails zugänglich macht. Aber die bunten Drinks bestellt sowieso kaum einer in der „Thelonious Bar“.

Lieber rund als eckig?

Grundsätzlich gilt: Je größer der Eiswürfel, desto langsamer schmilzt er. Das liegt am Verhältnis Volumen zu Oberfläche. Idealerweise müsste der Eiswürfel eine Kugel sein. Damit haben die Japaner seit den sechziger Jahren experimentiert. Bis heute sind sie führend unter den Eisfreaks. Den Status einer Legende hat etwa Kazuo Uyeda. Der Bartender aus Tokio ist der Erfinder des „Hard Shakes“. Der ist tatsächlich eher sanft, eine ausgefeilte Schüttel-Choreografie verhindert, dass das Eis an den Wänden des Shakers bricht. Wie bekommt man nun den perfekten Eiswürfel? Da müssen Albayrak und Ebenberger erst mal etwas ausholen. Nicht perfekt sei Kegeleis mit Loch in der Mitte, „hat nicht mal mehr McDonald’s“. Oder Zylindereis, das von langen Stangen abgebrochen wird. „Sieht nicht schön aus. Würde kein ordentlicher Bartender in den Tumbler packen.“ Schlecht sind auch trübe Würfel. Da sind Lufteinschlüsse drin. Kristallklares Eis schmilzt langsamer, weil es härter ist.

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Die Sache mit dem Becken

Wieso man zu Hause nur milchige Eiswürfel hinbekommt? „Weil Eis in eine Richtung friert“, antwortet Albayrak. „Im Tiefkühler friert das Wasser von außen zu. Dann schließt es viel Sauerstoff ein.“ Die Hoshizaki-Maschinen, die er verwendet, können das minimieren, weil sie Wasser mit feinen Düsen in ein Gitter spritzen. Um ein kristallklares Eis zu bekommen, muss es über Tage in einem großen Becken gekühlt werden. Zwei Pumpen halten im Bassin, in dem die 150-Kilo-Eisblöcke frieren, das Wasser konstant in Bewegung. So wird kein Sauerstoff eingeschlossen. Schicht für Schicht friert von unten nach oben zu. Tage dauert das. Damit er nicht springt, wenn er mit der Motorsäge in fünf Zentimeter dicke Platten zerteilt wird, muss der fertige Block zuvor etwas wärmer werden. Die Platten werden dann in einem minus sechs Grad kalten Raum durch eine Knochenbandsäge geschoben. „Deshalb sind wir nie krank“, sagt Ebenberger. Und die Würfel perfekt.

- Thelonious Bar, Weserstr. 202, Neukölln, thelonius-bar.de

- Die Eisfabrik, Colditzstr. 28, Tempelhof, dieeisfabrik.de

Felix Denk

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