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Ein Tässchen beruhigt die Gemüter, aber kann sie auch erhitzen.

© dapd

Beutelkunst: Von der Kunst, Tee zu machen

Puristen hassen ihn. Dabei hängt dieser Beutel selbst in Großbritannien in 96 Prozent aller Teetassen. Die Geschichte einer zufälligen Erfindung.

Es könnte so einfach sein. Ein paar Blätter, ein bisschen heißes Wasser, was braucht man mehr zum Tee?

Eine Menge, begreift der Banause, der die Literatur zum Thema studiert. Als Allererstes: viel Zeit und Muße. Außerdem ausgefeilte Kenntnisse – was unterscheidet beispielsweise den Darjeeling Pussimbing First Flush vom Darjeeling Springside Second Flush, wie fein sind die Blätter gebrochen, wo stand der Busch, an dem sie einst hingen, wann wurde der geerntet…? Gebildet soll der Teetrinker sein und Lu Yu gelesen haben (der hat das allererste Buch zum Thema geschrieben), ein bisschen Tolstoi und Thomas Mann können auch nicht schaden, die richtigen Gerätschaften muss er haben (zwei Kannen!) sowie Kandis im Vorratsschrank, und das richtige Ambiente braucht er auch: „Das natürliche Terrain des Tees ist der Salon“, schreibt Stephan Reimertz in seiner Kulturgeschichte „Vom Genuss des Tees“. Stümpern wie mir erklärt er, dass man beim Kaffeekochen eigentlich nichts, beim Tee-Aufguss dagegen „problemlos alles falsch machen kann“.

Tee ist kein Getränk – obwohl es das beliebteste Heißgetränk der ganzen Welt ist, nur einfaches Wasser wird noch mehr getrunken. Tee ist eine Demonstration, ein Glaubensbekenntnis. Und wie zu jedem Glauben gehören auch zu diesem neben den Göttern ein Teufel. Der Satan hängt am Faden.

„NO TEABAGS PLEASE“, begrüßt Werner F. J. Schmitt, Inhaber von King’s Teagarden am Kurfürstendamm, seine Kunden: Auf seiner Website tritt der König unter den Berliner Teehändlern, der Freiheit für alle Teeblätter fordert, den Beutel mit nackten Füßen. „Geschmacklos“, nennt Kulturhistoriker Reimertz das Convenience-Produkt, „schäbig, kläglich, eklig“, unterstes Niveau – „typisch für jenes Jahrhundert, das auch den Plastikbecher und die Nylonstrumpfhose hervorgebracht hat“.

Der kann ja nur aus Amerika kommen. Dabei ist er, wie so vieles im Leben, ein Zufallsprodukt. 1908, so wird auf jeden Fall gern erzählt, soll der Händler Thomas Sullivan Pröbchen in Seiden-Säckchen statt in schweren Dosen an potenzielle Kunden verschickt haben. (Die Boston Tea Party hatte die Amerikaner zu einer Nation von Kaffeetrinkern gemacht.) Die sollten die Beutel eigentlich öffnen, aber dazu waren sie entweder zu dumm oder zu schlau. Die ersten Beutel hatten allerdings einen unangenehmen Beigeschmack nach Leim und Papier. Erst ein deutscher Ingenieur, Adolf Rambold, Angestellter der Firma Teekanne, die im Ersten Weltkrieg schon die Soldaten mit „Teebomben“ versorgt hatte, sorgte 1929 für entscheidenden Fortschritt. Er entwickelte den mit einer Klammer gehefteten Doppelkammerbeutel (bei dem Wasser von vier Seiten an die Blätter kommt) aus besserem Papier und die für die Massenproduktion nötigen Maschinen. Dafür präsentiert ihn das Goethe-Institut heute auf ihrer Website als einen der großen deutschen Erfinder.

Dass es einen Unterschied macht, ob sich die trockenen Teeblätter in einer bauchigen Kanne hemmungslos entfalten können, oder in einem kleinen Säckchen eingesperrt werden, leuchtet selbst dem Banausen ein. In einem von Büschen und Bäumen gesäumten See herum zu schwimmen, ist ja auch viel schöner und freiheitsberauschender, als seine eng gezogenen Bahnen im Hallenbad zu ziehen. Aber wer kann schon an jedem Arbeitstag für ein paar Züge im Wasser raus aufs Land fahren. Und was soll man im Winter machen? Eisschwimmen ist nur was für Hartgesottene – und hat mit Schwimmen nur wenig zu tun.

Mit dem Tee, den wir gerade jetzt zum Aufwärmen so dringend brauchen, ist es ganz ähnlich. Wer hat denn im Büro die Muße und den Platz für eine ausgewachsene Zeremonie mit zwei Kannen? Auch der Schriftsteller Nicolaus Sombart hat seine Gäste ja nicht sieben Tage die Woche zur Tea Time in seinen legendären Berliner Salon geladen, sondern nur einmal: am Sonntagnachmittag.

Der Sinn des Teebeutels ist es, den Alltag einfach und angenehm zu machen. Dafür wurde er vor kurzem vom Vitra Design Museum und der Verpackungsfirma Hi-Cone als „heimlicher Held“ gefeiert, zusammen mit anderen genialen Objekten wie dem Streichholz, dem Reißverschluss und der Konservendose. Auch der Lyriker Jan Wagner hat den unscheinbaren Beutel in einem Gedicht besungen: „nur in sackleinen/gehüllt, kleiner eremit/in seiner höhle.“

Teebeutel ist allerdings nicht gleich Teebeutel. Dass in ihm der ganze Abfall landet, die letzten Krümel, vom Boden aufgefegt, Staub und Dreck inklusive, ist ein Gerücht. So viel Abfall gibt’s gar nicht wie Beutel: 40 Prozent des Tees in Deutschland, so der deutsche Teeverband, werden in dieser kompakten Form konsumiert. Und damit ist nur der einzig wahre Tee gemeint, vom Strauch der Camellia sinensis. Was unsereins als Früchte- oder Kräutertee trinkt, ist nur ein „teeähnlicher Aufguss“, der zu 90 Prozent in Beutelform genossen wird. Aber natürlich gibt es auch hier große Qualitätsunterschiede; für 99 Cent die Packung kann man nicht allzu viel erwarten.

Außerdem hat der Teebeutel Fortschritte gemacht. Inzwischen gibt es ihn auch, eine schottische Erfindung, in Pyramidenform aus durchsichtigem Polyactid; da haben die Blätter noch mehr Platz, sich mit Wasser aufzusaugen und auszubreiten. Oder man nimmt Einmalfiltertüten und schüttet selber die losen Blätter hinein, was keine große Arbeit ist. Allerdings: Auch der Teebeutel will sorgfältig behandelt werden. Vor allem aufs Wasser kommt es an, frisch soll es sein, nicht abgestanden, und wirklich heiß, nicht lauwarm (der Dampf aus der Kaffeemaschine reicht nicht), aber nur kurz aufgekocht. Man kann Wasser auch zu Tode kochen, warnen die Experten. Dann ist gar kein Sauerstoff mehr drin.

Für Ästheten ist das eigentliche Problem gar nicht der Beutel in der Tasse, sondern seine Entsorgung. Gebraucht sieht er, nun denn, ziemlich alt aus. (Was sich einige Trödelhändler zunutze machen und gar nicht so alten Leinendecken damit Patina verleihen.) Tropfend und häßlich liegt er meist auf der Untertasse. Aber selbst gebraucht ist der Teebeutel ein stiller Held: Man kann ihn sich auf die müden Augen legen, ihn fruchtbringend auf den Kompost werfen oder ihn ausstellen. Die Künstlerin Patti Gaal-Holmes trocknet und presst jeden von ihr benutzten Teebeutel und legt ihn, oft zusammen mit einer Notiz über das Wie und mit wem des Trinkens, in einen Koffer. Wenn sie die mehr als 32 000 Relikte ihres Lebens ausstellt, kommen die Besucher schnell ins Gespräch. Teegeschichten hat jeder zu erzählen.

Glaubt man den Hofberichterstattern, hat die Queen in ihrem Leben noch keinen Teebeutel benutzt. Ihre Majestät gießen die losen Blätter ganz korrekt auf. Aber dafür ist sie ja schließlich Königin. Ihre Untertanen dagegen haben den Beutel zwar erst spät entdeckt, dann aber richtig: In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen nach Auskunft des UK Tea Councils nur fünf Prozent des Tees in Beuteln (hier meist runde fadenlose Pads) auf den Tisch, inzwischen sind es 96 Prozent. Dabei sind die Briten besonders abgebrüht. Am liebsten greifen sie zu den PG Tips, die selbst den stärksten Bauarbeiter umhauen, weshalb sie nur mit viel, sehr viel Milch und Zucker genossen werden können.

Das Teekochen müssen die Deutschen nicht mehr von den Briten lernen, das können sie inzwischen besser, auf jeden Fall gepflegter. Ja, die Ostfriesen überholen Engländer und Iren sogar in punkto Quantität, mit 290 Litern im Jahr. Aber was Toleranz und Gelassenheit betrifft, kann ein Blick über den Kanal nicht schaden. Dort gilt „a nice cuppa“ als Allheilmittel gegen Kummer und Schmerzen jeder Art, als Geste der Freundlichkeit – eine Atempause, mit der man Stress und Ärger für einen Moment anhält. Als „a hug in the mug“ beschreibt der Gastrokritiker Nigel Slater das starke PG-Tip-Gebräu: eine Umarmung im Becher. „A nice cuppa“ ist in Großbritannien Erste Hilfe zum Aufwärmen von Seele und Körper.

Egal ob mit Beutel oder losen Blättern, ob echter Tee von der Camellia sinensis oder Früchteaufguss: Teetrinken und Hinsetzen sind eins. „www.nicecupofteaandasitdown.com“ heißt denn auch eine der liebenswertesten Websites zum Thema. Deren Betreiber greifen ganz selbstverständlich zur PG Tip-Pyramide. Ihnen geht es auch weniger um Tee-Ideologie als um die Teepause und den passenden Keks dazu, man könnte fast von einer ganzen Keksologie sprechen. Ihre Philosophie: „Well the thing about tea is that everyone just drinks it the way they like it.“

Alles hat seine Zeit. Auch der Teebeutel hat seine.

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