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Bitte keine Heizpilze: So wollen Berliner Gastronomen auch im Winter Gäste bewirten

Hepa-Filter, Ozon-Aircleaner, Luftaustauscher - wie Berliner Gastronomen ihre Gäste im Winter vor Ansteckungen schützen wollen.

Von Kai Röger

Der Winter kommt – und mit ihm die für die Gastronomie alles entscheidende Frage: Wie können Wirte ihren Gästen in Zeiten der Pandemie einen sorgenfreien Aufenthalt ermöglichen? Der Spätsommer hat gezeigt, dass die Angst, sich in geschlossenen Räumen anzustecken, die Terrassen von Restaurants und Bars füllt und die Innenräume leert. Und die aktuellen Abstands- und Hygieneauflagen scheinen diese Sorgen nicht entschärfen zu können. Was ist zu tun?

Kommen jetzt die Heizpilze zurück?

Abhängig von Belüftung und Temperatur können sich Aerosole minuten- bis stundenlang in der Raumluft halten. Wie hoch das Ansteckungsrisiko tatsächlich ist, lässt sich daraus zwar nicht ableiten, doch es bleibt ein Unbehagen. Wie also sollten Gastronomen ihren Gästen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln? Eine Herausforderung für die gesamte Branche.

Das naheliegende wäre, die Draußensaison bis in den Winter und darüber hinaus zu verlängern. Doch das kann bei sinkenden Temperaturen ziemlich ungemütlich werden. Als Anfang der 2000er Jahre Raucher aus den Innenräumen verbannt wurden, war die Lösung recht einfach: Heizpilze aufstellen. Klimarettung und Energieeffizienz war damals noch kein Thema. Erst 2009 wurde das Aufstellen von Heizpilzen in den meisten Kommunen verboten. Das soll sich nun ändern, der Gaststättenverband Dehoga fordert ein bundesweites Aussetzen des Verbots, um die Umsätze der Gastronomie im Winter wenigstens zum Teil zu retten. Tatsächlich weichen einige Kommunen wie Köln, Karlsruhe und Frankfurt sowie die Berliner Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf deren Verbot wieder auf, Motto: Klimarettung vertagt.

Ideen aus der Berliner Gastronomie

Muss man das Rad jetzt wirklich zurückdrehen, oder gibt es bessere Lösungen? Die Berliner Gastroszene hat schon zu Beginn der Krise gezeigt, dass man auf ihren Einfallsreichtum hoffen kann. Es dauerte kaum drei Wochen, ehe selbstorganisierte Lieferdienste, Take-away-Station und andere umsatzstützende Ideen umgesetzt wurden.

Schickte bis zu 1200 Gerichte am Tag mit seinem Lieferdienst "Fu Kin Great": Tim Raue und Team zum 10 jährigen Jubiläum seines Sternerestaurants in Kreuzberg
Schickte bis zu 1200 Gerichte am Tag mit seinem Lieferdienst "Fu Kin Great": Tim Raue und Team zum 10 jährigen Jubiläum seines Sternerestaurants in Kreuzberg

© promo

Einer der Vorreiter war schon damals Tim Raue, der sehr erfolgreich einen High-End-Lieferservice anbot und bis zu 1200 Gerichte am Tag verkaufte. Als einer der Ersten verkündete er nun, seinen Gastraum praktisch virenfrei halten zu können. Er setzt dabei auf ein System der österreichischen Firma „Ozonos“, die auch mit dem Namen des Sterne- und TV-Kochs wirbt. Deren Geräte produzieren Ozon, das Viren, Bakterien, Keime und Pollen binden und somit außer Gefecht setzen soll. Findet das Ozon nichts zum Zerstören, zerfällt es nach kurzer Zeit zu Sauerstoff, ohne dass dabei Stickoxide freigesetzt werden.

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Soweit die Theorie. Immerhin: Der TÜV Süd prüfte die „Ozonos“-Geräte und zertifizierte sie. Die Methode scheint keine schädlichen Nebenwirkungen für Mensch und Tier zu haben. Für Raue hat sich die Investition von knapp 2000 Euro gelohnt: Selbst ohne Terrasse ist sein Restaurant gut gebucht, seine Gäste vertrauen dem Wirt.

Schutz durch Lüftungssysteme, Luftreiniger, Virenfilter

Eine andere Möglichkeit, den Innenraum virenfrei zu halten, hat sich Gastronom Heinz „Cookie“ Gindullis für sein Restaurant „Crackers“ einfallen lassen: Ein auf Clubgröße ausgelegtes Lüftungssystem tauscht die Raumluft aus. „Zehn Millionen Liter Berliner Luft die Stunde“, so dass Versprechen auf der Homepage. Dazu gibt es einen beindruckenden Film, der zeigt, wie Rauch innerhalb kürzester Zeit abgesaugt wird. Eine vertrauensbildende Maßnahme, höchst spektakulär in Szene gesetzt. Die Investition hielt sich in Grenzen, das „Crackers“ war zuvor der Club „Cookies“, dessen Anlage 800 schweißgebadete Tänzer mit Frischluft versorgte.

Energieeffiziente Wärmestrahler gelten als das kleinere Übel

Auf frische Luft setzt auch Gastronom Michael Pankow aus dem „Ganymed“ am Schiffbauerdamm. Sein extrastarkes Abluftsystem soll garantieren, dass „Gäste ganz unbesorgt, ohne Angst vor Aerosolen dinieren“ können, heißt es in der Pressemitteilung. Draußen stehen zudem Pagodenzelte für kleinere Gruppen und Firmenfeiern zur Verfügung. Aber auch die müssen beheizt werden. Wärmestrahler sind gegenüber Heizpilzen das kleinere Übel, sie sind effizienter. Und nicht verboten.

Pagodenzelte am Schiffbauerdamm: Das "Ganymed" erweitert seinen Gastraum
Pagodenzelte am Schiffbauerdamm: Das "Ganymed" erweitert seinen Gastraum

© Selina Schrader/promo

Durch die Vergrößerung des Gastraums können Wirte die Einbußen durch Abstandsregeln kompensieren. Wohl dem, der so viel Platz hat wie das Edel-Steakrestaurant The Grand, das über viele kleine Séparées verfügt, die zum Private Dining genutzt werden können. Und über eine große überdachte Terrasse, auf der Heizstrahler und Decken die Gäste wärmen.

Terrasse und Private Dining - Glück, wer so viel Platz hat wie das "The Grand" in Mitte
Terrasse und Private Dining - Glück, wer so viel Platz hat wie das "The Grand" in Mitte

© The Grand/promo

Ein ziemlich spektakuläre Idee hat sich das Café März in Prenzlauer Berg ausgedacht: Mirko März, Betreiber des Cafés an der Gethsemanekirche hat die Heizkörper aus seinem Restaurant nach draußen verlegt, unter die Bänke und Sitzflächen seiner Gäste. Anständig mit Abstand aufgestellt sind sie natürlich auch; und nach Aussage des Chefs klimaneutral betrieben. Den Bericht über ihn und was er sonst noch plant, lesen Sie hier.

Warm, aber nicht sexy. Die beheizten Sitzgelegenheiten vor dem Café März.
Warm, aber nicht sexy. Die beheizten Sitzgelegenheiten vor dem Café März.

© privat

Hohe Investitionen stehen an

Das „Osterberger“ in Mitte hat für seinen Außenbereich Infrarot-Wärmestrahler angeschafft, deren Energieeffizienz die der einfachen Heizstrahlern übertrifft. Im Innenraum haben die Inhaber, Stefan Gruber-Osterberger und Thorsten Osterberger, zwei sogenannte „Hepa-Luftfilteranlagen“ aufgestellt.

Draußen wärmen Infrarotstrahler: "Osterberger" in Mitte
Draußen wärmen Infrarotstrahler: "Osterberger" in Mitte

© Osterberger/promo

Die zerstören nicht und saugen auch nicht ab, sie „filtern Schadstoffe und Viren zu mindestens 99,97 Prozent aus der Luft, alle 15 Minuten die komplette Raumluft,“ lautet das Versprechen der Betreiber. Eine solche Filteranlage für Räume bis zu 100 Quadratmetern kommt auf gut 1000 Euro, das "Osterberger investierte insgesamt 3500 Euro.

Im Gastraum reinigen Hepa-Filteranlagen die Luft: "Osterberger"
Im Gastraum reinigen Hepa-Filteranlagen die Luft: "Osterberger"

© Osterberger/promo

Ein hohes Invest, insbesondere, wenn man eine riesige Fläche bewirtschaftet, wie das „BrewDog“ in Mariendorf. Die schottische Brauerei plant trotzdem, ihre 100 Bars weltweit damit auszustatten. In Mariendorf sind außerdem noch Trennscheiben zwischen den Tischen installiert.

Viel Platz, Luftfilteranlagen und Trennwände: Das "BrewDog" in Mariendorf
Viel Platz, Luftfilteranlagen und Trennwände: Das "BrewDog" in Mariendorf

© promo

Auf Trennscheiben setzt auch Regis Lamazère in seiner Brasserie am Stuttgarter Platz. Er verfügt, wie viele andere Gastronomen, über keine große Terrasse. Die Investition von sechs maßgefertigten Plexiglasscheiben, die 650 Euro pro Stück kosten, wird sich für ihn dennoch rechnen, glaubt er. Nur wenn sich seine Gäste sicher fühlen, werde er auch im Winter gut ausgelastet sein.

Man kann sie kaum sehen, aber sie sollen die Gäste schützen: Plexiglasscheiben in der Brasserie Lamazère am Stuttgarter Platz
Man kann sie kaum sehen, aber sie sollen die Gäste schützen: Plexiglasscheiben in der Brasserie Lamazère am Stuttgarter Platz

© promo

Ob diese Maßnahmen vor einer Infektion schützen können, lässt sich – Stand heute – nicht belegen. Der Gastronomieverband Dehoga hält sich vermutlich auch deshalb mit Ratschlägen für die Gastronomen zurück. „Es wäre wünschenswert, wenn es von der Gesundheitsverwaltung eine Empfehlung zu Luftfilteranlagen oder Luftreinigungsgeräten zur Nutzung in Innenräumen gäbe“, sagt Gerrit Buchhorn, stellvertretender Dehoga-Berlin-Geschäftsführer.

Von solchen Aussagen lässt sich etwa der Berliner Gründer der Teekampagne, Günter Faltin, nicht entmutigen. Sein „Virenfänger“, der nahezu alle Aerosole aus der Luft filtern soll, stehe bereit, das Weihnachtsgeschäft der Gastronomie zu retten. 970 Euro soll das Gerät kosten.

Lesen Sie hier mehr über Günter Faltin und seinen "Virenfänger"

Als Vorsitzender der Fachgruppe „DeHoGa Flagship“, die sich um die Berliner Spitzengastronomie kümmern soll, mag auch Bernhard Moser keine Empfehlung für Filteranlagen geben. Er rät seiner Klientel, auch zukünftige Veranstaltungen mit aktuellen Auflagen zu planen und nicht auf Lockerung zu hoffen. „Wenn ein Gast darüber verhandeln möchte, ist es besser, kein Risiko einzugehen und dem Gast abzusagen“, sagt Moser. Eine „strenge Türpolitik“ mit konsequenter Einhaltung aller Auflagen sei der einzig mögliche Weg, weiteren Schaden von der Gastronomie abzuwenden.

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Als Gastronom setzt Moser in seiner Weinschule in der Wilmersdorfer Straße auf eine Kombination verschiedener Luftreinigungssysteme: Über Nacht befreie Ozon die leeren Räume von Viren, tagsüber liefen zwei Hepa-Luftfilteranlagen. Für den kleinen Raum ist das mit deutlich unter 500 Euro noch bezahlbar, im Falle seines Gourmetfestivals „Eat! Berlin“, das er im Februar wieder leiten wird, hat er „Angst vor der Investition“. Er fürchtet außerdem Engpässe, sollten alle Gastronomen gleichzeitig Filteranlagen bestellen. Schon jetzt muss man mit Wartezeiten bei einigen Anbietern rechnen.

Hofft auf Lockerungen der Abstandsregeln: Bernhard Moser, "eat! Berlin"-Festivalleiter und Vorsitzender der Fachgruppe Dehoga Flagship
Hofft auf Lockerungen der Abstandsregeln: Bernhard Moser, "eat! Berlin"-Festivalleiter und Vorsitzender der Fachgruppe Dehoga Flagship

© Ricarda Spiegel/promo

Hoffnung äußert er aber auch: „Wenn die Politik erkennt, dass die Gastronomen ein ordentliches Raumluftkonzept haben, könnte sie den Mindestabstand in der Gastronomie von 1,50 auf ein einen Meter verringen. Damit hätte sich eine solche Investition schon fast rentiert.“ Zumal er damit rechnet, dass virenfreie Luft auch nach Covid 19 für viele Gäste noch ein Thema sein wird. Jetzt sei es das Wichtigste, das Vertrauen der Politik und der Gäste in die Gastronomie nicht zu verspielen, glaubt Moser. Für seine eigenen Veranstaltungen gilt: „Bei der Einhaltung der Regeln werden wir päpstlicher sein als der Papst.“

Ob das reichen wird? Wenn die Gastronomie den Winter überleben soll, muss klar sein, worin sie investieren soll, um das Ansteckungsrisiko klein zu halten. Für diese Investition wird sie Geld benötigen. Ihre Kassen sind leer.

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