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In Berlin hat sich eine junge Szene ambitionierter Kaffee-Spezialisten entwickelt.

© promo/Berlin Coffee Festival

Berlin Coffee Festival: "Kaffee hat rund 800 Aromen - mehr als Wein"

Guter Kaffee braucht weder Milch noch Zucker, davon kann man sich beim Berlin Coffee Festival überzeugen. Mitveranstalter Philipp Reichel über des Deutschen liebstes Heißgetränk.

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Früher kam man zusammen und trank einfach einen Kaffee. Heute ist geschäumte Milch verpönt, Zucker geächtet. Man muss entscheiden, woher die Kaffeebohnen kommen sollen und ob er gefiltert, mit der Maschine oder der Hand gemacht oder gar kalt serviert wird. Warum ist Kaffeetrinken so kompliziert geworden?

Die Baristas und die Röstereien versuchen schlicht, das Beste aus den Bohnen rauszuholen. Viele reizen das aus, was manchmal tatsächlich eine Hürde ist. Denn in Deutschland ist die Kaffeekultur – und das meine ich gar nicht böse – immer noch eine relativ simple. Kaffee gilt als Alltagsgetränk. Man wirft seine Filtermaschine an, Milch und Zucker rein. Die Leute tun sich schwer, den Gedanken zuzulassen, dass Kaffee auch etwas Anderes sein kann als der klassische Pott am Morgen. Das Getränk wird vor allem als Wachmacher gesehen, das Geschmackliche spielt eine untergeordnete Rolle. Wenn man sich anschaut, was kulinarisch in der Welt passiert, welche Wertschätzung Essen und Getränke erfahren, hinkt Deutschland noch sehr hinterher. Kürzlich traf ich jemanden, der dachte wirklich, Kaffee wächst in Italien.

Woran erkennt man einen guten Kaffee?

Da muss ich erstmal moralisch werden. Anständiger Kaffee ist einer, bei dem der Barista oder der Röster sagen kann, von welchem Bauern oder welcher Farm er stammt. Wir sind in einer Zeit angekommen, wo wir Lebensmittel nicht mehr einfach nur konsumieren. Kaffee aber ist immer noch - krass gesagt - ein Kolonialgut. Ein Großteil der Bauern, die vom Anbau leben wollen, kann das nicht. Vergangene Woche ist der Börsenpreis auf einen Dollar pro Pfund abgesackt. Das sind Preise von 1980, während die im Regal um 500 Prozent gestiegen sind. Der Fairtrade-Preis von 2,40 Dollar pro Pfund wurde seit gut zehn Jahren nicht mehr angepasst. Ein Supermarktprodukt, das zehn Euro das Kilo kostet, kann keinen Euro pro Kilo gekostet haben, wenn man Kaffeesteuer, Produktionskosten und Verpackung abzieht. Dahinter stehen menschunwürdige Arbeitsbedingungen. Aber das ist die Normalität. Die Kaffeekultur, die wir auf dem Berlin Coffee Festival präsentieren, macht keine zwei Prozent vom Weltmarkt aus.

Und was zeichnet einen guten Kaffee geschmacklich aus?

Billige Kaffees schmecken häufig verbrannt, wie Asche, extrem bitter und hinterlassen ein stark trockenes Mundgefühl. Mit Milch und Zucker geht das, aber lecker ist das nicht, wenn Sie mich fragen. Bohnen aus dem Supermarkt sind oft glasig und ölig. Das ist in der Regel ein Zeichen für ein schlechtes Produkt, allein schon deshalb, weil Öl bei den teilweise sehr langen Lagerzeiten ranzig wird. Ein gutes Kriterium beim Geschmack ist Mehrdimensionalität. Wenn der Geschmack nur bitter ist, kann man davon ausgehen, dass mit einer sehr dunklen Röstung lediglich kompensiert wurde, dass der Rohkaffee nichts taugte. Zartbittergeschmack soll drin sein, klar, aber die ganze andere Bandbreite wird so weggeröstet. Kaffee hat aber mehr Aromen als Wein, rund 800. Der muss nicht nur nach Kakao, sondern kann zusätzlich zum Beispiel auch noch nach Blaubeere schmecken.

Pilipp Reichel betreibt das „Kaffee 9“ in Kreuzberg (Eisenbahnstr. 43). Als Mitorganisator des Berlin Coffee Festivals bringt er an drei Tagen mehr als 60 Veranstaltungen nach Berlin.
Pilipp Reichel betreibt das „Kaffee 9“ in Kreuzberg (Eisenbahnstr. 43). Als Mitorganisator des Berlin Coffee Festivals bringt er an drei Tagen mehr als 60 Veranstaltungen nach Berlin.

© privat

Viele Spezialitäten schmecken für den ungeübten Trinker erstmal ungewöhnlich säuerlich, fast wie Fruchtsaft.

In Deutschland wird Kaffee traditionell mit einem schokoladigen, nussigen Aroma verbunden. Das ist auch legitim, aber in den Bohnen steckt eigentlich viel mehr. Jedes Klima, jeder Boden beeinflusst den Geschmack. Niedriger Anbau wie in Brasilien führt wegen des schnelleren Wachstums und mehr Sonne häufig zu schokoladigeren Noten. In Kolumbien in großer Höhe angebauter Kaffee reift länger, hat mehr Dichte und schmeckt dann oft fruchtiger und vielleicht auch ein bisschen sauer. Ich beschäftige mich jetzt seit sechs Jahren mit Kaffee und entdecke immer noch Neues. Das kann überfordern, natürlich. Auch ich habe mich am Anfang schwer getan mit dieser Fülle. Wir sind alle Gewohnheitstiere. Aber das spannende am Kaffee ist ja gerade seine geschmackliche Vielfalt.

Wofür brauchen wir eigentlich noch ein weiteres Kaffee-Festival?

Es gibt viele Kaffeefestivals, das stimmt, aber oft geht es dabei nur um den Konsum. Wir wollen auch eine politische Ebene und erzählen, wer alles an der Produktion beteiligt ist. Die Leute sollen verstehen, dass hinter jedem Kaffee ein Bauer stecken. Wir als Röster sind nur Vermittler. Außerdem ist uns wichtig, dass die Leute Fragen stellen können. Warum schmeckt diese Sorte so, die andere so? Auch soll jeder seine Meinungen sagen. Was gefällt, was nicht. Geschmack ist ja sehr subjektiv.

Das trifft auch für den Wein zu. Aber wenn man sagt, ein Wein sei „lecker“ oder „zu sauer“ dann wird man von manchen Experten belächelt. Beim Kaffee scheint es inzwischen auch einen gewissen Snobismus zu geben.

Zum Teil stimmt das. Oft kommt man in ein Café, bekommt etwas hingestellt, findet, das schmeckt eigentlich gar nicht. Und fühlt sich dann noch blöder, weil man nur schief angeschaut wird, denn das ist ja wohl bitte der beste Kaffee der Welt! Wir möchten mit dem Festival erreichen, dass die Spezialitätenröstereien die Türen für alle öffnen. Wir wollen die Menschen bei dem abholen, was sie gewohnt sind, und ihnen dann zeigen, was möglich ist.

Und wie läuft die Verkostung?

Am Sonntag sind 45 Röstereien da und alles, was schwarz ist, wird kostenlos, in kleinen Portionen und in Mehrwegtassen ausgeschenkt. Wir wollen, dass die Leute viel probieren. Alles mit Milch kostet. Die letzten zwei Jahre war es so, dass die Leute gekommen sind, und versucht haben, so viel Flat White zu trinken wie möglich, was komplett dem widerspricht, was wir eigentlich wollten.

Und den unter Kaffeeliebhabern verpönten Latte Macchiato gibt es auch?

Wer das trinken möchte, soll das tun. Jemand mit erhobenen Zeigefinger vorzuschreiben, was er zu mögen hat, das geht zu weit. Milch ist lecker, ohne Frage. Aber wir freuen uns, wenn jemand unserer Einladung folgt, etwas Neues auszuprobieren.

Das Berlin Coffee Festival findet vom 31. August bis 3. September 2018 statt. Am Sonntag von 11 - 18 Uhr gibt es den Großen Kaffeemarkt in der Markthalle IX in Kreuzberg (Eisenbahnstr. 43). Tickets und das komplette Programm finden Sie unter berlincoffeefestival.com

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Berlin Coffee Festival - ausgewählte Veranstaltungen von Philipp Reichel

Für Neugierige:

FARMER TALKS | Diverse Podiumsgespräche zur Kaffeeproduktion. Zum Beispiel wird hier die Kette aufgezeigt vom Farmer bis zur fertigen Tasse Kaffee. Es ist ein grundsätzliches Thema, das mit Qualität, Wert und Wertschätzung zu tun hat, aber auch mit Anbaubedingungen und den damit verbundenen Problemen für Natur und Kaffeebauern. Ganztägig So + Mo auf der großen Bühne der Markthalle IX, Eisenbahnstr. 43, Kreuzberg

SENSORIKSCHULUNG: Das Team der Flying Roasters vermittelt sehr bodenständig, welche Geschmacksvielfalt man jenseits von bitter, nussig und schokoladig in Kaffee entdecken kann. Am Sonntag beim Kaffeemarkt hat man dann die Möglichkeit, an vielen Probierständen in die neue Geschmackswelt einzutauchen. Fr. 10 – 11.30 Uhr, Flying Roasters, Hochstr. 34, Wedding

BESICHTIGUNG | Für zwei Tage öffnet die Espressomaschinenfabrikant Xenia ihre Produktionsstätte. Besucher können sich erklären lassen, wie sich die technische Seite auf den Kaffeegeschmack auswirkt. Fr + Sa, 10 – 20 Uhr, Xenia Espresso Produktion, Plauener Str. 163 – 165, Alt-Hohenschönhausen

Für Kenner:

CUPPING MIT LA CABRA | Probieren ist die einfachste und spannendste Art, Kaffeevielfalt kennenzulernen. Es gibt mehrere sogenannter Cuppings über die ganze Stadt verteilt, die dänische Rösterei La Cabra arbeitet sehr perfektionistisch das heraus, was in den verschiedenen Kaffees drinsteckt. Anschließend gibt es Barsnacks und Weine von Rocket Wine. Fr 18 – 19 Uhr, Annelies, Görlitzer Str. 68, Kreuzberg

COMMANDANTE CUP | Bei den Wettbewerben zeigen Baristas mit dem gleichen Ausgangsmaterial, was man bei der Zubereitung durch Wasser- und Kaffeemenge, Mahlgrad und Wassertemperatur anders machen kann, um damit unterschiedliche Ergebnisse zu erzielen. Fr 14 – 20 Uhr, The Barn Roastery, Schönhauser Allee 8, Mitte

WATER FOR COFFEE | 99 Prozent des Kaffees besteht aus Wasser, es ist erstaunlich zu erfahren, wie der Härtegrad und unterschiedliche Filtertechniken den Geschmack eines Kaffees beeinflussen. Fr 11.30 – 13.30 Uhr, The Barn Lab, Saarbrückerstr. 28, Prenzlauer Berg

Für Experten:

COFFEE ROASTING MASTERCLASS | Wir Röster haben alle unseren speziellen Röstprofile, und es ist für uns Profis natürlich spannend, was die anderen machen. Besonders tief steigt der zweitägige Workshop der dänischen April Coffee Roasters in die Materie ein. 30. + 31.8., 9 – 13 Uhr, The Visit Coffee Roastery, Adalbertstr. 9, Kreuzberg

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