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Der perfekte Fisch für die Aufzucht in Aquakulturen: Tilapia, ein Buntbarsch-Art und eines der wichtigsten Speisefisch-Produkte in Kirschau.

© i-stock

Aquakulturen: Wo Fischers Fritz nicht fischt

Speisefisch, Krebse, Garnelen: Eine Firma in Sachsen züchtet die Tiere in selbst konstruierten Frischwasseranlagen und managt den Vertrieb

Von Susanne Leimstoll

Der australische Rotscherenkrebs wirkt wie ein kleiner Hummer und hat für Zuchtzwecke entscheidende Vorteile. Er will keine Tunnel graben, ihm reicht ein einfacher Unterschlupf, im Notfall bezieht er für Kühltürme entwickelte Kunststoffwaben, kleine Quader mit Vertiefungen, wie die am Grund dieses 5000-Liter-Bassins. 15 Tiere pro Quadratmeter würden sich in der Natur nie tolerieren; Zehnfüßler sind scheue Einzelgänger. Doch in den Glasfiberbecken der riesigen Lagerhalle, in der sich im Halbdunkel 30 Bassins aneinanderreihen, in der nichts zu vernehmen ist als das Summen der Wasserpumpen und gelegentlich, zur Fütterung, das wilde Zappeln von Fischen, halten sie das aus, fressen ordentlich Biofutter, wachsen bei 28 Grad auf 15 Zentimeter, werden am muskelfleischigen Hinterleib schön prall, vermehren sich brav in simulierter Natur. „Ich kann in einem Jahr einen Speisekrebs erzeugen, andere brauchen dafür drei bis fünf Jahre“, sagt Karl Dominick, während er auf den Grund des klaren, dunklen Wassers zu den Tieren blickt.

Garnelen auf Zuwachs

Dominick, Chef der Kirschauer Aquakulturen, Spezialist für geschlossene Kreislaufsysteme in der Fischzucht, hat sich die Erstzulassung für die Züchtung dieser Krebse in Deutschland gesichert. Ein Nebenprodukt, für das er in der Spitzengastronomie einen wachsenden Markt sieht. Denn seinen Hauptumsatz macht der Geschäftsmann mit filetergiebigem Speisefisch, gängigen Arten wie Tilapia, Pangasius, für die Schweiz auch mit in regionalen Gewässern längst überfischten Felchen und Egli. Und mit Garnelen, „White Legs“, deren Larven er aus den USA bezieht. Drei Tonnen davon produziert er derzeit pro Jahr. „Nächstes Jahr sieben, danach 15 Tonnen“, sagt er und deutet auf noch leere Zuchtbecken. Elf von 34 in einer separaten Halle sind erst besetzt. „Der Markt wird es hergeben.“ Die Produktion hat er jahrelang erprobt, die Krabben haben unter den Netzen ihre Ruhe, sie wachsen schnell, in sechs Monaten wiegen sie 35 Gramm. „Zeit ist Geld“, bemerkt Karl Dominick, gelernter Kaufmann, mit deutlichem englischen Akzent und einem kleinen Schulterzucken.

Ein Mann und seine Technik. Karl Dominick hat erst zusammen mit seinem Bruder spezielle, zerlegbare Bassins entwickelt, dann die Technik für einen geschlossenen Frischwasserkreislauf. In ihnen züchtet er Fische und Schalentiere in der eigenen Firma "Kirschauer Aquakulturen". Ein Projekt in ständiger Entwicklung.
Ein Mann und seine Technik. Karl Dominick hat erst zusammen mit seinem Bruder spezielle, zerlegbare Bassins entwickelt, dann die Technik für einen geschlossenen Frischwasserkreislauf. In ihnen züchtet er Fische und Schalentiere in der eigenen Firma "Kirschauer Aquakulturen". Ein Projekt in ständiger Entwicklung.

© Kitty Kleist-Heinrich

Er ist in Südafrika geboren, die Eltern stammen aus Hamburg. Mit seinem Zwillingsbruder entwickelte er Glasfaserbecken für die biologische Wasseraufbereitung, zunächst für die Trinkwasserversorgung in Südafrika, wo sein Bruder diesen Teil des Unternehmens leitet, später entstand die Idee, die Anlagen – zerlegbare Becken mit steckbaren, Harz laminierten „Pizzaböden“, die so durch jede Haustür passen – auf die Fischzucht auszurichten: Aquakultur als geschlossenes Kreislaufsystem, in dem, anders als in den Netzgehegen der asiatischen Teichwirtschaft, Fischfäkalien nicht zurück ins Gewässer geschwemmt werden. In Kirschau werden die Feststoffe durch Trommelfilter ausgesiebt, das Klarwasser läuft durch ein Schilfbett. Noch. Die nächste Stufe, das Nitrat durch Pflanzenkulturen abbauen zu lassen, ist in Arbeit. Ein versuchsintensiver Plan, denn die Nährstoffe für diese Pflanzen müssen sich mit den für Fische und Schalentiere lebensnotwendigen vertragen. Derzeit setzen Dominick und sein Fischwirtschaftsmeister Nick Zimmer auf den Proteinträger Wasserlinse, ein das ganze Jahr gedeihendes Gewächs, das auch in der Kosmetikindustrie gebraucht wird. Der Versuch, Stoffkreislauf und Verwertung komplett zu machen, startet im Frühjahr. Und Dominick will hin zu alternativen Energien. „Es gibt Windkrafträder, die sich horizontal drehen; das recherchieren wir gerade.“

Fischzucht in der Weberei

In Kirschau bei Bautzen, eine gute Autostunde von Dresden, kaufte er vor elf Jahren ein Webereigelände samt Gebäuden, 60 000 Quadratmeter, kein Idyll. Eine Großzuchtanlage mit moderner Technik in alten DDR-Lagerhallen, Beton, Stahltreppen Zwischengeschosse mit Gitterböden. Kunststoffwände trennen das tropische Klima in der Mastanlage vom deutschen Winter: Innen 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, 30 Grad. Das Auge gewöhnt sich nur langsam an das fahle Licht, das den Wasserbewohnern Stress erspart. Futterzeit für Tilapia: Eine Schippe Pellets, und 27 000 Liter gefiltertes Wasser in einem der Fünf-Meter-Bassins fangen an zu toben. 2500 Jungfische wühlen die Oberfläche auf, kleine weiß-rot-braun gescheckte Leiber, gierig offene Mäuler, aber beinahe handzahm. Leben in der Masse. Gesund und glatt wirken sie, keine Flosse lädiert, alle munter. Aber eben Schlachtvieh. Zwei Filtereinheiten mit Kunststoffkugeln simulieren hier 8000 Quadratmeter Schilffläche, zersetzen das durch Fischkot erzeugte Ammonium, reinigen das Wasser. Regelmäßig werden die Fische umgesetzt: nach dem Schlüpfen im zylindrischen Zugerglas, nach vier Wochen im Aufzuchtbecken, nach acht Wochen zu den Jungtieren ins größere Bassin, die Weibchen aus dem Brutbecken, wenn der Rogen abgestreift ist.

Das Arapaima-Experiment

Gerade bereiten zwei Fischwirte das Abfischen am Nachbarpool vor, schwitzend in T-Shirt und kurzen Hosen. Ein an Pfosten verankertes Zugnetz führen sie um den Beckenrand, 600 Kilo Tilapia zappeln und springen, sausen aus dem Käscher einzeln über eine Rutsche in eine wassergefüllte Wanne. „So wenig wie möglich anfassen“, sagt der Chef, während er einen ausgebüchsten Barsch vorsichtig vom Boden aufhebt. Weiter hinten im Dunkel gleiten schwarze Schatten durchs Becken, 25 Arapaimas, Riesenfische vom Amazonas, ein Zuchtversuch. Die würden ordentlich Fleisch geben, große, dicke, feste Filets. Dominick will sehen, ob der regionale Markt den Exoten als Speisefisch akzeptiert. Spitzenköchen könnte er gefallen. „Noch fünf Monate“, sagt Dominick, „dann sind die hier groß.“ Den Jungfischbesatz holt er sich aus Florida.

Transport-Probleme

Die Kirschauer Aquakulturen vertreiben unter dem Label „Sachsenfisch“ ausschließlich Frischfang. Die Verarbeitung erfolgt am Ort: abfischen, töten, ausnehmen, häuten, küchenfertig portionieren, die Filets möglichst gleich groß, wie der Handel es wünscht. Nichts wird gefrostet, der Transport erfolgt in Eis bei null bis zwei Grad. Mit seiner Firma liegt Karl Dominick in mehrfacher Hinsicht ab vom Schuss. Sein größtes Problem ist der Vertrieb. Seine Liefermengen sind für die großen Logistikunternehmen noch zu gering, „Deutsche See“ kauft lieber große Chargen im Ausland als kleine Mengen regional. Dabei liegt Kirschau dicht an der A 4. Dominick hat es mit Speditionen versucht. „Aber da stimmten weder Zuverlässigkeit noch Gewinnmarge.“ An der fehlenden Infrastruktur scheitern bisher auch lukrative Verträge mit dem Großhandel. Also besinnt er sich auf die Direktvermarktung, stellt eigene Fischwagen auf die Märkte, beliefert mit eigenen Kühltransportern, verkauft seinen Fisch online. Die Supermarktkette Edeka hat angebissen, als sie die Qualität von „Sachsenfisch“ auf dem Wochenmarkt entdeckte.

Karl Dominicks Leitsatz: von der Larve bis zum ausgewachsenen Tier. Im gut belüfteten Zugerglas schwimmen die eben geschlüpften Fischchen, ehe sie ins größere Aufzuchtbecken kommen.
Karl Dominicks Leitsatz: von der Larve bis zum ausgewachsenen Tier. Im gut belüfteten Zugerglas schwimmen die eben geschlüpften Fischchen, ehe sie ins größere Aufzuchtbecken kommen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Dominick ist dabei, andere Mitstreiter zu angeln, die Fischereiverbände ins Boot zu holen. Er hofft, mit den Fischern eine Vermarktungsgemeinschaft zu gründen, eine gemeinsame Verarbeitungs- und Verpackungsstraße. Eine Mini-Erzeugergemeinschaft hat er bereits, verarbeitet und versendet für andere regionale Produzenten mit. „Der Beginn einer zentralisierten Dienstleistung.“ Er setzt im Direktvertrieb jetzt auf kleinere Mengen und mehr Vielfalt. „20 bis 30 Tonnen von einer Fischsorte, dafür aber viele verschiedene Arten.“ Von all den Hürden erzählt der Geschäftsmann mit unbewegter Miene. Er macht sich keine Sorgen, in seinem Kopf scheint der nächste Schlachtplan schon zu reifen. Drüben, in der alten Weberei, warten die Becken auf neuen Besatz.

- Kirschauer Aquakulturen. Friesestr. 31, 02681 Schirgiswalde-Kirschau, Tel. 03591 / 27 22 595. Bestellungen über sachsenfisch.de/shop/

EXOTEN AUS SACHSEN

Arapaima. Einer der größten Süßwasserfische der Welt; kann mehr als 100 Kilo schwer und um die zwei Meter lang werden. Seine Heimat: die bewachsenen Ufer der Überschwemmungsgebiete von Amazonas und Orinoko. In Brasilien und Peru wegen seines fettreichen Fleisches ein beliebter Speisefisch, der dort auch getrocknet verkauft wird. Seine Art gilt als überfischt. Die Kirschauer Aquakulturen beziehen Jungfische nur für die Vermehrung. Der Exot wächst schnell, mag, wie der Tilapia, tropische Wassertemperaturen und könnte wegen seiner weißen, kompakten Filets ein Liebling der Spitzenköche werden.

White Tiger Garnele. Ein Zehnfußkrebs aus dem Südpazifik. Die Weibchen legen bis zu 250 000 Eier, die Larven schlüpfen schon nach 16 Stunden, die Gezeiten treiben sie an die Küste. Ausgewachsen wiegt die dünnschalige Garnele 20 bis 45 Gramm. Millionen Tonnen werden vor allem in Asien in Aquakulturen an den Küsten gezüchtet. Die Folge: abgeholzte Mangrovenwälder, versalzene Böden, medikamentenbelastete Massenproduktion. In die EU dürfen nur erregerfreie Larven aus den USA eingeführt werden. Geschlossene Kreislaufsysteme sind ideal für die Aufzucht.

Rotscherenkrebs. Auch „Süßwasserhummer“, wird bis zu 30 Zentimeter lang. Ein friedlicher Flusskrebs, beheimatet in Australien und Neuguinea. Mag glasklares, leicht alkalisches, sauerstoffreiches Wasser, lebt unter Steinen oder Baumstämmen. Die grünbraune bis tiefblaue Färbung soll ihn vor Fressfeinden schützen. Aromatisches, süßliches Fleisch, feste Textur. Für heimische Aquarien eignet sich der Krebs ebenfalls.

Tilapia. Robuster Buntbarsch, ursprünglich aus tropischen Gewässern, heute vor allem aus Zucht erhältlich. Benötigt 20 bis 30 Grad warmes Wasser, wird in der Natur maximal sechs Kilo schwer und einen halben Meter lang. In den USA einer der beliebtesten Speisefische, in Deutschland eher unbekannt. Empfehlenswert, wenn er nicht aus asiatischen Zuchtteichen kommt, sondern aus hiesigen geschlossenen Tanks. Geschmack: süßlich-nussig. Perfekt als robuster Pfannenfisch oder für exotische Gerichte.

Pangasius. Gehört zur Familie der Schlankwelse, kann aber um die 40 Kilo schwer werden. Wächst schnell, in sechs bis acht Monaten wiegt er drei Pfund. Ein Speisefisch mit denkbar miesem Image, seit bekannt wurde, dass ein Großteil aus medikamentenbelasteten Brackwasser-Zuchten des Mekong-Deltas stammt und oft mit wasserbindenden Mitteln behandelt wird. Pangasius hat besonders mageres Fleisch und damit weniger gesunde Omega-3-Fettsäuren. Der Kirschauer Pangasius baut, weil er im Strömungsbecken gehalten wird, mehr Muskelmasse auf, der qualitativ hochwertige Frischfisch von dort kostet aber auch das Vierfache des üblichen Preises.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite

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