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"Ein gemeinsames Mahl überbrückt die Fremdheit. Es entsteht Freundschaft." Thomas Struck Leiter "Kulinarisches Kino"

© David Heerde

Auf eine Flasche Wein mit ...: Thomas Struck

Der Leiter des Kulinarischen Kinos reist für die Berlinale durch die Welt - und bringt den Wein zu unserem Treffen selbst mit

Von Kai Röger

Man muss sich Thomas Struck als einen glücklichen Menschen vorstellen: Als Leiter des "Kulinarischen ­Kinos" reist er für die Berlinale durch die Welt, besucht internationale Festivals, trifft engagierte Filmemacher, Agraraktivisten oder außergewöhnliche Produzenten. Und bringt unendlich viele Geschichten mit nach Hause. Wie die von dem griechischen Fleischer, der nur noch von Dingen umgeben sein will, die er selbst produziert: Hammel, Oliven und Wein. Den Wein des Fleischers hat Struck mitgebracht: "Ein sehr spezieller Wein" wie er im Vorgespräch ankündigte und gleich noch die Frage hinterher schickte: "Dürfen wir uns für Ihre Kolumne auch mal auf zwei Flaschen Wein treffen?"

Wir sitzen im "Weinstein" (Lychener Str. 33, Prenzlauer Berg), einem der ersten und noch immer einem der besten Weinrestaurants Berlins. Die Flasche steht geöffnet vor uns auf dem Tisch: "John & Mary's" steht auf dem Etikett und "local red wine - a thousand days old". Thomas Struck schenkt ein: "Jetzt wird gearbeitet. Das Pensum muss geschafft werden!" Der Wein schmeckt oxidativ wie Sherry, ist aber weniger voluminös und geprägt von einer strammen Säure. Und er verströmt eine aufdringliche Pattex-Note. Wir beschließen, ihm mehr Zeit zu geben und bestellen einen "Reparaturwein", wie Struck den Pausenfüller nennt: einen Riesling von Clemens Busch, animierend frisch "ohne Bart und nicht verfuselt", einfach "eine Wucht, obwohl er ein Tänzer ist", sagt Struck und erzählt von seiner Reise nach Spanien und von der peruanischen Küche: "Meerschweinchen sind eine Delikatesse". Über Pferdefleisch kommen wir zu Insekten. Als er in Kopenhagen im "Noma" aß, sagt Struck, empfand er die Ameisen "geschmacklich doch sehr eindimensional wegen der alles dominierenden Säure".

Der Reparaturwein ist bereits verdunstet als wir von Krautrock über den Französischen Film der 1960er Jahre zur Musik der 1920er Jahre springen. Thomas Struck hat Filme über die Beatles, Twiggy und die Beine der New Yorker gedreht, durchlebte mit Stuart Pigott "Ein Weinjahr" und veröffentlichte ein Kochbuch über Filmrezepte. Jetzt ist er in seinem Element: Die Gedanken fliegen, wilde Zusammenhänge untermauern steile Thesen - er sprüht vor Esprit. Und ich folge ihm trunken vom Hundertsten ins Tausendste.

Der Wein des Fleischers kommt dabei ein bisschen zu kurz, wir einigen uns darauf, dass er nicht wirklich ins herbstliche Berlin passt, und dass wir uns ab jetzt duzen sollten. Tommy bestellt noch eine Flasche Pinot Noir von "Ernie" Loosen, wie er den Protagonisten aus "Ein Weinjahr" nennt. Wie wir nach dieser dritten Flasche von "kochenden Affen", Feuerstellen, Vorratshaltung und Arbeitsteilung zu Prometheus und der Feststellung "Pioniere werden skalpiert" kamen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Meine Aufzeichnungen sind ab hier unter einem riesigen Rotweinfleck begraben.

Das letzte lesbare Zitat scheint aus dem Zusammenhang gerissen: "Essen und Trinken sind kein Sex des Alters, sondern älter als Verträge und Geld: Man trifft einen Fremden, lädt ihn ein und er lädt dich ein. Das gemeinsame Mahl überbrückt die Fremdheit. Es entsteht Freundschaft." Das nächste Mal, sagt Tommy zum Abschied, lädt er mich ein.

Die getrunkenen Weine und was Thomas Struck dazu sagt:

2011er Riesling "Vom Roten Schiefer" von Clemens Busch: "Frisch und prägnant, klar und doch fast ölig: bezahlbarer Trinkspaß, der nach einer zweiten Flasche verlangt"

"John & Mary's": "Lokaler Wein von einer griechischen Insel, hochoxidativ und Säure-betont mit leichten Fehlaromen - sollte dort getrunken werden, wo er herkommt"

2010er Pinot Noir "J.Christopher" Oregon Kooperation mit Weingut Dr. Loosen: "Neue-Welt-Stil trifft auf deutsche Kühle"

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