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Der Zauberer namens Thermomix

© Illustration: Yvonn Barth für den Tagesspiegel

Alle reden vom Thermomix - was steckt dahinter?: Hexerei ohne Herd

Der Thermomix gart, backt, knetet, macht Eis ... Unsere Autorin wollte dieses Küchenwunder kennenlernen. Das Treffen verlief unharmonisch.

Thermomix. Neun Buchstaben in der Maske der Suchmaschine. Sie haben mich. Wie konnte das passieren?

Begonnen hat es als eine Art leises Rauschen. Eine Kollegin wünschte sich das Ding zur Hochzeit. Dann entwich der kritischen Mutter ein sehnsuchtsvoller Seufzer: Die Kegelschwester hatte zum Essen eingeladen, komplettes Menü, Zubereitungszeit nur eine Stunde, unfassbar. Zu einem Dinner bei Freunden hatte ein Paar sein Gerät mitgebracht, um vor aller Augen Mayonnaise zuzubereiten. Ein Veganer schrotet seine Körner nun selbst. Carsten Otte schreibt in seinem Buch „Der gastrosexuelle Mann“: „Ich frittiere Fischbällchen, grille Spargel und portioniere ein Rosenblütensorbet, während im Thermomix eine Safranzabaglione entsteht. Ja, auch bei mir ist das Gerät im Dauereinsatz, wobei ich lange überlegt habe, mir den kochenden Mixer überhaupt zuzulegen, denn das Teil sieht – Vorwerk möge mir die Wortwahl verzeihen – einfach scheiße aus.“

Ein befreundetes Paar, Eltern von drei kleinen Kindern, lobte den Thermomix in den Himmel. Sie sprachen von einem Leben vor und einem nach dem Thermomix.

Meine Güte! Alle schwärmten von einer Party, zu der ich nicht eingeladen war.

Deshalb ist Sabine da. Sabine, Bluse unterm V-Ausschnitt, verwaschene Jeans, sieht jetzt leicht verschwitzt aus. Die Mittdreißigerin klemmt sich eine störrische Haarsträhne hinters Ohr. Ähem, noch jemand weiße Sauce?

Auf unserem Küchentisch: Teller mit gedünsteten Champignons und Möhrenscheiben, eine Schüssel mit Reis und Kartoffelspalten – und in der von der Großtante geerbten Sauciere, die sonst nur an Feiertagen zum Einsatz kommt, stockt so viel dicke Sauce, dass sie für eine Großfamilie reichen würde.

Es sind aber bloß der Mitbewohner und sein Gast da. Die für ihren Appetit bekannten Hobbyköche wechseln betroffene Blicke. Es schmeckt fad bis mehlig. Ein Gericht wie das vegetarische Alibi-Essen im Steakrestaurant.

„Hier haben die Pilze noch einen echten Pilzgeschmack“, moderiert Sabine. Glaubt sie das wirklich? Sie muss, irgendwie. Sie ist Thermomix-Vertreterin, nein, Repräsentantin. Der Gast ist höflich, pikst einen Champignon auf und zieht ihn durch eine weiße Saucenspur.

In diesem Moment ist klar, dass bei dieser Thermomix-Party niemand einen Thermomix kaufen wird. Die Repräsentantin hat umsonst Gemüse geschnippelt und in Plastikdosen verpackt, vergeblich Alnatura-Dinkelkörner gekauft. Dieser Abend ist für sie absolute Zeitverschwendung: keine Provision, keine Folgepartys, die Gastgeber verbieten ihr sogar per Unterschrift, telefonisch nachzuhaken. Sie weiß es nur noch nicht. Horror des Direktvertriebs, wir schämen uns ein wenig.

Aber sie wollen es ja nicht anders: Eine Thermomix-Party zu veranstalten, ist neben einem Besuch im Thermomix-Kochstudio die bequemere Möglichkeit, das Teil auszuprobieren. Nach Angaben des Wuppertaler Herstellers verkauft sich das Riesending alle 38 Sekunden, in den Fabriken schuften die Leute Tag und Nacht, trotzdem muss der Kunde zwölf Wochen warten, ehe er den Thermomix zu Hause aufstellen kann. Der Preis: 1109 Euro, gerne auch auf Raten. Es gibt ihn weder bei Saturn noch bei Mediamarkt, sondern nur bei einer Repräsentantin. 2013 hat Vorwerk nach eigenen Angaben 800 Millionen Euro Umsatz mit dem Luxusmixer gemacht.

Eine Maschine für Leute, die nicht gern kochen

Der Zauberer namens Thermomix
Der Zauberer namens Thermomix

© Illustration: Yvonn Barth für den Tagesspiegel

Nun steht er testweise da, neben dem Herd, und fast möchte man Miete von ihm verlangen, so viel Platz, wie er beansprucht. Die heimische Küche bekommt gleich etwas Waschküchenhaftes. Das weiße Plastik, der Aufsatz zum Dampfgaren und der silberne Topf suggerieren: Ich bin ein Roboter. Ich mache keine Fehler, seit 1961 entwickeln sie mich immer weiter. Ich kann wiegen, kochen, häckseln, emulgieren, mixen, kneten, you name it. Mein vierklingiges Edelstahlmesser mit seinen 10 000 Umdrehungen pro Minute hat hart für dich gearbeitet, also iss, was auf den Tisch kommt!

Wer möchte einem so teuren Gerät widersprechen?

Sabine schüttet gefrorene Himbeeren zum Zucker in den Bottich, dann verschwinden 100 Gramm Sahne darin. Auf dem Display steht, was der Koch in welcher Reihenfolge machen muss. Die Gäste dürfen auch mal ausprobieren und betätigen den Touchscreen. Deckel drauf, er schließt sich automatisch, kawumm. Thermi rumort, dass die Altbauwände wackeln. Die Klingen lassen das Frost-Obst geradezu explodieren. Babygeschrei aus dem Nebenzimmer. Verdammt, das war wohl doch ein bisschen laut? Sabine schaut betrübt. Merke: Bei Eiscremegelüsten nach 20 Uhr lieber zur nahe gelegenen Eisdiele gehen, als das „Guided Cooking“-Monster anwerfen.

Für die Herstellung von Babybrei eigne sich das Gerät übrigens ganz hervorragend, bemerkt Sabine, als das Baby wieder schläft. Der Pürierstab, viel leichter zu reinigen und handlicher, rappelt eifersüchtig im Küchenschrank.

Langsam dämmert es den Partygästen: Diese Maschine ist ideal für Leute, die nicht gerne kochen. Die nicht gerne zusehen, wie ein Stück Lachs die Farbe wechselt, wenn man es dünstet, oder die es für Zeitverschwendung halten, mit den Händen im Teig herumzukneten. Wer je die meditative Wirkung des Risottorührens oder den Kitzel beim Herstellen einer Sauce Hollandaise gespürt hat, wird so kalt bleiben wie das Himbeereis, das Sabine bald darauf aus dem Gefrierfach nimmt. Dankbar stürzen sich die Partygäste auf die Süßigkeit – vergessen wollen sie die kohlige Bissfestigkeit des Brokkolisalates, der bereits produziert wurde.

In der Facebook-Gruppe „Zur Hölle mit dem Thermomix“, dem Sammelbecken der verhältnismäßig wenigen Enttäuschten und Ernüchterten, protzt man mit manuellen Kochleistungen. Ein Chris schreibt zu seinen Fotos: „Dinner tonight @ home: Louisiana Flusskrebs Calvados Krebs Sauce auf gewalzten Bandnudeln“.

Sabine ist nett und zum Glück eher dezent in ihren Verkaufsbemühungen. Lieber erzählt sie von ihrer Mutter, die in den 80er Jahren im Badischen als Vorwerk-Repräsentantin gearbeitet hat. Eine Szene wie bei Loriot: „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann.“ Der Kobold-Vertreter hatte seinen festen Platz im Repertoire vieler Spaßvögel – nun muss die Thermomix-Repräsentantin dran glauben. „Mit dem Ding kannst du alles machen, der jeht mit meinem Hund spazieren und liest auch meiner Frau was vor“, witzelt der Aachener Kabarettist Jürgen B. Hausmann.

Als würde man Mitglied eines Geheimbunds

Der Zauberer namens Thermomix
Der Zauberer namens Thermomix

© Illustration: Yvonn Barth für den Tagesspiegel

In Zeiten des Internetversandhandels ist der Thermomix der Triceratops der Küchenmaschinen. Vielleicht ist das Teil des Erfolgsgeheimnisses: Der Direktvertrieb steigert das Gefühl, Mitglied eines Geheimbundes zu sein. So wie bei der Tupper-Party.

Heute gibt es unzählige Rezeptforen im Netz, wo sich Nutzer des Geräts Anregungen geben. So postet ein Volli seinen Wochenplan: „So.: Entenbrust mit Koriander, Mo.: Reissalat mit Geflügelwurst, Di.: Kassler mit Lauch-Orangen-Sauce, Mi.: Hirsesuppe mit Würstchen, Do.: Tacos mit scharfer Füllung, Fr.: Gedämpfter Fisch mit Senfsauce, Sa.: Kartoffelsalat mit Kräuterpesto.“ Da bekommt man eine Ahnung von der Rezeptewelt, in der sich die Fans des Mixers bewegen. Sie ist eindeutig mehr Kreis- als Großstadt, mehr Fleischtheke als Bio-Laden.

Oben dünstet der Fisch, unten kocht der Reis – eine Idealvorstellung in der Thermomix-Welt. Aber, meint der Mitbewohner: Es gibt doch dieses altbewährte Ding, es heißt Herd. Da kann man sogar in zwei verschiedenen Töpfen nebeneinander kochen. Sabine sagt, ihr Herd bleibe oft tagelang kalt. Und eine Freundin verreise immer mit dem Mixer, er brauche ja nur eine Steckdose und könne so im Nu …

Schließlich säubert Sabine mit geübten Handgriffen ihren Thermomix. Hier steht das Spülmittel, dort liegen frische Handtücher – als sei sie schon mal bei uns gewesen, so gut kennt sie sich in der Küche aus. „Och, bei den meisten Leuten ist alles gleich angeordnet“, erklärt sie und verpackt das Ding routiniert im Rollkoffer.

Zum Abschied erwähnt sie beiläufig, sie habe das Gerät nicht gekauft, sondern „sich verdient“. Wie viele Mixer sie verkaufen musste, um ihr Vorführgerät behalten zu können, erzählt sie nicht. Der Job als Repräsentantin lasse sich sehr gut mit dem Hausfrauendasein vereinbaren. Sie lächelt mir aufmunternd zu.

Gegessen hat Sabine nur ein klein wenig Himbeereis. Dafür hat sie Fragebögen hingelegt. „Was stört Sie am meisten bei der Küchenarbeit? Vorbereiten / Zerkleinern, Aufräumen / Spülen, Sonstiges.“ Die Partygäste sollen zum Ausklang des Abends noch einmal in sich gehen.

Bergeweise Essen und viele Erklärungen lässt Sabine zurück. Vom TM5 bleibt nur ein kleiner, feuchter Abdruck auf der Arbeitsplatte.

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