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Sie dürfen sich nicht "alkoholfreier Gin" nennen, sind aber zum Mischen mit Tonic gedacht - acht alkoholfreie Destillate im Genuss-Check

© Kai Röger

Alkoholfreie Destillate im Test: Wie schmeckt Gin Tonic ohne Gin?

Neue alkoholfreie Alternativen wollen erwachsene Trinkkultur ohne Rausch bieten - funktioniert das?

Von Kai Röger

Der Trend ist noch jung, hat aber bereits viele Protagonisten
Die Branche steht noch am Anfang, der Pionier „Seedlip“ brachte 2016 als erster alkoholfrei destillierte „Spirits“ (ADS) auf den Markt. Inzwischen gibt es gut 70 ADS, die erwachsene Trinkerlebnisse ohne Alkohol bieten wollen und gesellige Barkultur vom Rausch zu lösen. Viele setzen dazu noch auf’s Weglassen: Kein Alkohol, kein Zucker, keine Konservierungsstoffe – was gut in eine „bewusst leben“- Marketingstrategie passt, aber auch zu einer sehr geringen Haltbarkeit von zwei bis sechs Wochen bei angebrochenen Flaschen.

Im Test: acht alkoholfreie Destillate, die Gin ähneln
Getestet wurde in zwei Gruppen: Acht ADS mit dem Anspruch, Gin zu ersetzen, wurden gegeneinander verkostet, zuerst pur, dann mit „Schweppes Tonic dry“ im Verhältnis 1:2. Die Testerrunde bestand aus Nicole Klauß, Expertin für alkoholfreie Trinkkultur, Peter Eichhorn, Experte für Barkultur und Spirituosen weltweit, Robert Schröter, Barexperte und Gründer des Craft Cocktail Festivals, sowie Ulrich Amling und Kai Röger aus der „Mehr Genuss“-Redaktion.

Nüchtern betrachtet. Die Tester: Peter Eichhorn (Autor), Robert Schröter (Mixologe), Nicole Klauß (Autorin) sowie Ulrich Amling und Kai Röger (v. l.).
Nüchtern betrachtet. Die Tester: Peter Eichhorn (Autor), Robert Schröter (Mixologe), Nicole Klauß (Autorin) sowie Ulrich Amling und Kai Röger (v. l.).

© Moritz Honert

Nicht zum Pur-Trinken geeignet
Bei den Gin-ähnlichen ADS zeigte sich, dass sich keines der Produkte zum Pur-Trinken eignet und dass die Textur des Alkohols schwer nachzuahmen ist, es fehlt das ölig-weiche Mundgefühl. Viele ADS hinterließen einen „wässrigen“ Eindruck, während das Brandige recht gut durch subtile Schärfe in der Regel durch die Beigabe von Chili simuliert werden konnte.
Mit Tonic ergaben sich große geschmackliche Unterschiede bereits bei den drei Testgewinnern: der aus Berlin stammende NOA Juniper No. 1 (500 ml, 24, 90 Euro) setzt deutlich auf Wachholder, liefert Schärfe und Säure, verzichtet auf Zucker und wirkt frisch, dicht und komplex. Nicole Klauß: „Mehr als alle anderen in der Verkostung möchte der NOA ganz doll ein Gin ‚ohne‘ sein.
Sea Arch (700 ml, ca. 29 Euro) setzt neben Wachholder auf Meerfenchel, was angenehm ätherische Aromen liefert. Kai Röger: „Wacholder und Algen, dazu prägnante Schärfe, Säure und Aromen von Bitterorange, Latschenkiefer und Koriander – pur nicht zu genießen! Mit Tonic Water allerdings harmonisiert sich die Schärfe – schöne Bitterkeit und vielschichtiger Geschmack jenseits von Saunaaufguss. Kurzweiliger Genuss.“
Am meisten beeindruckte Pentire (700 ml, 31 Euro plus Versand aus GB) mit seiner an Salbei erinnernden Kräutrigkeit und fein ausbalancierter Spannung aus Salz und Zitrone. Mehr als alle anderen überzeugte hier das Mundgefühl, das an das alkoholische Vorbild heranreichte. Robert Schröter: „Salzig, kräuterig, geschmacklich dicht und erzeugt ein fast öliges, angenehmes Mundgefühl. Der erste, bei dem ich als Gast in der Bar nicht auf den Preis schauen würde.“

Die Testsieger der Gin-Ähnlichen: „NOA Juniper No. 1“ (500 ml, 24,90 Euro), „Pentire“ (700 ml, 31 Euro plus Versand aus GB) und „Sea Arch“ (700 ml, 29 Euro).
Die Testsieger der Gin-Ähnlichen: „NOA Juniper No. 1“ (500 ml, 24,90 Euro), „Pentire“ (700 ml, 31 Euro plus Versand aus GB) und „Sea Arch“ (700 ml, 29 Euro).

© Kai Röger

Gewürze sollen Trinkerlebnisse schaffen - mit recht unterschiedlichem Erfolg
Um den fehlenden Alkohol zu ersetzen, müssen prägnante Geschmacksimpulse gesetzt werden. So finden sich Schärfe und Säure in praktisch allen ADS. Gewürze geben oft den Ton an, manchmal allerdings viel zu dominant, wie beim Wonderleaf (500 ml, ca. 15 Euro). Robert Schröter: „Ein Weihnachtsmarkt in Nase und Gaumen – wirkt, wie am Reißbrett zusammen gesetzt“. Ulrich Amling: „pur Nase: Nelke, Zimt. Pur Mund: sehr wässrig. Mit Tonic: Nelke! Stumpfes Mundgefühl, bitte bloß nicht!“
Ganz fatal zeigte sich die Gewürzoffensive bei Cotsworld green (700ml, 30 Euro plus Versand aus GB), dessen Aromenspektrum von muffig fermentiertem Pfeffer (KR) bis zu „venezianischem Klostein ohne Frische“ (NK) beschrieben wurde. Ulrich Amling: „pur Nase: muffig. Pur Mund: erdig. Mit Tonic: stockfeckig wie in der Waschmaschine vergessene Wäsche. Auf keinen Fall!“
Ungute Kindheitserinnerungen beschwor die klebrige Süße mit Bittermandel bei Guilty (500 ml, ca. 25 Euro), Ulrich Amling: „Pur Nase: Kirschjogurt mit künstlichen Aromen. Erinnert an schlimme Zeiten am Kühlregal. Pur Mund: wie etwas nur so fad schmecken? Mit Tonic: heftige Kirschkerne, penetrant, unbedingt schuldig an einem miesen Mix!“

Im Mix geht die Eigenständigkeit verloren
Pur verkostet, zeigte sich der Humboldt Freigeist (700 ml, ca. 22 Euro) der Spreewood Distillers zuerst noch vielversprechend: schöne Textur, vielschichtiges Aroma mit salzig-scharfen Anklängen – was leider nach dem Mischen verloren ging. Kai Röger: „Sehr nah am alkoholischen Vorbild aus dem gleichen Haus, liegt mit vielschichtigen Kräuteraromen genau auf Linie des Humbold-Gins, schafft es aber nicht, seinen Charakter in Tonic zu bewahren.“
Kein Einzelfall: Der Stryk (700 ml, ca. 22 Euro)zeigte sich pur noch charakterstark: ätherisches Tigerbalm, viel Wachholder mit ausgeprägter Schärfe, aber nicht unangenehm. Als Mischgetränk allerdings konnte er nicht überzeugen, Nicole Klauß: „Der Wacholder ist sofort da und bleibt, wie der letzte Gast einer Party: man wird ihn nicht los. Stevia bringt leicht süße Noten ins Spiel und sorgt für ein rundes Mundgefühl. Trotzdem eher ein intensiveres Tonic, als ein eigenständiges Getränk.“

Warum nicht gleich Bitter Lemon?
Peter Eichhorn: „Die Zugabe von Tonic ergibt in den meisten Fällen eine aromatische Bitterlimonade, was zur Frage führt, warum man nicht gleich Bitter Lemon pur trinken könnte, zumal das sehr viel preiswerter wäre.“ Generell problematisch sah die Testerrunde den Preis von meist über 25 Euro pro Flasche (700ml), zumal darin keine Alkoholsteuer enthalten ist. Hinzu kommt fehlende Transparenz bei Inhaltsstoffen, ein häufiges Problem bei Surrogaten.
Peter Eichhorn Fazit: „Zahlreiche alkoholfreie Spirituosen wirken eher wie ein Design-Getränk und nicht wie ein natürliches Produkt. Ist ein anderer Geschmacksverstärker im Spiel, beispielsweise Zucker, wird daraus eher ein echtes Getränk. So gelingen alkoholfreie Wermut, Likör oder Amaro Varianten spannender und näher am Original, als Rum oder Gin.“

Unterhaltsam: Cocktail aus alkoholfreie Bitter (Aecorn dry) und Gin-ähnlichem Destillat
Unterhaltsam: Cocktail aus alkoholfreie Bitter (Aecorn dry) und Gin-ähnlichem Destillat

© Kai Röger

Besser als süße Mocktails
Ob sich die alkoholfreien Bars und Destillate durchsetzen werden, wurde unterschiedlich bewertet. Nicole Klauß: „In jedem Fall gibt es jetzt mit einem dry Tonic eine gute erwachsene Alternative zu den oft süßen Mocktails, die sonst auf der Cocktailkarte stehen.“ Peter Eichhorn zweifelt: „Bald hat Berlin mindestens drei Bars mit alkoholfreiem Schwerpunkt. Ich bin sehr gespannt, ob das auf Dauer erfolgreich sein kann. Mein Bild einer Bar ist, mit Gestalten der Nacht, gefallenen Engeln und Mitternachtscowboys zu verglühen. Dazu ein Old Fashioned oder Sazerac. Oder drei. Ein Hipsterpaar mit Kinderwagen und Kokos-Soja-Fizz passt für mich nicht in diese Dramaturgie.“

Neue Märkte und auch bei uns ein verändertes Trinkverhalten
Einig war man sich, dass man klassische Cocktailtrinker mit den ADS nicht überzeugen wird, aber ein ganz anderen Markt könnte damit erschlossen werden: In weiten Teilen Asiens und Arabiens spielt kulturbedingt Alkohol im gesellschaftlichen Leben praktisch keine Rolle spielt. Es gibt aber auch dort ein Bedürfnis nach neuen Trinkerlebnissen in geselliger Baratmosphäre nach westlichem Vorbild – nur ohne Alkohol. Und dieses Bedürfnis scheint auch in den europäischen Metropolen zu wachsen: In London gibt es bereits erste „Sober Bars“ und Kneipen, in denen nur alkoholfreies Bier gezapft wird. Mitte März eröffnet auch in Berlin die erste „sober Bar“: In der „Zeroliq Bar“ (Boxhagenerstr. 104, Friedrichshain) gibt es ausschließlich Alkoholfreies wie Craft Biere, „Weine“ und Hauscocktails, dazu eine kleine rein vegane Barfoodkarte und selbstverständlich darf hier auch nicht geraucht werden.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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